Die um die Wette trudeln
Airbus gegen Boeing, das ist Brutalität. Der Absturz der zweiten Boeing 737 Max nützt dem Konkurrenten aus Europa. Aber der kann den Vorteil nicht nutzen. Und hat selbst eigene Probleme.
Zehn bis 20 Minuten dauert es, bis ein Flugzeug des Typs Boeing 737 Max 8 die übliche Reiseflughöhe von 12.500 Metern erreicht. Es ist eine kritische Phase, weil das Flugzeug nach dem Start noch vergleichsweise langsam unterwegs ist. In dieser Zeit verloren die Piloten des Flugs ET302 am 10. März endgültig die Herrschaft über das Flugzeug. Schlimm genug, wenn es ein Einzelfall gewesen wäre. Doch der Absturz des Flugzeugs in Äthiopien vor zwei Wochen hat eine auffallende Parallele zu einem zweiten Unglück vom Oktober 2018, wo eine baugleiche Maschine von Boeing ebenfalls im Steigflug ins Trudeln geriet.
Abgesehen von der menschlichen Tragödie – insgesamt kamen 346 Menschen ums Leben – ist das ein Worst-Case-Szenario, der schlimmstmögliche Fall für den Hersteller Boeing. Denn Experten sehen aufgrund der FlugschreiberDaten einen klaren Zusammenhang der Unfälle und ein technisches Problem, vermutlich mit der Software. Ein in der Geschichte der Luftfahrt ziemlich einzigartiger Vorfall, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Friedrich Großbongardt. „Zwei Abstürze hauen schon ins Kontor.“Der für den USFlugzeughersteller Boeing entstandene wirtschaftliche und imagemäßige Schaden ist noch gar nicht zu ermessen.
Fest steht nur, dass die Kosten enorm sind und mit jedem Tag steigen. Die großen Flugsicherheitszentralen EASA (für Europa) und die FAA (USA) haben de facto ein Flugverbot für Boeing 737 Max 8 ausgesprochen. Die rund 350 ausgelieferten Flugzeuge müssen auf dem Boden bleiben. Die Auslieferung der 5000 bereits bestellten Flugzeuge liegt auf Eis. Zudem drohen Schadenersatzklagen von Fluggesellschaften für die Ausfälle, wie dies der Billigflieger Norwegian bereits angekündigt hat. Allein der Schadenersatz für die Hinterbliebenen könnte in den Milliardenbereich gehen, weil US-Richter bei zivilrechtlichen Schadenersatzzahlungen sehr großen Spielraum haben.
Der Börsenkurs der Boeing-Aktie ist in kurzer Zeit um fast 15 Prozent eingebrochen. Im Gegenzug haben Aktien des europäischen Boeing-Konkurrenten Airbus Group deutlich zugelegt – und seit dem Boeing-Absturz mehrfach neue historische Höchststände verzeichnet. Dabei ist freilich auch zu berücksichtigen, dass sich die AirbusAktie schon länger im Höhenflug befindet. Seit Mitte Dezember betrug der Kursanstieg fast 50 Prozent, der Großteil fand bereits vor dem Boeing-Absturz statt. Lässt sich daraus auch eine zu erwartende Verschiebung vom Luftfahrtpionier Boeing hin zum europäischen Herausforderer Airbus ableiten? Die Antwort fällt nach einem Rundruf bei Experten nicht eindeutig aus. Kurzfristig sprechen zwar etliche Punkte für die Europäer, ist man sich einig. Etliche Boeing-Kunden nutzen die Gunst der Stunde, um Aufträge zu stornieren oder nachzuverhandeln, wenn das möglich ist. Doch allzu große Verschiebungen bei den fast ausgeglichenen Marktanteilen werde es vorerst gar nicht geben können, sagt Aktienanalyst Christoph Schultes von der Erste Group. Denn der Airbus-Konzern– der mit dem A320 neo das Konkurrenzprodukt zur Boeing 737 Max anbietet – ist bis über beide Ohren mit Aufträgen eingedeckt. Der Rückstau liegt bei fünf bis sechs Jahren. Dazu kommt, dass die Entscheidung für eine bestimmte Flotte eine sehr langfristige Entscheidung ist. Viele Fluggesellschaften setzen schon aus Effizienzgründen entweder auf den einen oder den anderen Hersteller. „Eine einheitliche Flotte spart Kosten für Wartung und Ausbildung der Piloten“, sagt Peter Malanik, der Präsident des heimischen Luftfahrtverbands ÖLFV und davor AUA-Manager. Er spricht aus eigener Erfahrung: Der Flottensalat bei der AUA, entstanden durch die Integration der Lauda Air, sorgte für unnötige Komplexität und Zusatzkosten. Die jüngste Boeing-Katastrophe bedeutet zwar einen erheblichen Vertrauensverlust und wirtschaftlichen Rückschlag für Boeing. Aber auch beim Konkurrenten Airbus, einem europäischen Gemeinschaftsprojekt (vormals EADS), ist längst nicht alles eitel Wonne. Im Februar erst musste Airbus mit der vorzeitigen Einstellung des Riesenflugzeugs A380 ab 2021 einen herben Rückschlag verkraften. Die Nachfrage war unter den Erwartungen geblieben, zudem hatten wichtige Kunden wie Emirates und Qantas ihre Bestellungen zurückgefahren. Die Einstellung des einstigen Prestigeprojekts kostete Airbus in Summe mindestens einen hohen dreistelligen Millionenbetrag. Der A380 ist übrigens einer der seltenen Fälle, wo die beiden Konkurrenten unterschiedliche Strategien einschlugen. Während Airbus vor 20 Jahren auf steigenden Verkehr zwischen großen Flugdrehkreuzen setzte, der am besten mit Riesenflugzeugen zu bewältigen sein würde, baute Boeing lieber kleinere flexiblere Flugzeuge für den Punkt-zu-Punkt-Verkehr. Das erwies sich letztlich als die erfolgreichere Strategie.
Boeing und Airbus liefern sich seit Jahren einen erbitterten Wettkampf um die Vormachtstellung als führender Flugzeughersteller – nicht nur im zivilen, sondern auch im militärischen Bereich. Airlines haben im Wesentlichen nur die Entscheidung zwischen diesen beiden, die seit Jahrzehnten den Markt für Mittel- und Langstreckenflugzeuge dominieren. Zusammen haben sie rund 80 Prozent Marktanteil. Es handelt sich de facto um ein Duopol. Beide haben sich mittlerweile auch Einfluss auf die kleineren Anbieter Bombardier und Embraer gesichert. Zwar versuchen auch Newcomer wie der staatliche chinesische Hersteller Comac, in den lukrativen Markt für Mittelstreckenflugzeuge wie Boeing 737 oder Airbus A320 einzudringen, aber der Weg dorthin ist steinig und dauert lange.
Mit dem Gründungsjahr 1916 ist Boeing das ältere und deutlich größere der beiden Unternehmen. Der Umsatz von Boeing kletterte 2018 erstmals über die Marke von 100 Mrd. Dollar (88 Mrd. Euro), während Airbus mit 40 Mrd. Euro Umsatz nicht einmal halb so groß ist. Aber bei den aktuellen Auslieferungen von Flugzeugen liegen beide mit jeweils rund 900 Maschinen Kopf an Kopf. Es ist ein Gleichgewicht der Kräfte, ein natürlicher Zyklus, in dem einmal der eine, einmal der andere die Nase vorn hat. Peter Malanik beschreibt das Wechselspiel als ein permanentes „Auf und Ab, sie teilen sich den Markt, langfristig steht es immer halbwegs 50:50“.
Ein gewichtiges Argument spricht dafür, dass das so bleiben könnte: Die Existenz von zwei annähernd gleich starken Anbietern liegt im ureigensten Interesse der Kunden, also der Airlines selbst. Andernfalls wären sie einem Monopolisten mit Haut und Haar ausgeliefert. Aktuell profitieren alle Flugzeughersteller von einer guten Branchenkonjunktur. Der internationale Flugverkehr brummt, die Zeichen stehen auf Branchenwachstum in einer Größenordnung von fünf Prozent pro Jahr. Mittelfristig dürften davon alle Hersteller profitieren – trotz des einen oder anderen noch so tragischen Rückschlags, sagen die Experten. Malanik fasst es nüchtern zusammen: „Die Entscheidung zum A380 wird Airbus nicht umbringen. Und die Boeing 737 Max wird Boeing nicht umbringen.“