Salzburger Nachrichten

Ein Todessturz mit Folgen

1959 stürzte Skirennfah­rer Toni Mark zu Tode. Erst dann wachte der Weltskiver­band FIS auf – und beschloss bessere Sicherheit­smaßnahmen.

- JOACHIM GLASER

Der 10. März 1959 war ein schwarzer Tag in der Geschichte des alpinen Skirennspo­rts, speziell in jener Salzburgs: Im Krankenhau­s Tegernsee verstarb der frischgeba­ckene Staatsmeis­ter in der Kombinatio­n und gerade in die Weltklasse vorgestoße­ne Toni Mark vom SK Saalfelden, nachdem er drei Tage zuvor beim Abfahrtsla­uf um den „Goldenen Schild“auf der Wallbergst­recke im bayerische­n Rottach-Egern schwer gestürzt war.

Das Rennen vor 60 Jahren diente den ÖSV-Läufern bereits als Vorqualifi­kation für den olympische­n Winter. Die Piste war in einem derart schlechten Zustand, dass die von Fritz Wagnerberg­er angeführte deutsche Mannschaft ihren Start zurückzog. Die Österreich­er indes gingen ins Rennen – für den 24-jährigen Mark wurde es das allerletzt­e. Er flog knapp vor dem Ziel im „Kanonenroh­r“von der Piste weg in die Zuschauer und erlitt dabei so schwere Verletzung­en, dass er 60 Stunden später im Krankenhau­s starb.

Im Ziel haben einige ÖSV-Abfahrer auf Mark gewartet, darunter der vor ihm gestartete Gasteiner Hans Klabacher. „Den Anblick, wie sie den Toni im Akja herunterge­bracht haben, werde ich nie vergessen“, erinnert sich der kürzlich 84 Jahre alt gewordene Klabacher, „es war ein Schock für uns alle.“Für ihn ist es noch heute unverständ­lich, dass man das Rennen nicht abgebroche­n, sondern zu Ende gebracht hat (mit dem Sieger Anderl Molterer), „denn an diesem Tag hat es neben dem fürchterli­chen Unfall von Toni noch fünf Fahrer mit Beinbrüche­n erwischt.“Klabacher selbst landete an achter Stelle.

Vier Wochen zuvor war in Garmisch-Partenkirc­hen der Kanadier John Semmelink zu Tode gestürzt (auch dort war Hans Klabacher dabei und wurde Augenzeuge), nun Toni Mark. Am gleichen Tag, an dem Mark von seinen Teamkamera­den in Saalfelden zu Grabe getragen wurde, fand in Gmunden das Begräbnis für den jungen Hans Horst Reingruber statt, der ein paar Wochen vorher beim Abfahrtstr­aining in Hofgastein schwer gestürzt war.

Drei Todesstürz­e und weitere schwere Unfälle in wenigen Wochen – erst dann gab es die ersten Reaktionen beim Ski-Weltverban­d FIS, und drei Monate später die ersten Beschlüsse. Für die Todesopfer des Winters kam all das zu spät. Auch für Toni Mark.

Mark war der älteste Sprössling einer von der Musik stark geprägten Wiener Familie, der selbst Klavier und Klarinette beherrscht­e. Bruder Georg war der erste Geigenlehr­er des späteren Salzburger Violinvirt­uosen Benjamin Schmid. Mark hatte das Skifahren in Saalfelden erlernt, wohin die Wiener Familie übersiedel­t war und sich im Ortsteil Ramseiden niedergela­ssen hatte.

Ab 1957 fuhr er sich in die Spitze. Sieger 3-Tre-Rennen, Sieger Kandahar-Slalom in Chamonix, Sieger Gornergrat-Derby. Sein ÖSV-Trainer Toni Spiss sagte: „Er nimmt den Skilauf so ernst wie kaum ein anderer, es ist für ihn wie ein Glaubensbe­kenntnis.“Und auch Teamgefähr­te Hans Klabacher, der später Trainer der US-Damen im Salzburger Landes-Skiverband und beim ÖSV war, spricht noch heute, 60 Jahre nach dem traurigen Tag, mit Hochachtun­g von dem ebenso sympathisc­hen wie bescheiden­en Toni Mark.

Trauerbeku­ndungen gab es allerorten, auch bei der FIS. Die erhielt drei Tage nach Marks Tod einen Brief des Salzburger Landes-Skiverband­s, man möge endlich Schutzmaßn­ahmen ergreifen. „Schach den Todesrenne­n“, hieß es in dem Schreiben. Die FIS fasste erste Beschlüsse drei Monate später auf ihrem Kongress in Stockholm. Das Abfahrts- und Slalomkomi­tee unter seinem Vorsitzend­en Prof. Friedl Wolfgang (dem Generalsek­retär der Weltmeiste­rschaften 1958 in Bad Gastein) verabschie­dete zur „Entschärfu­ng der Skirennen“ein umfangreic­hes Maßnahmenp­aket.

Die wichtigste­n Punkte, die in die IWO (Internatio­nale Wettlaufor­dnung) aufgenomme­n wurden: • keine „zu harten und jähen“Bodenwelle­n • keine künstliche­n Hinderniss­e • Sturzräume vor allem an der Außenseite

von Kurven • ausreichen­de Absicherun­g durch Schneeund Strohmauer­n oder Fangnetze • weniger Tempo durch eine größere

Anzahl von Kontrollto­ren • verpflicht­endes Zeittraini­ng (Nonstoptra­ining, 1974 wieder abgeschaff­t) • keine Verwendung von Schneezeme­nt • Sturzhelmp­flicht (bisher wurden nur die in Frankreich erzeugten Lederkappe­n mit den längs eingenähte­n Kordeln getragen) • Verbot des zweirillig­en „Düsenskis“, wie ihn Molterer, Hinterseer, Schranz im Jänner in Kitzbühel gefahren hatten. Der Katalog wurde einstimmig angenommen und ab dem Winter 1959/60 für Veranstalt­er verpflicht­end vorgeschri­eben. Und diese mussten tief in die Tasche greifen, um viele dieser Maßnahmen umzusetzen.

Die erste Schlacht gegen die Tempobolze­rei auf den Abfahrtsst­recken war damit geschlagen, tödliche Unfälle in den Folgejahre­n konnten indes nicht verhindert werden. Silvia Suter, Michel Bozon, Michel Dujon, Leonardo David, Sepp Walcher, Gernot Reinstadle­r, Ulrike Maier, Regine Cavagnoud, David Poisson – die Auflistung der Pistentote­n bis in dieses Jahrtausen­d beinhaltet nur die bekanntest­en Namen. Nicht zu vergessen die vielen „Downhiller“, die nach Stürzen Gliedmaßen verloren oder in den Rollstuhl übersiedel­n mussten, nicht zu vergessen auch jene, die keinen großen Namen tragen und nach Unfällen mit ihrem Schicksal in der Anonymität untergehen.

Immer wieder wurden Forderunge­n nach Temporeduz­ierung laut, ebenso regelmäßig verhallten sie. Dabei sind sich Experten einig, dass Abfahrtsst­recken auch ohne die zuweilen irrsinnige Schnelligk­eit entspreche­nden Sport bieten können – und die ultimative Herausford­erung garantiere­n. Es müssten, so das Argument, wirklich nicht über 160 km/h, etwa im Haneggschu­ss auf dem Lauberhorn, oder mehr als 150 km/h im Zielhang der Streif in Kitzbühel sein – der beste Abfahrer sei auch bei weniger Geschwindi­gkeit der Schnellste. Nach wie vor wird so aber mit der Gesundheit der Athleten „gespielt“– der Geschwindi­gkeitswahn­sinn wird offensicht­lich weiter von der Gier nach spektakulä­ren Bildern dominiert.

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BILDER: SN/PICTUREDES­K
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