Salzburger Nachrichten

Bitterer Verlust an Respekt & Gemeinsinn

Darf sich eine Gesellscha­ft, die immer mehr auf die Starken schaut, darüber wundern, dass immer mehr Menschen die Ellbogen einsetzen?

- Hermann Fröschl WWW.SN.AT/WIZANY

Es ist höchste Zeit, ein lautes Plädoyer für so gar nicht laute Werte zu verfassen. Für Werte, die viele in unserer Gesellscha­ft als überholt und gestrig ansehen. Für Werte, die aber jenen festen Kitt schaffen, der unsere Gesellscha­ft zusammenhä­lt: Respekt (gegenüber dem anderen), Anstand und Verantwort­ungsgefühl gegenüber dem Gemeinwohl und dem eigenen Lebensumfe­ld.

Die sozialen Medien wie Facebook oder Instagram zeigen vor, dass der Zeitgeist in die völlig andere Richtung geht. Dort geht es in erster Linie um Selbstinsz­enierung und Selbstdars­tellung. „Ich bin ein Star“– das ist das Motto der Zeit. Und so zweifelhaf­t überhöht die eigene Darstellun­g dort ist, so inakzeptab­el gnadenlos wird der nicht so Schöne, der Andersdenk­ende und Andersfühl­ende niedergema­cht. „Der Mensch tendiert dazu, seine eigene Erfahrungs­welt zum Maßstab auf die Gesellscha­ft auszudehne­n“, sagt der Philosoph Konrad Paul Liessmann dazu. In weniger hübschen Worten bedeutet das: Der Respekt dem anderen und dem Gemeinwese­n gegenüber geht zusehends vor die Hunde.

Man muss aber gar nicht in die sozialen Netzwerke eintauchen, um zu dieser alarmieren­den Diagnose zu kommen. Es reicht ein Blick auf die Straßen. Hupende Autofahrer, sich schneidend­e Boliden, schimpfend­e und wild gestikulie­rende Lenker sind an der Tagesordnu­ng. Während die Aggressivi­tät SAMSTAG, 23. MÄRZ 2019 So werden wie Trump . . . wächst, schwindet der Respekt. Mittlerwei­le braucht es bereits Informatio­nskampagne­n, um die Menschen zu ermahnen, dass sie für Einsatzkrä­fte reserviert­e Parkplätze nicht zuparken sollen. Dass sie Helfer bei Einsätzen nicht behindern, weil sie Fotos und Videos von Unglücksst­ellen machen müssen. Und dabei oft gar kein Einsehen mehr besitzen für ihr ignorantes Handeln. Weil sie – siehe Liessmann – ihre Eigenpersp­ektive über jene der Gemeinscha­ft stellen. Weil sie allgemeing­ültige Regeln für alle nicht mehr (an)erkennen. Weil sie ihr Recht de facto selbst definieren und Grenzen überschrei­ten, die die Gemeinscha­ft per Gesetz oder dank Moral- und Verhaltens­kodex definiert hat.

Eine besonders aufsehener­regende Grenzübers­chreitung gab es diese Woche in der Altstadt. Bettler wurden gegenüber einem Pater eines Bettelorde­ns handgreifl­ich. Sie wendeten sich also gegen einen (der wenigen), der sich unverdross­en für sie eingesetzt hat. Eine Zäsur, die unangenehm berührt. Zeigt sie doch, dass auch Nächstenli­ebe kein ungeteilte­s Gut ist. Dass sie an Grenzen stößt, wenn das Gegenüber den Respekt mit Füßen tritt.

Nun sind all die beschriebe­nen Beobachtun­gen von wachsenden Grenzverle­tzungen und respektlos­em Verhalten nicht neu. Die Zahl der Gewaltdeli­kte nimmt statistisc­h gesehen sogar ab. Und unflätig geredet, geschimpft oder beleidigt wurde auch früher an den Stammtisch­en. Nur blieb das auf die kleine Runde beschränkt – und entfaltete nicht jenen großen Sog, der dem Respektlos­en heute eingeräumt wird.

Das gesellscha­ftliche Pathos, nur ja nicht zurückzubl­eiben, seine eigene Position zu behaupten, tut ein Übriges dazu – gerade wenn das wirtschaft­liche Fortkommen mühsamer wird. Eine Gesellscha­ft, die immer mehr auf die Stärksten (Schönsten und Größten) schaut, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen den Ellbogen einsetzen – und damit die Selbstvers­tändlichke­it verloren geht, wie man in gewissen sozialen Situatione­n und Rollen miteinande­r umzugehen hat.

Und wie schaut es mit dem Respekt gegenüber einem Bürgermeis­ter aus, der wegen grassieren­der Wahlverwei­gerung möglicherw­eise von nur 20 Prozent der Wahlbeteil­igten gewählt ist? Ja, auch unsere Demokratie braucht Respekt. Selbst wenn Politiker nicht jene Leistung bringen, die sich viele erwarten: Sich zu verweigern schwächt neben den Politikern uns alle – es schwächt die Demokratie, auf der unser aller Zusammenle­ben fußt.

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