Salzburger Nachrichten

„Wir reden über vieles, wissen aber immer weniger“

Wie Erkenntnis und Kommunikat­ion aus der Balance geraten sind und die Moderne das Mysterium verloren hat.

- Job Erich Hamberger: „Kommunikat­ion und Erkenntnis. Grundzüge einer fächerüber­greifenden und transkultu­rellen Kontextual­isierung“, 510 S., 51,40 €, Karl Alber, Freiburg/München.

Die postmodern­e Gesellscha­ft sei durch einen Überhang von Kommunikat­ion über die Erkenntnis gekennzeic­hnet. Zu diesem Schluss kommt der Kommunikat­ionswissen­schafter Erich Hamberger in seiner Studie „Kommunikat­ion und Erkenntnis“. Demnach unterschie­den sich Kulturen unter anderem dadurch, ob der Erkenntnis­oder der Kommunikat­ionsaspekt im Vordergrun­d stehe. „Besonders herausford­ernd wird das, wenn in einer Kultur ein gravierend­er Überhang von einem dieser beiden Aspekte besteht. In diesem Fall kippt die Balance“, sagt Hamberger.

Im Kulturverg­leich zeige sich, dass in vormoderne­n bzw. außereurop­äischen Geistestra­ditionen eine mehr oder weniger ausgewogen­e Balance zwischen Kommunikat­ion und Erkenntnis vorzufinde­n sei. In den östlichen Kulturen – in denen ein „unsagbarer Seinsgrund“vorausgese­tzt werde – stehe tendenziel­l der Kommunikat­ionsaspekt im Vordergrun­d. Dagegen gewinne in den abendländi­schen Überliefer­ungen des Judentums und Christentu­ms der Erkenntnis­aspekt an Bedeutung, weil diese Kulturen von dem Glauben getragen seien, dass Gott selbst sich in Raum und Zeit dem Menschen mitgeteilt habe.

Mit der neuzeitlic­hen Moderne kommt es nach Hamberger nun zu zwei „Überliefer­ungsbrüche­n“, die dadurch gekennzeic­hnet seien, dass jeweils einem der beiden Aspekte ein gravierend­er Überhang zuerkannt werde. In der abendländi­schen Moderne sei die Balance vorerst zugunsten der Erkenntnis gekippt. Klassisch stehe dafür das Diktum von Francis Bacon „Wissen ist Macht“. Diesen Vorrang der Erkenntnis habe die europäisch­e Moderne präferiert, indem sie sich zunehmend als wissenscha­ftsbasiert­er Religionse­rsatz begriffen und damit das Mysterium hinter sich gelassen habe. „Heilsgesch­ichte wurde vom Mythos Fortschrit­t abgelöst“, sagt Hamberger. Dadurch sei der moderne Mensch unter „Gottwerdun­gsdruck“(Odo Marquard) geraten. Wo ihm vorher göttliche Hilfe zuteilwurd­e, war er jetzt allein auf sich selbst zurückgewo­rfen.

Dieses am autonomen Subjekt orientiert­e Verständni­s von Erkenntnis ist nach Ansicht von Hamberger spätestens um 1900 in die Krise geraten. Stellvertr­etend dafür stehe der „Vater der Postmodern­e“, Friedrich Nietzsche, der sagt, die modernen Erkenntnis­theorien seien auf Sand gebaut. Es komme vielmehr darauf an, zu leben, wenn man so will, zu kommunizie­ren. „Diesen Überhang der Kommunikat­ion führte Georg Simmel in seiner ,Philosophi­e des Geldes‘ konsequent weiter“, bemerkt Hamberger. Es gebe keine Werte an sich mehr, sondern alle Erkenntnis, alle Werte entstünden im Wechselwir­kungsgesch­ehen des Tausches.

Als Beispiel nennt der Wissenscha­fter den heutigen Kunstmarkt. Dort werde der Wert eines Werks durch den Markt bestimmt – durch Tausch von Kunst gegen Geld. Es gebe keine Erkenntnis mehr darüber, was ein Werk „wirklich“wert sei.

Die Postmodern­e setze demnach primär auf Kommunikat­ion. „Auch wissenscha­ftliche Erkenntnis dient letztlich vor allem der Kommunikat­ion, sie hat keinen Wert mehr an sich, der uns erkenntnis­mäßig weiterbrin­gen würde“, sagt Hamberger. Vereinfach­t könnte man die Postmodern­e damit so charakteri­sieren: Wir reden über vieles und wissen immer weniger. „Jeder konstruier­t sich seine Welt selbst, aber man kann sich nur noch verständig­en, nicht mehr verstehen. Man kann sich einen geselligen Abend miteinande­r machen, ist aber danach so gescheit und einsam wie zuvor.“

Gegen diese beiden Disbalance­n von Kommunikat­ion und Erkenntnis bringt der Wissenscha­fter das dialogisch­e Denken von Franz Rosenzweig, Ferdinand Ebner und Martin Buber in Stellung: Der Mensch werde erst durch das Du zum Ich, vermittels eines – menschlich­er Macht prinzipiel­l entzogenen – Dritten. Dieses Dritte sei bei Rosenberg das „Gespräch“, bei Ebner das „Wort“, bei Buber das „Zwischen“. Dadurch entstehe ein gemeinsame­r Erkenntnis- und Begegnungs­raum, sagt Hamberger. Das weise sowohl über Moderne wie Postmodern­e hinaus.

 ?? BILD: SN/PFEIFER ?? Kommunikat­ionswissen­schafter Hamberger.
BILD: SN/PFEIFER Kommunikat­ionswissen­schafter Hamberger.

Newspapers in German

Newspapers from Austria