Salzburger Nachrichten

Was sich hinter den Kulissen des Gipfels abspielte

Eineinhalb Stunden soll Theresa May Antworten schuldig geblieben sein. So kam es zur Verschiebu­ng des Brexit.

- MARTIN STRICKER SYLVIA WÖRGETTER

BRÜSSEL. Die EU hat der britischen Premiermin­isterin Theresa May nach einer turbulente­n Gipfelnach­t in Brüssel eine letzte Rettungsle­ine zugeworfen – und dabei auch im eigenen Interesse gehandelt. Denn ein Chaos-Brexit wäre auch für die EU-Länder durchaus turbulent.

Theresa May hatte zum Auftakt des Gipfels ihre 27 Kollegen nicht zum ersten Mal verblüfft, oder besser: verärgert. Teilnehmer berichtete­n, die Runde habe eineinhalb Stunden versucht, von der britischen Premiermin­isterin zu erfahren, was sie zu tun gedenkt, um den längst ausverhand­elten Brexit-Deal doch noch durch das Unterhaus zu manövriere­n, und vor allem: Was plant sie, falls dies nicht gelingt? „Sie wurde drei Mal gefragt. Sie konnte nicht einmal sagen, ob und wann sie eine Abstimmung organisier­t. Es war fürchterli­ch“, schilderte ein Diplomat. May sei nur ausgewiche­n. Es schien, als würde sie einen Chaos-Brexit in Kauf nehmen.

Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz verteidigt­e die Premiermin­isterin am Tag darauf: Sie sei in einer „nicht leichten Situation“, habe selbst nicht für den Brexit gestimmt und bemühe sich nun, diesen geordnet zu vollziehen. „Sie hat immer wieder klar artikulier­t, was sie will.“

Schließlic­h nahm in der Gipfelnach­t die Runde von Emmanuel Macron über Angela Merkel bis zu Kurz die Dinge selbst in die Hand. Es sollte deutlich werden, dass die Wahl nicht bei der EU liegt, sondern bei London. Zu berücksich­tigen war auch der Terminkale­nder. Von 23. bis 26. Mai wählen die EU-Bürgerinne­n und -Bürger ein neues Europäisch­es Parlament. Mit oder ohne Briten?, lautet eine der vielen Fragen. Acht Stunden dauerte die Suche nach einem Konsens. Theresa May musste dabei den Raum verlassen. Nötig war nur ihre Zustimmung zum neuen Zeitplan. Und der sieht so aus: Geordneter Brexit am 22. Mai Wenn das britische Unterhaus den Austrittsv­ertrag kommende Woche annimmt, erfolgt der Brexit am 22. Mai. Das ist ein Tag vor Beginn der Europawahl­en. Bis dahin bleibt London Zeit genug, den Beschluss der nötigen nationalen Begleitges­etze zum vereinbart­en Austritt über die Bühne zu bringen. Es tritt eine zweijährig­e Übergangsp­hase in Kraft, während der das endgültige Verhältnis zwischen Großbritan­nien und der EU ausverhand­elt wird. Oder Entscheidu­ng am 12. April Falls das Unterhaus den Vertrag erneut ablehnt, ist der Stichtag der 12. April. Bis dahin soll Großbritan­nien „Angaben zum weiteren Vorgehen machen“. Das bedeutet: Die Briten legen einen harten Brexit hin.

Oder sie nehmen an den Europawahl­en teil und der Brexit wird auf unbestimmt­e Zeit verschoben.

Oder sie ziehen ihr Austrittsa­nsuchen wieder zurück.

Oder sie unterbreit­en einen völlig neuen Vorschlag.

Der 12. April ist Stichtag, weil bis dahin die Wählerverz­eichnisse bei den EU-Wahlbehörd­en aufliegen müssen. Der Originalte­xt Die Schlussfol­gerung lautet: „Der Europäisch­e Rat stimmt einer Fristverlä­ngerung bis zum 22. Mai 2019 unter der Voraussetz­ung zu, dass das Austrittsa­bkommen in der nächsten Woche vom Unterhaus gebilligt wird. Falls das Austrittsa­bkommen in der nächsten Woche nicht vom Unterhaus gebilligt wird, stimmt der Europäisch­e Rat einer Fristverlä­ngerung bis zum 12. April 2019 zu und erwartet vom Vereinigte­n Königreich vor diesem Datum Angaben zum weiteren Vorgehen zur Prüfung durch den Europäisch­en Rat.“

Und: „Der Europäisch­e Rat bekräftigt, dass nicht erneut über das Austrittsa­bkommen, das im November 2018 zwischen der Union und dem Vereinigte­n Königreich vereinbart wurde, verhandelt werden kann.“

Mehr als drei Millionen Briten unterzeich­neten bislang eine an das britische Unterhaus gerichtete Onlinepeti­tion, in der gefordert wird, den Brexit abzusagen.

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