Liebe und Krieg gehen nicht zusammen
„Penthesilea“von Othmar Schoeck erweist sich in Linz als packend gegenwärtiges Musiktheater.
Der Kampfplatz ist mitten unter uns.
KARL HARB
Geht es nach dem musikalisch-klanglichen Ergebnis – und Erlebnis – der samstägigen Musiktheater-Premiere in Linz, darf sich Salzburg auf seinen neuen Landestheater-Opernchef freuen. Leslie Suganandarajah gelang ein formidables Kunststück. Er koordinierte souverän das im Bühnenhintergrund postierte Brucknerorchester mit dem in seinem Rücken bis in den Zuschauerraum vorgezogenen Spielplatz für Othmar Schoecks kapitalen Einakter „Penthesilea“, 1927 in Dresden uraufgeführt. Und er durchleuchtete die komplexe Partitur mit erstaunlich delikatem Feingefühl, kolorierte das eigenwillig instrumentierte Werk (nur vier Violinen gegenüber einem Block an tiefen Streichern, dunklen Bläserfarben und heftigem Schlagwerk) mit Sinn für Struktur und raffiniert abgemischten Farbwirkungen. So nahm er ihm – auch dank der akustischen Distanz – vieles an bombastischem Pathos und vordergründig illustrierendem Effekt. Damit entstand Raum für die singsprachlichen Besonderheiten. Denn sehr oft wird in dieser heiklen „Verwandlung“von Kleists Drama in eine Oper nicht nur hochdramatisch gesungen, sondern rhythmisch und melodramatisch deklamiert und gesprochen: eine Mischung an vokalem Ausdruck, die nach guter Balance verlangt. Und dies umso mehr, als hier nicht herkömmlich Oper inszeniert wird. Regisseur Peter Konwitschny und sein Raumbildner Johannes Leiacker haben für die „unmögliche“Liebesgeschichte zwischen der Amazonenkönigin Penthesilea und dem griechischen Feldherrn Achilles eine offene Plattform angelegt. Man mag an die antike Agora, den „Marktplatz“der Meinungen, denken oder auch an einen Boxring als Kampfplatz der Geschlechter.
Umgeben wird diese Spielfläche vom lebhaft eingreifenden Chor (eine beeindruckende Kollektivleistung), den man in seiner Alltagskleidung zunächst für zusätzliche Zuschauer halten mag. Auch die kommentierenden Stimmen der Amazonen kommen aus dem Zuschauerraum oder – im Falle der geifernden Diana-Priesterin (Vaida Raginskyte) – aus dem ersten Rang. Somit wird der kriegerische Kampf zwischen Mann und Frau um Liebe und Leben zu einer öffentlichen Angelegenheit, das Theater zum gesellschaftlichen Schauplatz.
Wie sehr dieses Konzept, 2017 für das Theater in Bonn ersonnen, jetzt vom Koproduktionspartner Linz im größeren Musiktheater neu einstudiert, aus der Musik gedacht ist, zeigen die einzigen Bühnenelemente auf dem weißen Quadrat: zwei Flügel, die der Komposition von Othmar Schoeck als entscheidende Klangträger eingeschrieben sind. Sie werden zum Schauplatz der Schlachten an den Bergen Ida und Ossa, stehen zugleich auch für die männliche und weibliche Seite des Dramas, weshalb sie auch von einem (mit)spielenden Pianisten und einer Pianistin in ebensolcher Funktion betätigt werden. Die Flügel sind aber auch Liebeslager und Grab, je nachdem, ob auf oder unter dem Instrument agiert wird.
Und noch eine brillante, antiillusionistische Volte erlaubt sich Peter Konwitschny: Ihren Schlussmonolog singt Penthesilea, von den Toten auferstanden wie Achilles, der zum Zuhörer, Umblätterer der Klaviernoten und Beschaffer des Notenpults wird, als distanzierte, in ihrem schattenhaften Raunen aber umso eindrücklichere Konzertnummer. Denn nicht um das Zeigen (der ohnedies unvorstellbaren Zerfleischungsgrausamkeiten) geht es, sondern um das Deuten der Zeichen. Darin ist Konwitschny weiterhin ein singulärer Großmeister des kritisch relevanten Musiktheaters.
Faszinierend auf dieses Konzept eingelassen hat sich Dshamilja Kaiser als Penthesilea. Sie hatte den Vorteil (und Vorsprung), die Rolle schon in Bonn erarbeitet zu haben, wodurch die Auffächerung ihrer phänomenal ausdifferenzierten vokalen Mittel womöglich noch souveräner gelingen konnte. Einen schweren Stand hat an ihrer Seite Martin Achrainer als blondmähniger Achilles, nicht nur, weil er die für die Partie stimmlich notwendige Tiefe kaum erreicht, sondern weil ihm auch zwischen Testosteron und Zärtlichkeit allzu viele Nuancen und Farben fehlen. Hingegen gefällt Julia Borcherts Prothoe durch ihre fein psychologisch ausgehorchten Töne verzweifelter Leidenschaft in der dritten tragenden Partie. In ihren stilistischen Wechselbädern wirkt diese Oper (wieder?) erstaunlich modern. Sie ist ein Solitär des 20. Jahrhunderts. Dass er in den Linzer Spielplan zwischen Strauss’ „Elektra“und Cherubinis „Medée“fabelhaft passt, macht ihn umso leuchtkräftiger. Oper: