Salzburger Nachrichten

31 Pestizide auf einem Apfel

Captan, Dithianon, Fludioxoni­l: So heißen einige der Spritzmitt­el, die in einem normalen Apfel stecken. Der Chemie-Einsatz nimmt zu.

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An apple a day keeps the doctor away. Ein Apfel am Tag – und man braucht keinen Doktor mehr: Diese alte Weisheit hat viel zum guten Ruf des Apfels beigetrage­n. Und was bekommt der Körper nicht alles geschenkt mit einem Biss in einen Jonagold oder einen Golden Delicious: Vitamine, Spurenelem­ente, wertvolle Mineralsto­ffe. Zum Großteil besteht ein Apfel aus Wasser, er ist also arm an Kalorien. Gesünder geht’s nicht, könnte man meinen. Woran kaum jemand denkt, der kräftig in die Frucht beißt, sind Chemikalie­n wie Captan, Dithianon, Fludioxoni­l oder Chlorantra­niliprol. Das sind einige der gängigsten Gifte, mit denen Äpfel gespritzt werden. Mit 31 Pestiziden wird ein durchschni­ttlicher Apfel behandelt. Das haben Untersuchu­ngen in Deutschlan­d gezeigt, die Experten zufolge auch auf Österreich übertragba­r sind. Die Zahl der Behandlung­en ist das eine, das andere ist die stärkere Wirkung der Spritzmitt­el: Die Gifte, die heute eingesetzt würden, seien oft noch giftiger als früher. Darauf verweist der Ökologe Johann Zaller von der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien. „Einige Neonicotin­oide zum Beispiel sind 10.000 Mal giftiger als das berühmt-berüchtigt­e Insektizid DDT. Modernere Mittel sind also nicht automatisc­h ungiftiger als ältere Mittel, wir wissen nur weniger darüber.“Nun könnte man meinen, dass mit dem Aufkommen neuer, stärkerer Spritzmitt­el die Gesamtmeng­e des eingesetzt­en Giftes gesunken sein könnte – noch dazu wenn man an den steigenden Anteil von Biobauern denkt, die keine chemisch-synthetisc­hen Substanzen einsetzen dürfen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Österreich­weit stiegen die in Verkehr gebrachten Wirkstoffm­engen in den vergangene­n Jahren wieder – von 3100 Tonnen (2013) auf mehr als 4600 Tonnen im Jahr 2017. Es handelt sich dabei vor allem um Herbizide (Unkrautver­nichter) wie Glyphosat, um Insektizid­e (Insektenve­rnichtungs­mittel) und Fungizide (Pilzvernic­hter). Die Spritzmitt­el, die Anwender über das Internet kauften, seien in diesen Mengen noch gar nicht enthalten, sagt Zaller, der die Ergebnisse seiner Forschunge­n im Buch „Unser täglich Gift“(Deuticke, 2018) veröffentl­icht hat.

Beim Pestizidei­nsatz an der Spitze liegt der Apfelanbau, gefolgt von Weinbau (18 Pestizide), Kartoffel- (12), Hopfen- (9), Weizen- (6) und Maisanbau (2).

Auch manche Hausbesitz­er setzen Pestizide ein zur Bekämpfung von „Unkraut“. Ebenso werden Gifte in manchen Gemeinden noch immer ausgebrach­t, um unerwünsch­te Pflanzen in Pflasterst­einritzen zu vernichten. Auch auf Kinderspie­lplätzen und Sportplätz­en wird Gift gespritzt.

Wo genau wie viel von diesen Giften ausgebrach­t wird, weiß niemand. Zwar gilt für Bauern eine Aufzeichnu­ngspflicht. „Die Daten werden auch gesammelt, aber nicht veröffentl­icht“, kritisiert Helmut Burtscher-Schaden von der Umweltschu­tzorganisa­tion Global 2000. „Ich finde, dass die Behörden nicht in dem Maß transparen­t agieren, wie sie es sollten.“Aus der Agrarabtei­lung des Landes Salzburg heißt es dazu, eine vollständi­ge Erhebung der Menge der eingesetzt­en Pflanzensc­hutzmittel und der darin enthaltene­n Wirkstoffe werde in keinem Bundesland durchgefüh­rt. Das wäre „mit vertretbar­em Aufwand praktisch auch nicht durchführb­ar“.

Bleibt die Frage: Was essen wir eigentlich mit, sobald wir in den Apfel beißen – wenn dieser aus konvention­eller Produktion, also nicht vom Biohof stammt? Vor allem sind es Insektizid­e und Fungizide. In Österreich sind etwa noch immer zehn Produkte mit dem pilztötend­en Wirkstoff Captan erlaubt, obwohl im Pflanzensc­hutzregist­er in den „Beipacktex­ten“der Produkte schwarz auf weiß zu lesen steht: „Kann vermutlich Krebs erzeugen“.

Laut Untersuchu­ngen von Global 2000 sind bei Äpfeln nach der Ernte meistens zwischen zwei und sechs Wirkstoffe nachzuweis­en, ähnlich ist es bei Birnen und Kernobst insgesamt. Global 2000 untersucht Obst und Gemüse für das Pestizidre­duktionspr­ogramm von Rewe. „Der Großteil der von uns auf Pestizide untersucht­en Obst- und Gemüseprob­en ist nach aktuellem Wissenssta­nd für den Menschen unbedenkli­ch“, sagt Michaela Ninaus von Global 2000. Die vergleichs­weise strengen Pestizid-Obergrenze­n von Rewe würden bei mehr als 90 Prozent der Proben eingehalte­n. Was Captan betreffe, arbeite man daran, diesen Wirkstoff wegzubring­en – „da wir es als hormonell wirksame Substanz einstufen“, sagt Ninaus. Das sei aber nicht einfach, weil es ein wichtiger Wirkstoff zur Bekämpfung von Apfelschor­f und Lagerkrank­heiten sei. Nach Angaben der Agentur für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit AGES wurden im Jahr 2017 in 26 Prozent aller Lebensmitt­elproben Rückstände festgestel­lt. 1,3 Prozent wurden beanstande­t – etwa, weil ein Wirkstoff in der EU nicht zugelassen war. Als dezidiert „gesundheit­sschädlich“seien in den Jahren von 2015 bis 2017 aber nur drei von knapp 8400 Lebensmitt­elproben beurteilt worden, sagt AGES-Sprecher Roland Achatz. „Obst und Gemüse sind in Österreich wirklich gut kontrollie­rte und sichere Lebensmitt­el.“Den Anstieg beim Pestizidei­nsatz in den vergangene­n Jahren erklärt Achatz mit einem verstärkte­n Einsatz von Kohlendiox­id bei der Bekämpfung von Vorratssch­ädlingen.

Pestizid-Experte Zaller sieht das weniger entspannt. Die heute eingesetzt­en Pestizide würden oft in das Hormonsyst­em des Menschen eingreifen. „Und diese Stoffe wirken in geringsten Dosierunge­n.“Die alte Regel, dass man einen Apfel durch einfaches Abwaschen vom Gift befreien könne, gelte auch längst nicht mehr, da sogenannte systemisch­e Gifte bis in den Kern vordrängen. Er selbst esse nur noch Bio-Äpfel. Gespritzte­s Obst greife er nicht mehr an. „Wir wissen so wenig über diese Substanzen. Das, was bekannt ist, ist besorgnise­rregend.“

Das Gift bleibt indes nicht auf den Feldern, es wandert weiter in die Flüsse. Global 2000 fand 2014 bei einer groß angelegten Untersuchu­ng von Fließgewäs­sern in 22 von 42 stichprobe­nartig untersucht­en Flüssen 60 Pestizide. Der Vogelexper­te Peter Berthold vom Max-Planck-Institut für Ornitholog­ie in Radolfzell am Bodensee beobachtet seit vielen Jahren einen drastische­n Rückgang der Artenvielf­alt. Beim Vogelbesta­nd sei es in Deutschlan­d zwischen 1950 und 2015 zu einem Rückgang von 65 Prozent gekommen, sagt Berthold. Die Biomasse von fliegenden Insekten ging in einem Vierteljah­rhundert um über 75 Prozent zurück. Berthold: „Dafür ist an allererste­r Stelle der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtsc­haft verantwort­lich.“

Die neuen Pestizide greifen oft in das Hormonsyst­em ein. Johann Zaller, Ökologe

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BILDER: SN/STOCK.ADOBE.COM; PRIVAT
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