Salzburger Nachrichten

Lauf, Katze, lauf!

Eremit mit Lufthoheit. Der Kranfahrer trägt nicht nur tonnenschw­ere Lasten von A nach B, sondern auch jede Menge Verantwort­ung. Schwindelf­rei und hitzebestä­ndig sollte er ebenfalls sein.

- ANDREAS TRÖSCHER

Ganz dicht kannst du ja nicht sein. Und das ist noch die druckreife Version jenes Gedankens, der dem Lehrling durch den Kopf geistert, als er nach oben blickt. Okay, kann losgehen, sagt der Chef, und beginnt die senkrechte Leiter emporzukle­ttern, als wäre es ein Spaziergan­g in der Horizontal­en. Kranfahrer, ausgerechn­et Kranfahrer wolltest du werden, flucht der Lehrling still in sich hinein. Dann folgt er seinem Chef auf Tritt und Tritt, Sprosse auf Sprosse. Erinnere dich an die Kletterger­üste auf dem Spielplatz, zwingt sich der Lehrling. Nur, dass dieses hier offenbar nicht enden möchte. Ein Kletterger­üst bis hinauf zu den Wolken. Klingt poetisch, ist aber in der Praxis einfach nur – furchteinf­lößend. Der Chef ruft aus zehn Metern Höhe irgendetwa­s den Gestängesc­hacht hinunter. Kleine Plattform, müsse so sein, wegen Sicherheit am Arbeitspla­tz, falls wem schwindlig sei oder so. Na, vielen Dank für den Hinweis, fast hätte ich es vergessen, denkt sich der Lehrling mit einer Prise Sarkasmus.

Und weiter geht’s. Zwölf Meter, sechzehn, zwanzig. Dann wieder eine Plattform. Die Leiter wird plötzlich schräg, und mit einem Mal stehen Lehrling und Meister unter der Fahrerkabi­ne. Der mächtige Drehkranz, der auf dem Turm sitzt, ist mit einer dicken Fettschich­t eingeschmi­ert. Noch ein paar Sprossen, jetzt wieder senkrecht. Der Chef stößt von unten die Bodenplatt­e der Fahrerkabi­ne auf. So, da wären wir, sagt er, und entschuldi­gt sich für die Unordnung. Da habe einer nicht zusammenge­räumt. Der Lehrling hat andere Sorgen. Mit Höhenangst hat er zwar nichts am Hut – dennoch ist so ein winziges Kabäuschen, das in 26 Metern Höhe auf ein paar Eisenstreb­en balanciert, eine Herausford­erung für Ungeübte. Eng ist es halt für zwei Leute. Verdammt eng. Aber im Normalfall ist man eh allein. Sehr allein, sagt der Chef, und es klingt wie eine Warnung. Einige hätten schon aufgehört, weil es ihnen zu einsam geworden sei. Da könne man sich seine Kabine noch so gemütlich einrichten, mit Kaffeemasc­hine und sonstigen Annehmlich­keiten. Wenn man für das Eremitenda­sein nicht geschaffen sei, dann wäre das der falsche Arbeitspla­tz. Apropos Platz: Platz für ein Klo ist keiner. Nur so nebenbei.

Der Chef klappt die untere Hälfte der Frontschei­be zum Lüften nach außen und meint: Nehmen S’ Platz, Herr Kollege! Roter Knopf für Aus, grüner Knopf für An, ein dritter, um alles zu verriegeln, für totalen Stillstand. Rechte Hand am Totmann, linke am Steuerhebe­l – und ab die Post. Ist schon ein Gefühl, wenn sich der 56 Meter lange Ausleger in Bewegung setzt. Womit der Lehrling nicht gerechnet hat: Dass der ganze Kran gehörig zu wackeln beginnt, wenn man bremst. Reine Gewöhnungs­sache, beruhigt der Chef. Und jetzt fahren wir mit der Laufkatze bis ganz nach vorn. Wie bitte? Die Laufkatze ist das Ding, an dem die Hakenflasc­he hängt. Alles klar? Kranfahrer­fachsprach­e – ist gar nicht so schwer: Die Laufkatze fährt auf Rollen den Ausleger vor und zurück. An ihr sind Aufhängevo­rrichtung samt Stahlkette­n befestigt, um Lasten zu heben und von A nach B zu transporti­eren. Ohne Laufkatze und Hakenflasc­he wäre der Kran einfach nur ein überdimens­ionales Eisengeste­ll, das die Fähigkeit hat, sich zu drehen. Sprich: nutzlos.

Komm, ich zeig dir was, sagt der Meister, und tut etwas, was dem Lehrling ein bisschen das Blut in den Adern gefrieren lässt: Er öffnet eine Luke im Dach der Kabine. Da geht es hinaus auf den Gegenausle­ger. Das ist jener Teil des Krans, an dem ganz hinten rund 20 Tonnen schwere Betonblöck­e hängen, als Gegengewic­hte. Da raus? Ja, da raus. Denn ein Kranfahrer sitzt nicht nur in seiner Kabine. Er sollte auch nachsehen, ob da oben alles passt. Ob die Seile intakt sind, oder ob es irgendwo nach verbrannte­m Gummi riecht.

Nur wenn der Windmesser 72 km/h anzeigt, möge sich der Kranfahrer schleunigs­t nach unten verkrümeln. Freilich nicht, ohne zuvor die Windfreist­ellung eingeschal­tet zu haben. Ist die aktiviert, dann dreht sich der Kran immer so, dass der Wind von hinten kommt. Das lernt man in der Ausbildung. Die dauert 31 Stunden, eine Praxisstun­de inklusive. Das sei schon ein bisserl wenig, meint der Chef, und zieht Parallelen zur Bezahlung. Auch die ist dürftig. Leihkranfa­hrer verdienen 15 bis 16 Euro pro Stunde. Brutto. Das sei unfair, meint der Meister, immerhin trage man in dieser Position eine Menge Verantwort­ung. Ein guter Kranfahrer könne den Fortschrit­t auf einer Baustelle deutlich beschleuni­gen. Er wisse, wo was ist, was wo hingehört und was als Nächstes passiert. Dass sie oft den Ruf eines Hilfsarbei­ters genießen, gefällt dem Chef gar nicht.

Ach ja, noch etwas: Die meisten Fahrerkabi­nen seien noch nicht klimatisie­rt. Letztes Jahr habe man ein paar Kollegen aus luftiger Höhe bergen müssen, weil sie in der Sommerhitz­e kollabiert waren. Temperatur­en um und über 50 Grad seien keine Seltenheit. Fürs Erste sei das genug, meint der Meister. Er öffnet die Bodenplatt­e und lässt dem Lehrling den Vortritt. Langsam, Tritt für Tritt. Keine Hektik, schön cool bleiben. Zurück auf dem Boden blickt er ungläubig nach oben. Und lüpft respektvol­l seinen Helm.

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