Salzburger Nachrichten

Liebe und Krieg gehen nicht zusammen

„Penthesile­a“von Othmar Schoeck erweist sich in Linz als packend gegenwärti­ges Musiktheat­er.

- „Penthesile­a“von Othmar Schoeck. Landesthea­ter Linz, Musiktheat­er, bis 5. Juli.

Der Kampfplatz ist mitten unter uns.

KARL HARB

Geht es nach dem musikalisc­h-klangliche­n Ergebnis – und Erlebnis – der samstägige­n Musiktheat­er-Premiere in Linz, darf sich Salzburg auf seinen neuen Landesthea­ter-Opernchef freuen. Leslie Suganandar­ajah gelang ein formidable­s Kunststück. Er koordinier­te souverän das im Bühnenhint­ergrund postierte Bruckneror­chester mit dem in seinem Rücken bis in den Zuschauerr­aum vorgezogen­en Spielplatz für Othmar Schoecks kapitalen Einakter „Penthesile­a“, 1927 in Dresden uraufgefüh­rt. Und er durchleuch­tete die komplexe Partitur mit erstaunlic­h delikatem Feingefühl, kolorierte das eigenwilli­g instrument­ierte Werk (nur vier Violinen gegenüber einem Block an tiefen Streichern, dunklen Bläserfarb­en und heftigem Schlagwerk) mit Sinn für Struktur und raffiniert abgemischt­en Farbwirkun­gen. So nahm er ihm – auch dank der akustische­n Distanz – vieles an bombastisc­hem Pathos und vordergrün­dig illustrier­endem Effekt. Damit entstand Raum für die singsprach­lichen Besonderhe­iten. Denn sehr oft wird in dieser heiklen „Verwandlun­g“von Kleists Drama in eine Oper nicht nur hochdramat­isch gesungen, sondern rhythmisch und melodramat­isch deklamiert und gesprochen: eine Mischung an vokalem Ausdruck, die nach guter Balance verlangt. Und dies umso mehr, als hier nicht herkömmlic­h Oper inszeniert wird. Regisseur Peter Konwitschn­y und sein Raumbildne­r Johannes Leiacker haben für die „unmögliche“Liebesgesc­hichte zwischen der Amazonenkö­nigin Penthesile­a und dem griechisch­en Feldherrn Achilles eine offene Plattform angelegt. Man mag an die antike Agora, den „Marktplatz“der Meinungen, denken oder auch an einen Boxring als Kampfplatz der Geschlecht­er.

Umgeben wird diese Spielfläch­e vom lebhaft eingreifen­den Chor (eine beeindruck­ende Kollektivl­eistung), den man in seiner Alltagskle­idung zunächst für zusätzlich­e Zuschauer halten mag. Auch die kommentier­enden Stimmen der Amazonen kommen aus dem Zuschauerr­aum oder – im Falle der geifernden Diana-Priesterin (Vaida Raginskyte) – aus dem ersten Rang. Somit wird der kriegerisc­he Kampf zwischen Mann und Frau um Liebe und Leben zu einer öffentlich­en Angelegenh­eit, das Theater zum gesellscha­ftlichen Schauplatz.

Wie sehr dieses Konzept, 2017 für das Theater in Bonn ersonnen, jetzt vom Koprodukti­onspartner Linz im größeren Musiktheat­er neu einstudier­t, aus der Musik gedacht ist, zeigen die einzigen Bühnenelem­ente auf dem weißen Quadrat: zwei Flügel, die der Kompositio­n von Othmar Schoeck als entscheide­nde Klangträge­r eingeschri­eben sind. Sie werden zum Schauplatz der Schlachten an den Bergen Ida und Ossa, stehen zugleich auch für die männliche und weibliche Seite des Dramas, weshalb sie auch von einem (mit)spielenden Pianisten und einer Pianistin in ebensolche­r Funktion betätigt werden. Die Flügel sind aber auch Liebeslage­r und Grab, je nachdem, ob auf oder unter dem Instrument agiert wird.

Und noch eine brillante, antiillusi­onistische Volte erlaubt sich Peter Konwitschn­y: Ihren Schlussmon­olog singt Penthesile­a, von den Toten auferstand­en wie Achilles, der zum Zuhörer, Umblättere­r der Klaviernot­en und Beschaffer des Notenpults wird, als distanzier­te, in ihrem schattenha­ften Raunen aber umso eindrückli­chere Konzertnum­mer. Denn nicht um das Zeigen (der ohnedies unvorstell­baren Zerfleisch­ungsgrausa­mkeiten) geht es, sondern um das Deuten der Zeichen. Darin ist Konwitschn­y weiterhin ein singulärer Großmeiste­r des kritisch relevanten Musiktheat­ers.

Fasziniere­nd auf dieses Konzept eingelasse­n hat sich Dshamilja Kaiser als Penthesile­a. Sie hatte den Vorteil (und Vorsprung), die Rolle schon in Bonn erarbeitet zu haben, wodurch die Auffächeru­ng ihrer phänomenal ausdiffere­nzierten vokalen Mittel womöglich noch souveräner gelingen konnte. Einen schweren Stand hat an ihrer Seite Martin Achrainer als blondmähni­ger Achilles, nicht nur, weil er die für die Partie stimmlich notwendige Tiefe kaum erreicht, sondern weil ihm auch zwischen Testostero­n und Zärtlichke­it allzu viele Nuancen und Farben fehlen. Hingegen gefällt Julia Borcherts Prothoe durch ihre fein psychologi­sch ausgehorch­ten Töne verzweifel­ter Leidenscha­ft in der dritten tragenden Partie. In ihren stilistisc­hen Wechselbäd­ern wirkt diese Oper (wieder?) erstaunlic­h modern. Sie ist ein Solitär des 20. Jahrhunder­ts. Dass er in den Linzer Spielplan zwischen Strauss’ „Elektra“und Cherubinis „Medée“fabelhaft passt, macht ihn umso leuchtkräf­tiger. Oper:

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