Ein Plädoyer für Toleranz
Die Osterfestspiele Salzburg zeigen 2019 „Die Meistersinger von Nürnberg“. Für Dirigent Christian Thielemann und Regisseur Jens-Daniel Herzog besitzt Wagners Oper große Relevanz für die Gegenwart.
Sie sei die „perfekte Integrationsoper“und „ein Plädoyer für Toleranz“. Mit diesen Worten beschreibt Christian Thielemann „Die Meistersinger von Nürnberg“. Richard Wagners 1868 uraufgeführtes Meisterwerk nimmt für Christian Thielemann eine besondere Position ein, sowohl im Schaffen des Komponisten als auch für ihn selbst als Dirigenten – ist sie doch seine deklarierte Lieblingsoper. Bereits „etwa 40 bis 50 Mal“hat Christian Thielemann sie geleitet und kennt sie also bestens. Sie sei für ihn „der Dreh- und Angelpunkt des Wagner’schen OEuvres“, sagt er. Zugleich besitze sie eine Art Sonderstatus: „Er hatte aus seinen bis dahin geschriebenen Werken die Summe gezogen und ich glaube, er hatte einfach auch mal richtig Lust darauf, ein überwiegend unbeschwertes Stück zu schreiben. Es ist ja sogar eine Komödie.“
Diese Komödie hat freilich deutlichen Tiefgang und trägt Botschaften in sich, die auch heute Gültigkeit haben. Christian Thielemann verweist besonders auf die zentrale Figur des Hans Sachs, die sich bemüht, die zerstrittene Nürnberger Gesellschaft wieder zu einen. Sachs mahnt die vorschnell über einen „Außenseiter“Urteilenden, man möge doch akzeptieren, dass Regeln durchaus auch Ausnahmen vertrügen – und vor allem erst einmal jemandem, der neu in die Gesellschaft komme, zuhören, bevor man gleich ein Urteil über ihn fälle. „Nichts passt besser in unsere Zeit als ,Die Meistersinger von Nürnberg‘“, resümiert Christian Thielemann. Was uns Wagner vermitteln wollte, insbesondere durch die Figur des Sachs: „Wenn ihr mit eurer Tradition in Ruhe lebt, dann seid ihr offen für das Neue.“
Regisseur Jens-Daniel Herzog stößt in nahezu das gleiche Horn: „Alle Fragen, die in dem Werk diskutiert werden, etwa wohin es mit der Kunst geht, wie unser Bezug zur Tradition ist, wie unser Entwurf für gesellschaftliches Zusammenleben aussieht, wie offen das Theater ist, das sind Fragen, die heute unter den Nägeln brennen und denen wir uns stellen müssen. Etwa: Muss man die Regeln brechen, um neue Kunst zu formulieren oder um die alte überhaupt zu erhalten?“
Jens-Daniel Herzog kann auf reiche Theatererfahrung als Regisseur und Intendant zurückgreifen. Von 2011 bis 2018 war er Intendant der Oper Dortmund. Seit Beginn der aktuellen Spielzeit hat er die Position des Staatsintendanten und Operndirektors des Staatstheaters Nürnberg inne. Die Theaterwelt bringt Herzog nun auch tatsächlich auf die Bühne: „Wir haben uns entschieden, die ganze Geschichte in der Welt des Theaters zu spielen, in einem Theatrum Mundi. Es ist eine große Reise durch ein Theater, das gerade eine alte Inszenierung der „Meistersinger“im Repertoire hat“, schildert der Regisseur seinen Ansatz. „Das Ganze ist ein großes ,Roadmovie‘, bei dem man, würde man das Stück nicht kennen, wenig darauf setzen würde, dass die beiden Liebenden am Ende zusammenkommen. Aber sie kommen zusammen, denn es ist ja eine Komödie.“
Kann denn nun Kunst als verbindendes Element in der Gesellschaft funktionieren, wie es Wagner in seinem idealisierten Nürnberg des 16. Jahrhunderts darstellt, in dem Musik und Meistergesang die Gesellschaft zusammenhalten – und kann sie es vor allem heute? Jens-Daniel Herzog erläutert: „Der Anspruch Wagners ist es generell, dass die Kunst die Religion als Funktionselement in der Gesellschaft ersetzt. Religion kann nicht mehr das Bindeglied und nicht mehr so sinnstiftend sein, wie es die Kunst sein kann. Das war ein revolutionärer und radikaler Ansatz, aber dieser ist in den „Meistersingern“durch den Spiegel der Komödie gebrochen. Ich denke, das Werk stellt vor allem Fragen. Eine große Oper der Toleranz ist es auf jeden Fall. Man versucht mit den Mitteln der Kunst, Frieden zu stiften.“
Besetzt sind die „Meistersinger“bei den Osterfestspielen Salzburg 2019 mit Sängerinnen und Sängern von Weltformat. „Der Sachs ist wahrscheinlich die schönste Wagner-Rolle, die es überhaupt gibt“, schwärmt Christian Thielemann von jener Partie, für die er schon vor Jahren einen jener Sänger gewinnen konnte, mit dem er bereits besonders intensiv zusammengearbeitet hatte: Georg Zeppenfeld. Der Bass wurde bei den Osterfestspielen zuletzt 2017 als Hunding in der „Walküre“gefeiert. Nach drei Jahren intensiven Rollenstudiums gibt er nun in Salzburg sein Debüt in der anspruchsvollen Rolle des Hans Sachs.
Eine nicht minder herausfordernde Partie ist jene der Eva, mit der sich eine junge amerikanische Sopranistin erstmals in Salzburg präsentiert: Jacquelyn Wagner, die in dieser Rolle bereits an der Mailänder Scala brillierte. In der Besetzungsliste der weiteren Hauptrollen finden sich unter anderem die Namen besonderer Publikumslieblinge, etwa jener des gefeierten Wotan aus der „Walküre“von 2017, Vitalij Kowaljow, der nun in der Rolle des Pogner zurückkehrt. Klaus Florian Vogt, der nicht nur in Bayreuth als Stolzing besonders gefragt ist, konnte für diese Partie zu den heurigen Osterfestspielen verpflichtet werden. Adrian Eröd gilt nicht nur in Wien als einer der Interpreten des Beckmessers schlechthin. Und Sebastian Kohlhepp war 2018 in Salzburg in der Mozartwoche als Belmonte in der „Entführung aus dem Serail“zu hören und singt nun zu Ostern den David.
Meisterlicher Gesang also ist zu erwarten in einer spannenden Opernproduktion, für die Jens-Daniel Herzog Kurzweil ankündigt – trotz der Länge des Werks: „Das erste Gesetz der Komödie ist Timing, Schnelligkeit, Tempo, und dass man dem Zuschauer immer in den Pointen voraus ist. Die „Meistersinger“haben nun eben gewisse Längen, und das Werk ist nicht kurz. Daher tun wir alles, um Abwechslungsreichtum hineinzubringen, Anspielungen aus der Welt und der Geschichte des Theaters und der Oper. Dadurch haben wir die Möglichkeit zu einer großen poetischen Reise durch Theaterbilder.“