Vorstoß für Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst
Bildungsminister Heinz Faßmann erwartet von Beamten „religiös neutrales Auftreten“. Das Parlament berät ein Kopftuchverbot für Volksschulmädchen.
Der parlamentarische Unterrichtsausschuss berät am Dienstag einen Gesetzesantrag der Koalitionsparteien, der ein Kopftuchverbot für Volksschulmädchen vorsieht. Konkret geht es um das Verbot einer „Verhüllung des Hauptes“für Kinder „bis zum Ende des Schuljahres, in welchem sie das 10. Lebensjahr vollenden“. Da es sich um eine Verfassungsbestimmung handelt, ist die Zustimmung einer Oppositionspartei erforderlich. Im SN-Gespräch tritt Bildungsminister Heinz Faßmann für ein noch weiter gehendes Kopftuchverbot ein. „Im öffentlichen Dienst würde ich ein weltanschaulich, ideologisch und religiös neutrales Auftreten erwarten“, sagte er. Ein Kopftuch bei einer Lehrerin, einer Richterin oder Polizistin wäre ein „demonstratives Symbol einer spezifischen religiösen Zugehörigkeit“, das zur Trennung von Kirche und Staat in Widerspruch stünde, sagte der Minister.
Das geplante Kopftuchverbot für Volksschulmädchen begründete Faßmann damit, dass mit diesem Kleidungsstück eine „spezifische Rollenzuschreibung“verknüpft sei. Die Schule habe aber das Ziel, dass Mädchen genauso selbstbestimmt aufwachsen können wie Burschen.
In Kindergärten gilt das Kopftuchverbot bereits seit 2018. Für ältere Kinder ist derzeit kein Kopftuchverbot angedacht, da dies der Religionsfreiheit widersprechen könnte.
Der parlamentarische Unterrichtsausschuss berät Dienstagnachmittag über ein Kopftuchverbot für Volksschulmädchen. Die SN baten vorab den Bildungsminister, eine Expertin für islamische Theologie und einen Experten für islamisches Recht zum Gespräch.
SN: Herr Afsah, Österreich diskutiert ein Kopftuchverbot über den Kindergarten hinaus. Wie ist Ihre Meinung?
Afsah: In der Diskussion wird bewusst verzerrt, dass die Frage des Kopftuchs keine ausschließlich ethnische und auch keine ausschließlich religiöse Frage ist. Man kann diese Frage nicht aus dem politischen Kontext der vergangenen 50 Jahre lösen. Wenn man sich den politischen Diskurs in den Herkunftsländern der muslimischen Minderheit in Europa ansieht, speziell in der Türkei, dem Iran und Saudi-Arabien, können wir eine ganz deutliche Politisierung des Kopftuchs als Symbol sehen. Und zwar als Symbol für eine gewisse ideologische Position. Welche das ist, werden wir im Lauf des Gesprächs noch diskutieren.
SN: Sie haben also Verständnis, wenn der Minister ein Verbot des Kopftuchs für Volksschülerinnen anstrebt?
Afsah: Ich persönlich bin der Meinung, dass es völlig richtig ist, das Kopftuch für Kinder und für sehr junge Mädchen zu verbieten. Denn zum einen gibt es für junge Mädchen vor der Geschlechtsreife kein religiöses Gebot, ein Kopftuch zu tragen. Selbst wenn es kulturelle Präferenzen der Eltern gibt, ist das abzuwägen mit anderen Interessen der Mehrheitsgesellschaft und der Minderheitsgesellschaft.
SN: Frau Aksünger-Kizil, viele halten das Kopftuch für ein Symbol der Unterdrückung. Ist es nicht auch ein Akt der Unterdrückung, das Tragen eines Kopftuchs zu verbieten?
Aksünger-Kizil: Es muss ausdifferenziert werden: Ist das Kopftuch ein Teil der Religiosität – oder ist es Aspekt einer politischen Ideologie? Aber wie schon erwähnt ist das Tragen eines Kopftuchs kein religiöses Gebot für vorpubertäre Mädchen. Aus alevitischer Perspektive gibt es überhaupt keine religiöse Vorschrift, die eine Bedeckung der weiblichen Person vorsieht. Das Tragen eines Kopftuchs ist bei uns Aleviten nicht der Gradmesser der Religiosität. Es geht um das ethischmoralische Handeln. Man muss also die religiöse Motivation des Kopftuchtragens erschließen und gleichzeitig darauf achten, ob es politisch instrumentalisiert wird.
SN: Auch Sie hätten also nichts gegen ein staatliches Gebot, das Kopftücher in bestimmten Situationen untersagt?
Aksünger-Kizil: Ich würde diese Entscheidung den Politikern überlassen. Dessen ungeachtet ist ein Verständigungsprozess mit denen notwendig, die es betrifft.
SN: Herr Minister, wie weit soll das Kopftuchverbot ausgedehnt werden?
Faßmann: Die Ausweitung soll Kin- der in der Primarstufe (Volksschule, Anm.) betreffen, nicht zuletzt deswegen, weil es einen gesellschaftspolitischen Konsens darüber gibt, spezifische Rollenzuschreibungen in dem Alter nicht zuzulassen. Und natürlich ist das Tragen eines Kopftuchs bei Mädchen ohne große theologische Notwendigkeit eine Rollenzuschreibung. Unser Schulsystem hat das entgegengesetzte Ziel: Wir wollen, dass die Rollen hinterfragt werden, dass bestimmte Stereotype ins Wanken kommen und dass Mädchen genauso selbstbestimmt aufwachsen wie Burschen.
SN: Müsste man so gesehen nicht das Kopftuch bis zur Matura untersagen?
Faßmann: Erstens steht das derzeit nicht zur Debatte. Und zweitens kommt dann das Argument der Religionsfreiheit ins Spiel. Bei den bis zu zehnjährigen Mädchen ist man diesbezüglich gleichsam auf der
sicheren Seite. Wir wollen das Kindeswohl in den Mittelpunkt rücken.
SN: Wie stehen Sie zu einem Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst? Bei Polizistinnen oder Lehrerinnen?
Faßmann: Im öffentlichen Dienst würde ich ein weltanschaulich, ideologisch und religiös neutrales Auftreten erwarten. Ein Kopftuch bei einer Lehrerin, einer Richterin, einer Polizistin wäre ein deutlich demonstratives Symbol einer spezifischen religiösen Zugehörigkeit. Das würde ich für Repräsentanten eines Staates, der Kirche und Staat trennt, als Widerspruch empfinden.
SN: Herr Afsah, teilen Sie die Meinung des Ministers?
Afsah: Kurz gefasst: Ja. Das Kopftuch kann angesichts der historischen Entwicklung, die ich vorher angedeutet habe, nicht neutral betrachtet werden. Wenn Sie den massiven ideologischen Druck betrachten, der sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut hat, und zwar nicht nur in fundamentalistisch regierten Ländern wie dem Iran, sondern in der gesamten muslimischen Welt, und wenn Sie die politische und ideologische Mobilmachung registrieren, die auch massiv Gewalt angewendet hat, um das Kopftuch in Bereiche zu bringen, wo es das vorher nicht gab, dann kann man es nicht gutheißen, wenn man mit einer kopftuchtragenden Richterin konfrontiert ist. – Im Übrigen ist es ja nicht nur das Kopftuch, es gibt auch Kleidungsvorschriften für Männer.
SN: Besteht nicht die Gefahr, dass ein Kopftuchverbot kontraproduktiv ist, weil es die betroffenen Mädchen aus dem öffentlichen Raum verdrängt? Weil sie ohne Kopftuch nicht außer Haus gehen wollen oder dürfen?
Aksünger-Kizil: Ich kann mir das in einigen Fällen leider vorstellen. Daher würde ich in dieser Sache vorschlagen, auch das Gespräch mit den Eltern zu suchen. Es muss ja eine Aufklärung darüber geben, warum das Kopftuch im schulischen Kontext (Volksschule) unerwünscht ist. Wir müssten dafür Sorge tragen, dass die Kinder nicht emotional gedrängt werden, so nach dem Motto: Wenn du ein Kopftuch trägst, dann bist du religiöser, sittsamer oder besser als die, die es nicht tragen. Das Kleidungsstück darf nicht zu einem Gradmesser werden darüber, ob ein Mensch gut oder schlecht, religiös oder nicht ist. So weit müssen wir bei den Eltern und bei den muslimischen Gemeinden kommen.
SN: Herr Afsah, Sie nannten das Kopftuch ein Symbol für eine fundamentalistische Entwicklung in der islamischen Welt. Was können wir in Europa tun, um nicht Teil dieser Entwicklung zu werden?
Afsah: Sie sehen in den letzten Jahrzehnten eine sehr massive ideologische Ausbreitung eines sehr spezifischen Islam. Diese Ausbreitung hat mit der iranischen Revolution und mit der saudischen Gegenreaktion auf diese Revolution zu tun. Der wahhabitische Islam hat die iranische Revolution damit beantwortet, seine extrem atavistische Vorstellung des Islam sehr massiv nach außen zu tragen. Das können wir auch nachvollziehen an den Institutionen, die die Saudis bezahlen. Und mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung sehen Sie die Auswirkungen auch im Verhalten der Menschen in der islamischen Welt. Auf dem indischen Subkontinent, wo früher niemand ein Kopftuch getragen hat, gehört es jetzt zum Straßenbild. Ähnliches hat sich auch in Malaysia, Indonesien und Zentralasien abgespielt. Und Sie sehen es auch in Europa. Die großen, institutionellen Moscheen, die es in Westeuropa gibt, sind fast ausschließlich von muslimischen Autokratien, besonders denen aus dem Golf, bezahlt
„Symbol eines gefährlichen Phänomens.“Ebrahim Afsah, Experte für Islam-Recht
worden. Das ist ein Problem, von dem sich Westeuropa in den vergangenen 40 Jahren elegant abgewandt hat, dem es sich aber stellen muss. Das Kopftuch ist nur das sichtbare Symbol eines Phänomens, das sehr viel größer ist – und ehrlich gesagt auch viel gefährlicher.
SN: Was kann getan werden?
Faßmann: Man kann zunächst – als Einwanderungsland – die Bedin- gungen des Zusammenlebens definieren. Als Einwanderungsland können wir auch festlegen, dass die Trennung von Staat und Kirche wesentlich ist. Wir können weiters bestimmen, dass – solange nicht grundsätzliche menschenrechtliche Argumente dagegensprechen – Kopftücher und Rollenstereotypen aus der Schule fernzuhalten sind. Entscheidend ist auch, was die Glaubensgemeinschaften daraus machen: Ob sie sagen, das Kopftuchverbot ist das Anzeichen eines Kulturkampfes, der gegen uns geführt wird, oder ob sie sich am Bauplan einer Einwanderungsgesellschaft beteiligen.
Zu den Personen:
Handan Aksünger-Kizil ist Professorin für Alevitisch-Theologische Studien an der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. Ebrahim Afsah ist Professor für Rechtswesen und Ethik im Islam am Institut für Islamisch-Theologische Studien und am Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung der Uni Wien.