Was sich hinter den Kulissen des Gipfels abspielte
Eineinhalb Stunden soll Theresa May Antworten schuldig geblieben sein. So kam es zur Verschiebung des Brexit.
BRÜSSEL. Die EU hat der britischen Premierministerin Theresa May nach einer turbulenten Gipfelnacht in Brüssel eine letzte Rettungsleine zugeworfen – und dabei auch im eigenen Interesse gehandelt. Denn ein Chaos-Brexit wäre auch für die EU-Länder durchaus turbulent.
Theresa May hatte zum Auftakt des Gipfels ihre 27 Kollegen nicht zum ersten Mal verblüfft, oder besser: verärgert. Teilnehmer berichteten, die Runde habe eineinhalb Stunden versucht, von der britischen Premierministerin zu erfahren, was sie zu tun gedenkt, um den längst ausverhandelten Brexit-Deal doch noch durch das Unterhaus zu manövrieren, und vor allem: Was plant sie, falls dies nicht gelingt? „Sie wurde drei Mal gefragt. Sie konnte nicht einmal sagen, ob und wann sie eine Abstimmung organisiert. Es war fürchterlich“, schilderte ein Diplomat. May sei nur ausgewichen. Es schien, als würde sie einen Chaos-Brexit in Kauf nehmen.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz verteidigte die Premierministerin am Tag darauf: Sie sei in einer „nicht leichten Situation“, habe selbst nicht für den Brexit gestimmt und bemühe sich nun, diesen geordnet zu vollziehen. „Sie hat immer wieder klar artikuliert, was sie will.“
Schließlich nahm in der Gipfelnacht die Runde von Emmanuel Macron über Angela Merkel bis zu Kurz die Dinge selbst in die Hand. Es sollte deutlich werden, dass die Wahl nicht bei der EU liegt, sondern bei London. Zu berücksichtigen war auch der Terminkalender. Von 23. bis 26. Mai wählen die EU-Bürgerinnen und -Bürger ein neues Europäisches Parlament. Mit oder ohne Briten?, lautet eine der vielen Fragen. Acht Stunden dauerte die Suche nach einem Konsens. Theresa May musste dabei den Raum verlassen. Nötig war nur ihre Zustimmung zum neuen Zeitplan. Und der sieht so aus: Geordneter Brexit am 22. Mai Wenn das britische Unterhaus den Austrittsvertrag kommende Woche annimmt, erfolgt der Brexit am 22. Mai. Das ist ein Tag vor Beginn der Europawahlen. Bis dahin bleibt London Zeit genug, den Beschluss der nötigen nationalen Begleitgesetze zum vereinbarten Austritt über die Bühne zu bringen. Es tritt eine zweijährige Übergangsphase in Kraft, während der das endgültige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU ausverhandelt wird. Oder Entscheidung am 12. April Falls das Unterhaus den Vertrag erneut ablehnt, ist der Stichtag der 12. April. Bis dahin soll Großbritannien „Angaben zum weiteren Vorgehen machen“. Das bedeutet: Die Briten legen einen harten Brexit hin.
Oder sie nehmen an den Europawahlen teil und der Brexit wird auf unbestimmte Zeit verschoben.
Oder sie ziehen ihr Austrittsansuchen wieder zurück.
Oder sie unterbreiten einen völlig neuen Vorschlag.
Der 12. April ist Stichtag, weil bis dahin die Wählerverzeichnisse bei den EU-Wahlbehörden aufliegen müssen. Der Originaltext Die Schlussfolgerung lautet: „Der Europäische Rat stimmt einer Fristverlängerung bis zum 22. Mai 2019 unter der Voraussetzung zu, dass das Austrittsabkommen in der nächsten Woche vom Unterhaus gebilligt wird. Falls das Austrittsabkommen in der nächsten Woche nicht vom Unterhaus gebilligt wird, stimmt der Europäische Rat einer Fristverlängerung bis zum 12. April 2019 zu und erwartet vom Vereinigten Königreich vor diesem Datum Angaben zum weiteren Vorgehen zur Prüfung durch den Europäischen Rat.“
Und: „Der Europäische Rat bekräftigt, dass nicht erneut über das Austrittsabkommen, das im November 2018 zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich vereinbart wurde, verhandelt werden kann.“
Mehr als drei Millionen Briten unterzeichneten bislang eine an das britische Unterhaus gerichtete Onlinepetition, in der gefordert wird, den Brexit abzusagen.