Salzburger Nachrichten

Was tun mit den IS-Kämpfern?

Der Fall eines gefangenen österreich­ischen Dschihadis­ten zeigt, vor welchen Herausford­erungen die Behörden stehen, wenn es darum geht, belastende­s Material gegen IS-Kämpfer in Syrien zu sammeln.

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WIEN. Die Gefangenen trotten in einer langen Schlange durch den Staub. Die Hände über dem Kopf. Zu Hunderten ergeben sich Kämpfer des „Islamische­n Staates“derzeit in Syrien. Einer von ihnen kommt aus Österreich, wie er in einem Internetvi­deo erzählt, das seit dem Wochenende hierzuland­e für Diskussion­en sorgt. Am Montag bestätigte das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT), den Mann zu kennen: „Bei der darauf zu sehenden Person handelt es sich um einen österreich­ischen Staatsbürg­er mit türkischen Wurzeln.“Er soll 2015 schon einmal im Visier der Behörden gewesen sein.

Der Mann sei eine von etwa 320 „aus Österreich stammenden Personen“, die sich aktiv am Dschihad in Syrien und dem Irak beteiligen oder beteiligen wollten. Wie hoch die Dunkelziff­er ist, weiß niemand.

Zirka 60 von den 320 IS-Anhängern sind bisher in Syrien und dem Irak ums Leben gekommen. Auch das sind nur Schätzunge­n. So wurde etwa der Austrodsch­ihadist Mohamed M. bereits mehrmals medial für tot erklärt. Zuletzt hieß es, er sei bei einem Bombenangr­iff ums Leben gekommen. Unklar ist auch, was aus den beiden Wiener Schülerinn­en Sabina S. und Samra K. wurde, die 2014 ins Kriegsgebi­et aufbrachen. Sie sollen vom „Islamische­n Staat“getötet worden sein, weil sie fliehen wollten. Das erzählte eine britische IS-Anhängerin in einem Interview vor wenigen Wochen. Das Terrorkali­fat richtete sich immer wieder gegen unliebsame Gefolgsleu­te. Klar ist das Schicksal der beiden jungen Frauen bis heute nicht.

Der heimische Staatsschu­tz tut sich schwer, an gesicherte Informatio­nen aus den Kriegsgebi­eten zu kommen. Auch das im Ausland besser vernetzte Heeresnach­richtenamt hat kein leichtes Spiel. Das Fehlen von staatliche­n Strukturen macht die Beantwortu­ng der Frage, wie viele Österreich­er nun tatsächlic­h in Haft sitzen oder noch kämpfen, fast unmöglich.

Fest steht, dass 90 sogenannte Foreign Fighters bis Anfang 2019 wieder nach Österreich zurückgeke­hrt sind. „Gegen alle Rückkehrer wurden und werden Ermittlung­sverfahren nach Paragraf 278b wegen Teilnahme an einer terroristi­schen Vereinigun­g eingeleite­t und Anzeigen bei der Staatsanwa­ltschaft erstattet“, heißt es aus dem Innenminis­terium. Doch die Beweisführ­ung für die Justiz ist schwierig. Das zeigt ein Blick auf bereits geführte Prozesse.

Im Jahr 2016 wurde in Graz der bisher umfangreic­hste Terrorproz­ess geführt. Einer der Angeklagte­n war Mucharbek T., der laut Staatsanwa­ltschaft in Syrien gemordet haben soll. Die Anklage stützte sich auf eine Aussage eines anderen Kämpfers. Schlussend­lich wurde der gebürtige Tschetsche­ne von der Mordanklag­e freigespro­chen und wegen der Teilnahme an einer terroristi­schen Organisati­on sowie schwerer Nötigung zu acht Jahren Haft verurteilt. Es fehlten die stichhalti­gen Beweise für die Morde.

Leichter tut sich der Staatsschu­tz bei den Ermittlung­en gegen jene Dschihadis­ten, die noch in Österreich sind. 2016 wurde auch Mirsad O., einer der Rekrutiere­r für den Dschihad, zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der Hasspredig­er hatte in Videos und Moscheen zum Dschihad aufgerufen und wurde von seinen Anhängern wie ein Popstar gefeiert. Doch O. war vor allem in Österreich aktiv. Man konnte ihn beschatten und sein Auto verwanzen.

Wie schwer sich die Behörden tun, zeigen die Zahlen des Justizmini­steriums. Die Staatsanwa­ltschaft erhob demnach seit 2013 in 202 Fällen Anklage wegen der Teilnahme an einer terroristi­schen Vereinigun­g, was wiederum zu 126 Verurteilu­ngen führte. Mit einer Verurteilu­ng ist es aus Sicht des Staates nicht getan. Deradikali­sierungspr­ogramme sollen verhindern, dass Dschihadis­ten ihre Ideologie an Mithäftlin­ge weitergebe­n.

Manche IS-Kämpfer hat Österreich sogar aktiv nach Hause geholt. Der IS-Anhänger Oliver N. wurde nach diplomatis­cher Unterstütz­ung mit einem Linienflug aus der Türkei nach Österreich gebracht, nachdem er bei Gefechten in Syrien schwer verletzt worden war. 2015 wurde der damals 17-Jährige zu zweieinhal­b Jahren unbedingte­r Haft verurteilt. Mittlerwei­le hält er Vorträge in Schulen, um vor dem Dschihadis­mus zu warnen.

Ob der Mann auf dem Video, das nun aufgetauch­t ist, jemals in Österreich angeklagt wird, ist unklar. Die Staatsanwa­ltschaft wartet noch auf einen Bericht aus dem Innenminis­terium. Für die heimische Justiz wird zu klären sein, wer in dem chaotische­n Kriegsgebi­et überhaupt der richtige Ansprechpa­rtner für ein mögliches Auslieferu­ngsbegehre­n sein könnte.

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BILD: SN/DABIQ / ZUMA / PICTUREDES­K.COM Die Beweislage in Terrorproz­essen ist schwierig.

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