Bibel und Koran über das Fasten
„Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. (...) Sie haben ihren Lohn bereits erhalten. Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest, und wasche dein Gesic
Germany’s Topmodels tun es ständig. Der orthodoxe Heilige Symeon Stylites tat es jahrelang im Stehen auf einer Säule. Jesus dagegen tat es „nur“40 Tage und 40 Nächte, um sich auf sein öffentliches Wirken vorzubereiten: Fasten war und ist Teil menschlicher Kultur, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Im katholischen Christentum gibt es heute nur mehr zwei strenge Fasttage, den Aschermittwoch und den Karfreitag. An letzterem fasten auch viele evangelische Christen. Im orthodoxen Christentum wird dagegen länger gefastet, vielerorts auch fast durchgehend im Jahr jeden Mittwoch und jeden Freitag.
Der Sinn solcher Askese hat mit Heidi Klums Anleitung zur Anorexie rein gar nichts zu tun, wie die oben zitierte Stelle aus dem Matthäusevangelium deutlich macht: Der unbekannte Verfasser dieses Evangeliums ist ein christusgläubiger Jude, in dem die Tradition den von Jesus bekehrten Zöllner Matthäus gesehen hat und der nach dem verlorenen Krieg der Juden gegen Rom ca. 80–90 n. Chr. seine Schrift an mehrheitlich jüdisch geprägte Hausgemeinden in Syrien richtet. Er stellt Jesu Worte über das richtige Fasten in den Zusammenhang mit dessen berühmter Bergpredigt.
Damit erscheint das Fasten unter dem Vorzeichen einer Gerechtigkeit, die sich nicht etwa als eine Art spirituelles Casting versteht, sondern auf die Änderung der inneren Gesinnung abzielt. Der „Schriftgelehrte unter den vier Evangelisten“, wie der Verfasser des Matthäusevangeliums in der Exegese auch genannt wird, liefert hier einen Midrasch (eine jüdische Auslegung) zu einer Stelle im Alten Testament, in der es genau um diese Art des ungeheuchelten Betens und Fastens geht. Der Prophet Jesaja beschreibt das „wahre Fasten“in Kapitel 58, Verse 3–8, als die Praxis sozialer Gerechtigkeit, die in den Augen Gottes einem demonstrativen „In-Sack-und-Asche-gehen“ bei Weitem vorzuziehen sei. Die Adressanten des Matthäus verstehen derartige Anspielungen, weil ihnen der eigentliche Sinn des Fastens als Judenchristen wohlbekannt ist. Immer geht es um die innere Vorbereitung einer Begegnung mit Gott, ganz individuell wie bei den Propheten (Mose in Buch Exodus, Kapitel 34, Vers 28; Elija im Ersten Buch der Könige, Kapitel 19, Verse 5–8) oder auch im Kollektiv und öffentlich sichtbar als Umkehr zu Gott (Joël, Kapitel 1, Vers 14). Immer sollen Fasten und Beten den Kopf und den Blick frei für den Mitmenschen und seine Bedürftigkeit machen.
Wenn der Verfasser des Matthäusevangeliums die sozialethische Botschaft dieses Midrasch betont – übrigens als Einziger der vier Evangelisten –, möchte er sich vermutlich deutlich von jüdischen Konkurrenten absetzen, vor allem von den zu seiner Zeit politisch einflussreichen Pharisäern. Drei Kapitel später schreibt Matthäus ebenso wie Markus und Lukas, dass die Jünger Jesu zu seinen Lebzeiten aus Freude über seine Gegenwart überhaupt nicht gefastet hätten – sehr zum Befremden ihrer Zeitgenossen, die diesem seltsamen jüdischen Rabbi vorwarfen, ein „Fresser und Säufer“zu sein (Matthäus, Kapitel 11, Vers 19). Matthäus kennt diese überlieferte Tradition des Fastenverzichts und die damaligen Vorwürfe gut.
Nach dem Karfreitag ist die Situation aber eine andere, da ist Fasten als Ausdruck von Trauer (wie in Psalm 35, 13) wieder angesagt. Fasten gehörte also vermutlich nicht zur Frömmigkeitspraxis von Jesu Jüngern, sehr wohl aber zur Praxis der matthäischen Gemeinden. Hier ging es nur noch um das Wie des Fastens. Wie heute, wo Verzicht von Handy, Alkohol o. Ä. Lebensgewinn für
alle sein kann. Mit den oben zitierten Versen aus Sure 2 des Koran wurde im zweiten Jahr nach der Auswanderung Mohammeds nach Medina, also im Jahre 624, das Fastengebot im Ramadan verkündet. Seitdem gilt es neben dem Glaubensbekenntnis, dem Gebet, der sozialen Abgabe und der Pilgerfahrt als eine der fünf Säulen des Islams.
Dabei spricht der Koran von einer Kontinuität des Fastengebots, ohne jedoch genau darauf einzugehen, wie dieses Gebot für frühere Religionen ausgesehen habe. Die traditionelle Exegese spricht davon, dass mit denen, „die vor euch waren“, die Fastengebote für Juden und Christen gemeint seien. Heute wissen wir aus historischen Quellen allerdings, dass der Monat Ramadan für die Araber schon in der vorislamischen Zeit als heiliger Monat gegolten hat. Sie kannten ähnliche Praktiken des Fastens im Ramadan wie diese, die Mohammed verkündet hat.
Der orthodoxe Islam hat sich mit vielen Detailfragen rund um das Fasten auseinandergesetzt, wie diese: Wie lange darf man maximal den Mund mit Wasser spülen, damit kein Wasser in die Speiseröhre gelangt und das Fasten noch gültig bleibt? Was ist mit Speiseresten zwischen den Zähnen? Darf man seine Frau während des Fastens küssen? Und so weiter.
Das ging so weit, dass sich schon im 11. Jahrhundert der bekannte Gelehrte Al-Gazali (gest. 1111) über die Aushöhlung des Fastengebots von seinem spirituellen und ethischen Gehalt beschwert hat. Er betonte, wie auch viele Gelehrte heute, dass es um die Frömmigkeit als Ziel des Fastens gehe, so wie es der obige Vers bestimme. Daher müsse das Herz als Ort der Spiritualität vom Fasten betroffen sein. Die körperliche Enthaltsamkeit soll dem Menschen die Möglichkeit eröffnen, sich mit seinem Inneren auseinanderzusetzen sowie über seine Beziehung zu Gott, zu dessen Schöpfung und zu sich selbst kritisch zu reflektieren. Al-Gazali sieht daher das eigentliche Ziel des Fastens nicht in der Distanzierung von den körperlichen Bedürfnissen; dies sei lediglich der erste Schritt auf dem Weg zum eigentlichen Fasten: dem Fasten des Herzens. Dies geschehe, wenn das Herz an Gott gebunden sei, von göttlicher Liebe und Barmherzigkeit ergriffen und erfüllt sei. Das Herz ist dann frei von allen negativen Emotionen wie Hass, Neid, Gier, Hochmut usw., es erkennt das Gute in den Dingen und ist immer im Einsatz für das Gute. Die Distanz zu seinen körperlichen Bedürfnissen ist nur die erste Etappe des Fastens, um die Reise in die Tiefen seines Ichs anzutreten.
Wir erleben heute allerdings im Volksglauben vieler muslimischer Frauen und Männer einen starken Rückfall im Verständnis des Fastens in Richtung der Reduzierung auf körperliche Enthaltsamkeit. In den meisten islamischen Ländern wird heute die Fastenzeit vor allem als Anlass zum Feiern genutzt. Spezielle Speisen werden nur im Ramadan aufwendig zubereitet. Fernsehsender produzieren für den Ramadan Spezialprogramme.
Dadurch geht die ursprüngliche Intention des Fastens, die Erlangung von Frömmigkeit, verloren. Das Fasten wird zu einem Warten auf den Sonnenuntergang, um schließlich die Feierlichkeiten zu begehen. Nicht selten wird der Tag zur Nacht und die Nacht zum Tag gemacht. Und so wird oft am Tag geschlafen und die Nacht „durchgefeiert“.
Der eigentliche Sinn des Fastens wird dadurch ausgehöhlt. An die Stelle des kritischen Reflektierens über sich und sein Leben tritt ein verschwenderischer Lebensstil, der den Menschen trotz des Fastens bzw. in diesem Fall gerade wegen dieser Form des Fastens nur von sich selbst und von Gott entfernt.