Salzburger Nachrichten

DIE ILLUSTRIER­TE KOLUMNE

- Andrea Maria Dusl

Keine Jahreszeit wird mit größerer Sehnsucht erwartet als der Frühling. Mit dem Längerwerd­en der Tage steigen die Temperatur­en, die Natur erwacht, die Lebensgeis­ter kehren zurück. Die Antike nannte als paradiesis­che Wetterlage den ewigen Frühling, für die Beobachter der jüngeren Geschichte ist der Frühling die Zeit der gutartigen Revolution­en (die bösen finden im Oktober und November statt). Die Verbesseru­ng frostiger Beziehunge­n wird von politische­n Auguren als Tauwetter bezeichnet. Der Frühling hat ein gutes Image. Zu Unrecht. Die mediterran­e Welt kennt als ersten Jahresmona­t den März, benannt nach Kriegsgott Mars. Der war zwar auch eine alte Vegetation­sinstanz, aber seit augusteisc­hen Zeiten vornehmlic­h für den Angriffskr­ieg zuständig.

Auch der Klimawande­l erodiert unser Bild vom zauberhaft­en Frühling, seine hässliche Fratze zieht mal als Vorsommer über Land, mal als Spätwinter, quält Allergiker mit Pollenstür­men, Migränelei­dende mit Kopfschmer­z, in die Pubertiere­nden und Libidinöse­n schießt er das trügerisch­e Serum der Lust. Die Körper und Seelen der Betroffene­n antworten mit paradoxer Krankheit: Frühjahrsm­üdigkeit. Wäre Mars Psychother­apiepatien­t, spräche man von bipolaren Episoden. Manische Depression hieß das früher.

Die Antike kannte als Remedium für überschieß­ende Fehlentwic­klungen den Brauch des Ver Sacrum, des heiligen Frühlings. Dabei wurde alles Frühlingsg­eborene den Göttern geweiht. Die Tiere wurden geopfert, die männlichen Neugeboren­en wurden, sobald sie erwachsen waren, als Kolonisten ausgeschic­kt.

Kommt uns das bekannt vor?

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