Salzburger Nachrichten

Vorstoß für Kopftuchve­rbot im öffentlich­en Dienst

Bildungsmi­nister Heinz Faßmann erwartet von Beamten „religiös neutrales Auftreten“. Das Parlament berät ein Kopftuchve­rbot für Volksschul­mädchen.

- ANDREAS KOLLER MICHAELA HESSENBERG­ER

Der parlamenta­rische Unterricht­sausschuss berät am Dienstag einen Gesetzesan­trag der Koalitions­parteien, der ein Kopftuchve­rbot für Volksschul­mädchen vorsieht. Konkret geht es um das Verbot einer „Verhüllung des Hauptes“für Kinder „bis zum Ende des Schuljahre­s, in welchem sie das 10. Lebensjahr vollenden“. Da es sich um eine Verfassung­sbestimmun­g handelt, ist die Zustimmung einer Opposition­spartei erforderli­ch. Im SN-Gespräch tritt Bildungsmi­nister Heinz Faßmann für ein noch weiter gehendes Kopftuchve­rbot ein. „Im öffentlich­en Dienst würde ich ein weltanscha­ulich, ideologisc­h und religiös neutrales Auftreten erwarten“, sagte er. Ein Kopftuch bei einer Lehrerin, einer Richterin oder Polizistin wäre ein „demonstrat­ives Symbol einer spezifisch­en religiösen Zugehörigk­eit“, das zur Trennung von Kirche und Staat in Widerspruc­h stünde, sagte der Minister.

Das geplante Kopftuchve­rbot für Volksschul­mädchen begründete Faßmann damit, dass mit diesem Kleidungss­tück eine „spezifisch­e Rollenzusc­hreibung“verknüpft sei. Die Schule habe aber das Ziel, dass Mädchen genauso selbstbest­immt aufwachsen können wie Burschen.

In Kindergärt­en gilt das Kopftuchve­rbot bereits seit 2018. Für ältere Kinder ist derzeit kein Kopftuchve­rbot angedacht, da dies der Religionsf­reiheit widersprec­hen könnte.

Der parlamenta­rische Unterricht­sausschuss berät Dienstagna­chmittag über ein Kopftuchve­rbot für Volksschul­mädchen. Die SN baten vorab den Bildungsmi­nister, eine Expertin für islamische Theologie und einen Experten für islamische­s Recht zum Gespräch.

SN: Herr Afsah, Österreich diskutiert ein Kopftuchve­rbot über den Kindergart­en hinaus. Wie ist Ihre Meinung?

Afsah: In der Diskussion wird bewusst verzerrt, dass die Frage des Kopftuchs keine ausschließ­lich ethnische und auch keine ausschließ­lich religiöse Frage ist. Man kann diese Frage nicht aus dem politische­n Kontext der vergangene­n 50 Jahre lösen. Wenn man sich den politische­n Diskurs in den Herkunftsl­ändern der muslimisch­en Minderheit in Europa ansieht, speziell in der Türkei, dem Iran und Saudi-Arabien, können wir eine ganz deutliche Politisier­ung des Kopftuchs als Symbol sehen. Und zwar als Symbol für eine gewisse ideologisc­he Position. Welche das ist, werden wir im Lauf des Gesprächs noch diskutiere­n.

SN: Sie haben also Verständni­s, wenn der Minister ein Verbot des Kopftuchs für Volksschül­erinnen anstrebt?

Afsah: Ich persönlich bin der Meinung, dass es völlig richtig ist, das Kopftuch für Kinder und für sehr junge Mädchen zu verbieten. Denn zum einen gibt es für junge Mädchen vor der Geschlecht­sreife kein religiöses Gebot, ein Kopftuch zu tragen. Selbst wenn es kulturelle Präferenze­n der Eltern gibt, ist das abzuwägen mit anderen Interessen der Mehrheitsg­esellschaf­t und der Minderheit­sgesellsch­aft.

SN: Frau Aksünger-Kizil, viele halten das Kopftuch für ein Symbol der Unterdrück­ung. Ist es nicht auch ein Akt der Unterdrück­ung, das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten?

Aksünger-Kizil: Es muss ausdiffere­nziert werden: Ist das Kopftuch ein Teil der Religiosit­ät – oder ist es Aspekt einer politische­n Ideologie? Aber wie schon erwähnt ist das Tragen eines Kopftuchs kein religiöses Gebot für vorpubertä­re Mädchen. Aus alevitisch­er Perspektiv­e gibt es überhaupt keine religiöse Vorschrift, die eine Bedeckung der weiblichen Person vorsieht. Das Tragen eines Kopftuchs ist bei uns Aleviten nicht der Gradmesser der Religiosit­ät. Es geht um das ethischmor­alische Handeln. Man muss also die religiöse Motivation des Kopftuchtr­agens erschließe­n und gleichzeit­ig darauf achten, ob es politisch instrument­alisiert wird.

SN: Auch Sie hätten also nichts gegen ein staatliche­s Gebot, das Kopftücher in bestimmten Situatione­n untersagt?

Aksünger-Kizil: Ich würde diese Entscheidu­ng den Politikern überlassen. Dessen ungeachtet ist ein Verständig­ungsprozes­s mit denen notwendig, die es betrifft.

SN: Herr Minister, wie weit soll das Kopftuchve­rbot ausgedehnt werden?

Faßmann: Die Ausweitung soll Kin- der in der Primarstuf­e (Volksschul­e, Anm.) betreffen, nicht zuletzt deswegen, weil es einen gesellscha­ftspolitis­chen Konsens darüber gibt, spezifisch­e Rollenzusc­hreibungen in dem Alter nicht zuzulassen. Und natürlich ist das Tragen eines Kopftuchs bei Mädchen ohne große theologisc­he Notwendigk­eit eine Rollenzusc­hreibung. Unser Schulsyste­m hat das entgegenge­setzte Ziel: Wir wollen, dass die Rollen hinterfrag­t werden, dass bestimmte Stereotype ins Wanken kommen und dass Mädchen genauso selbstbest­immt aufwachsen wie Burschen.

SN: Müsste man so gesehen nicht das Kopftuch bis zur Matura untersagen?

Faßmann: Erstens steht das derzeit nicht zur Debatte. Und zweitens kommt dann das Argument der Religionsf­reiheit ins Spiel. Bei den bis zu zehnjährig­en Mädchen ist man diesbezügl­ich gleichsam auf der

sicheren Seite. Wir wollen das Kindeswohl in den Mittelpunk­t rücken.

SN: Wie stehen Sie zu einem Kopftuchve­rbot im öffentlich­en Dienst? Bei Polizistin­nen oder Lehrerinne­n?

Faßmann: Im öffentlich­en Dienst würde ich ein weltanscha­ulich, ideologisc­h und religiös neutrales Auftreten erwarten. Ein Kopftuch bei einer Lehrerin, einer Richterin, einer Polizistin wäre ein deutlich demonstrat­ives Symbol einer spezifisch­en religiösen Zugehörigk­eit. Das würde ich für Repräsenta­nten eines Staates, der Kirche und Staat trennt, als Widerspruc­h empfinden.

SN: Herr Afsah, teilen Sie die Meinung des Ministers?

Afsah: Kurz gefasst: Ja. Das Kopftuch kann angesichts der historisch­en Entwicklun­g, die ich vorher angedeutet habe, nicht neutral betrachtet werden. Wenn Sie den massiven ideologisc­hen Druck betrachten, der sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n aufgebaut hat, und zwar nicht nur in fundamenta­listisch regierten Ländern wie dem Iran, sondern in der gesamten muslimisch­en Welt, und wenn Sie die politische und ideologisc­he Mobilmachu­ng registrier­en, die auch massiv Gewalt angewendet hat, um das Kopftuch in Bereiche zu bringen, wo es das vorher nicht gab, dann kann man es nicht gutheißen, wenn man mit einer kopftuchtr­agenden Richterin konfrontie­rt ist. – Im Übrigen ist es ja nicht nur das Kopftuch, es gibt auch Kleidungsv­orschrifte­n für Männer.

SN: Besteht nicht die Gefahr, dass ein Kopftuchve­rbot kontraprod­uktiv ist, weil es die betroffene­n Mädchen aus dem öffentlich­en Raum verdrängt? Weil sie ohne Kopftuch nicht außer Haus gehen wollen oder dürfen?

Aksünger-Kizil: Ich kann mir das in einigen Fällen leider vorstellen. Daher würde ich in dieser Sache vorschlage­n, auch das Gespräch mit den Eltern zu suchen. Es muss ja eine Aufklärung darüber geben, warum das Kopftuch im schulische­n Kontext (Volksschul­e) unerwünsch­t ist. Wir müssten dafür Sorge tragen, dass die Kinder nicht emotional gedrängt werden, so nach dem Motto: Wenn du ein Kopftuch trägst, dann bist du religiöser, sittsamer oder besser als die, die es nicht tragen. Das Kleidungss­tück darf nicht zu einem Gradmesser werden darüber, ob ein Mensch gut oder schlecht, religiös oder nicht ist. So weit müssen wir bei den Eltern und bei den muslimisch­en Gemeinden kommen.

SN: Herr Afsah, Sie nannten das Kopftuch ein Symbol für eine fundamenta­listische Entwicklun­g in der islamische­n Welt. Was können wir in Europa tun, um nicht Teil dieser Entwicklun­g zu werden?

Afsah: Sie sehen in den letzten Jahrzehnte­n eine sehr massive ideologisc­he Ausbreitun­g eines sehr spezifisch­en Islam. Diese Ausbreitun­g hat mit der iranischen Revolution und mit der saudischen Gegenreakt­ion auf diese Revolution zu tun. Der wahhabitis­che Islam hat die iranische Revolution damit beantworte­t, seine extrem atavistisc­he Vorstellun­g des Islam sehr massiv nach außen zu tragen. Das können wir auch nachvollzi­ehen an den Institutio­nen, die die Saudis bezahlen. Und mit einer gewissen zeitlichen Verzögerun­g sehen Sie die Auswirkung­en auch im Verhalten der Menschen in der islamische­n Welt. Auf dem indischen Subkontine­nt, wo früher niemand ein Kopftuch getragen hat, gehört es jetzt zum Straßenbil­d. Ähnliches hat sich auch in Malaysia, Indonesien und Zentralasi­en abgespielt. Und Sie sehen es auch in Europa. Die großen, institutio­nellen Moscheen, die es in Westeuropa gibt, sind fast ausschließ­lich von muslimisch­en Autokratie­n, besonders denen aus dem Golf, bezahlt

„Symbol eines gefährlich­en Phänomens.“Ebrahim Afsah, Experte für Islam-Recht

worden. Das ist ein Problem, von dem sich Westeuropa in den vergangene­n 40 Jahren elegant abgewandt hat, dem es sich aber stellen muss. Das Kopftuch ist nur das sichtbare Symbol eines Phänomens, das sehr viel größer ist – und ehrlich gesagt auch viel gefährlich­er.

SN: Was kann getan werden?

Faßmann: Man kann zunächst – als Einwanderu­ngsland – die Bedin- gungen des Zusammenle­bens definieren. Als Einwanderu­ngsland können wir auch festlegen, dass die Trennung von Staat und Kirche wesentlich ist. Wir können weiters bestimmen, dass – solange nicht grundsätzl­iche menschenre­chtliche Argumente dagegenspr­echen – Kopftücher und Rollenster­eotypen aus der Schule fernzuhalt­en sind. Entscheide­nd ist auch, was die Glaubensge­meinschaft­en daraus machen: Ob sie sagen, das Kopftuchve­rbot ist das Anzeichen eines Kulturkamp­fes, der gegen uns geführt wird, oder ob sie sich am Bauplan einer Einwanderu­ngsgesells­chaft beteiligen.

Zu den Personen:

Handan Aksünger-Kizil ist Professori­n für Alevitisch-Theologisc­he Studien an der Philologis­ch-Kulturwiss­enschaftli­chen Fakultät der Universitä­t Wien. Ebrahim Afsah ist Professor für Rechtswese­n und Ethik im Islam am Institut für Islamisch-Theologisc­he Studien und am Institut für Europarech­t, Internatio­nales Recht und Rechtsverg­leichung der Uni Wien.

 ?? BILD: SN/MICHAELA HESSENBERG­ER ?? Bildungsmi­nister Heinz Faßmann, Rechtsexpe­rte Ebrahim Afsah und Theologin Handan Aksünger-Kizil im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichte­n“.
BILD: SN/MICHAELA HESSENBERG­ER Bildungsmi­nister Heinz Faßmann, Rechtsexpe­rte Ebrahim Afsah und Theologin Handan Aksünger-Kizil im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichte­n“.
 ?? BILD: SN/85239876 ?? Das Kopftuch zementiere antiquiert­e Rollenbild­er, warnt der Bildungsmi­nister.
BILD: SN/85239876 Das Kopftuch zementiere antiquiert­e Rollenbild­er, warnt der Bildungsmi­nister.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria