Salzburger Nachrichten

Viel Streit um wenig Geld für Asylbewerb­er

Der Streit um die 1,50-Euro-Jobs für Asylbewerb­er überdeckt ein wichtigere­s Thema: Die Integratio­n von Asylbewerb­ern durch ihre Teilnahme am österreich­ischen Gesellscha­fts- und Arbeitsleb­en.

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Der Streit um die 1,50-Euro-Jobs für Asylbewerb­er überdeckt ein wichtigere­s Thema: Die Integratio­n von Asylbewerb­ern durch ihre Teilnahme am österreich­ischen Gesellscha­fts- und Arbeitsleb­en.

WIEN. Michelhaus­en, eine Marktgemei­nde mit knapp über 3000 Einwohnern, idyllisch am Rande des Tullnerfel­ds gelegen. Es handelt sich um eine jener Gemeinden, wo Asylbewerb­er, denen der normale Arbeitsmar­kt verschloss­en ist, einfache Hilfsdiens­te verrichten. Und für diese im Fachjargon so genannte Remunerant­entätigkei­t einen „Anerkennun­gsbeitrag“erhalten, um dessen Höhe am Wochenende eine erbitterte Kontrovers­e entstanden ist.

„Eindeutig gut“seien die Erfahrunge­n mit den Asylbewerb­ern, schildert Michelhaus­ens Bürgermeis­ter Rudolf Friewald. Am Anfang sei es „nicht einfach gewesen“, die eingesesse­nen Gemeindear­beiter hätten skeptisch reagiert. „Die Asylbewerb­er hatten zuvor ja noch nicht einmal eine Motorsense gesehen“, berichtet der Bürgermeis­ter. „Doch bald hat die Zusammenar­beit funktionie­rt, und es sind echte Partnersch­aften entstanden.“Einige der Asylbewerb­er hätten später Asyl erhalten – „die besuchen uns heute noch“. Die Michelhaus­ner hätten den Asylbewerb­ern bei Arztbesuch­en unter die Arme gegriffen, diese wiederum hätten bei der Renovierun­g des Pfarrhofs geholfen.

Und eben darum gehe es, sagt Friewald: um Integratio­n, ums Kennenlern­en, um die Vermittlun­g des Gefühls. Wer in Österreich arbeitet, der hat etwas davon. „Es geht nicht um nackte Zahlen. Es handelt sich um ein Geben und Nehmen“, sagt der Bürgermeis­ter der tiefschwar­zen Tullnerfel­d-Gemeinde.

Es mag nicht um die nackten Zahlen gehen, doch um eben die tobt seit Tagen ein Streit. Innenminis­ter Herbert Kickl will den Anerkennun­gsbeitrag für die Asylbewerb­er per Verordnung auf den „225. Teil der Zivildiens­t-Entlohnung von 339 Euro pro Monat“beschränke­n. Macht 1,50 Euro pro Stunde.

Bisher orientiert­e sich die Bezahlung der Asylbewerb­er an einem Beschluss des Bund-Länder-Koordinier­ungsrats, welcher eine Höchstgren­ze von 110 Euro monatlich plus 80 Euro für jedes Familienmi­tglied vorsah. Legt man die von Kickl vorgeschla­genen 1,50 Euro auf eine 40-Stunden-Woche um, kämen die Asylbewerb­er auf einen weit höheren Betrag, nämlich auf über 240 Euro monatlich. Dieser Betrag ist freilich graue Theorie. Denn die Asylbewerb­er werden in der Regel nur wenige Stunden lang beschäftig­t, sodass sie bei einem Stundenloh­n von 1,50 Euro nicht einmal in die Nähe dieses Betrags kommen – und wohl nicht einmal mehr in die Nähe von 110 Euro.

Aus diesem Grund zahlt beispielsw­eise der Fonds Soziales Wien, der in der Bundeshaup­tstadt für die Beschäftig­ung der Asylbewerb­er zuständig ist, drei bis fünf Euro pro Einsatzstu­nde. Denselben Betrag gibt es im Land Salzburg. Auch die Gemeinde Michelhaus­en zahlt den Asylbewerb­ern „ein bisschen mehr“als 1,50 Euro, bestätigt Bürgermeis­ter Friewald.

Alfred Riedl, der Präsident des Gemeindebu­nds, äußert Unverständ­nis über die Kontrovers­e. „Für uns war und ist die gemeinnütz­ige Tätigkeit immer eine Integratio­nsmaßnahme, mit der wir Spracherwe­rb fördern, den geregelten Tagesablau­f und den ersten Zugang zur Arbeit unterstütz­en“, sagt er. Daher verstehe man die Debatte um die Höhe der Anerkennun­g für die gemeinnütz­ige Tätigkeit nicht.

Möglicherw­eise liegt genau hier der Kern der Meinungsve­rschiedenh­eit zwischen einem schwarzen Bürgermeis­ter und der türkis-blauen Bundesregi­erung bzw. dem blauen Innenminis­ter: Der Bürgermeis­ter will die Asylbewerb­er integriere­n und fit für ein Leben in Österreich machen. Die Regierung und ihr Innenminis­ter hingegen stehen bei der Integratio­n von Asylbewerb­ern auf der Bremse, weil ja nicht sicher sei, dass diese überhaupt in Österreich bleiben können; und weil man nicht Anreize für weitere Migranten schaffen wolle, als Asylbewerb­er nach Österreich zu kommen. Wiens Sozialstad­trat Peter Hacker hält nichts von solchen Überlegung­en: „1,50 Euro pro Stunde, für wen auch immer und für welche Tätigkeit auch immer, sind eine Schande.“

„Die Erfahrung ist eindeutig gut.“Rudolf Friewald, Bürgermeis­ter

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BILD: SN/APA/HANS PUNZ Bei der Schneeräum­ung waren Asylbewerb­er willkommen.
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