Immer wieder gute Aussichten
Nordzypern. Längst ist auch der Norden der geteilten Insel auf die touristische Landkarte zurückgekehrt – völlig zu Recht.
Von der Dachterrasse des Saray-Hotels in Lefkoşa, dem türkischen Teil der geteilten zyprischen Hauptstadt Nikosia, öffne sich ein lohnender Blick, schreiben die Reiseführer. Doch wer das betagte Gebäude betritt und aufwärts strebt, wird von der Rezeptionistin gebremst: Das Panorama-Restaurant sei geschlossen, das Stockwerk gesperrt. Ob man nicht ausnahmsweise trotzdem …? Sorry, nein, also aussichtslos. Macht nichts, es ist auch unten schön, denkt der Besucher: Verwinkelte Gassen mit orientalischem Flair führen vom Atatürk-Platz zum Hamam, dem durchaus aktiven türkischen Dampfbad, und weiter zum Büyük Han, der Großen Karawanserei, die heute als Kaffeehaus fungiert und in den Zellen des Oberstocks Souvenirshops beherbergt. Den weiteren Weg aber versperrt rostiger Stacheldraht, jener, der seit Jahrzehnten türkisches von griechischem Siedlungsgebiet trennt. An einigen Stellen ist diese Demarkationslinie, die sich quer durch die ganze Insel zieht, durchlässig. Aber da der Reisende die Südhälfte Zyperns schon kennt, schlägt er einen Haken und steht vor einer „gotischen Moschee“: Nach der Eroberung der Insel 1571 verwandelten die Osmanen die spitzbögige Sophienkathedrale in ein moslemisches Bethaus. Die neuen Herren räumten den Figurenschmuck ab, kalkten den Innenraum, bauten Gebetsnische und Kanzel ein. Nur an der ehemaligen Nikolaus-Kirche gleich daneben überlebte ein Marientod-Relief.
Aussichtsreicher als Lefkoşa zeigt sich Famagusta, der zweitgrößte Ort der Türkischen Republik Nordzypern. Passend zum jeweiligen Sonnenstand bieten dort gleich zwei View Points Rundblicke. Neben dem Othello-Turm ( „Hast du zur Nacht gebetet, Desdemona?“) geht der Blick vom Seetor aus nach Südwesten. Noch prächtiger aber, weil mit Meer im Hintergrund, präsentiert sich das Panorama vom Landtor der erhaltenen venezianischen Festungsmauer. Wieder überragt eine gotische Moschee das Häusermeer, diesmal die ehemalige Nikolaus-Kathedrale, der ein Mini-Minarett aufgesetzt wurde.
Nur die Geisterstadt Varosha, einst Badevorort Famagustas, heute unzugängliche Pufferzone unter UNO-Aufsicht, ist kein schöner Anblick – mit Hotelruinen von Exilgriechen. Apropos Teilung: Theoretisch gilt die EU-Mitgliedschaft für die ganze Insel, frei nach dem Tiroler Motto „Zypern isch lei oans“. Da aber die Türkische Republik Nordzypern von Brüssel nicht anerkannt wird, gehört sie de facto nicht dazu.
Wenige Kilometer nördlich von Gazimağusa, so Famagustas aktueller Name, erwartet den Besucher die bedeutendste archäologische Zone des ganzen Eilands, das antike Salamis. Seine 120.000 Einwohner zur Römerzeit sind kaum weniger als heutzutage die drei größten nordzyprischen Städte zusammen. Während Touristengruppen vor den korinthischen Säulen des Gymnasiums Selfies schießen, um dann in einem Granatapfelsaftladen zu relaxen, finden Einzelgänger zwischen den Ruinen südlich des Theaters himmlische Ruh’. Salamis eng benachbart liegen jahrtausendealte Königsgräber und das griechisch-orthodoxe BarnabasKloster, nun ein Ikonenmuseum. Die Bilderwand erscheint intakt, die Wandmalereien aber sind in beklagenswertem Zustand. Gut dass der zyprische Nationalheilige Barnabas das nicht mitansehen muss; er ruht in einer separaten Kapelle.
Das ungeteilte Zypern war noch britische Kronkolonie, als sich der Schriftsteller Lawrence Durrell in Bellapais an den Hängen des Fünffingergebirges niederließ. Wie damals bietet auch heute der Ort eine herrliche Vogelschau auf die Ruine einer mittelalterlichen Abtei. Feierlich bewacht von sieben schlanken Zypressen und inmitten von Johannisbrot- und Lorbeerbäumen, Feigen und „Bittere(n) Limonen“, so der Titel von Durrells lesenswertem Buch, das er in dieser Traumlandschaft schrieb.
Höhepunkt jedoch ist der Blick vom Kastell von Kyrenia, türkisch Girne, Nordzyperns drittgrößter Stadt. Genauer gesagt jener vom nördlichen Rundturm, zu dem man als Tourist eigentlich nicht vordringen dürfte, auf den hufeisenförmigen Hafen mit „Piratenbooten“, Yachten und Fischkuttern. Hasenfüße begnügen sich mit dem Panorama von einer der Dachterrassen rund um das Hafenrund, etwa jener des White Pearl Hotels.
Bleibt noch die Karpas-Halbinsel, jener keck anatolienwärts zeigende lange Finger. An ihm liegt der Golden Sands Beach, Zyperns schönster Badestrand. Bis Ostern freilich machen hier nur Esel Urlaub, die vierbeinigen wilden, für die die Gegend berühmt ist.