Rakete aus Gaza schlug in Villa ein
Angriff der Hamas bringt Israels Premier Benjamin Netanjahu kurz vor der Wahl in arge Bedrängnis.
JERUSALEM. Montag früh um halb sechs Uhr heulten im romantischen Dorf Mischmeret, rund 20 Kilometer nördlich von Tel Aviv, plötzlich Luftschutzsirenen auf. Wenige Sekunden später erschütterte eine gewaltige Explosion die Ansammlung kleiner Villen, die inmitten grüner Felder stehen. Palästinenser hatten aus Rafah im Süden Gazas eine Rakete auf Israel abgeschossen.
Sie traf eine kleine Villa. Sieben Personen, darunter zwei Kleinkinder, wurden leicht verletzt. Die Bilder vom Ort des Einschlags zeigen, dass es weitaus schlimmer hätte kommen können. Das Haus wurde vollkommen verwüstet. Im Umkreis von hundert Metern wurden Fenster und Rollläden zerstört.
Der Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten: Israels Luftwaffe beschoss am Montagnachmittag zahlreiche Ziele in dem Palästinensergebiet. Die Armee teilte mit, es seien „Terrorziele“der im Gazastreifen herrschenden Hamas angegriffen worden. Einwohner des Küstenstreifens berichteten von lauten Explosionen. Krankenhäuser im Gazastreifen wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.
Am Abend dann die überraschende Meldung: Ein Hamas-Sprecher verkündete eine einseitig Waffenruhe. Ägypten habe laut seinen Angaben offenbar die Rückkehr zu einer entsprechenden Vereinbarung vermittelt. Diese solle sofort in Kraft treten. Von israelischer Seite gab es dafür keine Bestätigung.
Für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu kamen die jüngsten Eskalation jedenfalls zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Zwei Wochen vor der Parlamentswahl am 9. April befindet er sich in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem ExGeneral Benny Gantz. Deshalb wollte Netanjahu in dieser Woche eine medienwirksame Ehrenrunde in den USA drehen. Eine Rede vor der jüdischen Lobby und ein Gipfeltreffen im Weißen Haus waren geplant. Damit wollte Netanjahu seinen Wählern ein klares Bild vermitteln: Im Gegensatz zu Gantz bin ich der einzige Politiker, der staatsmännisch auftreten und die wichtigsten Führer der Welt beeinflussen kann.
Schließlich heißt es in seiner Wahlkampagne: Nur Netanjahu sei stark und könne Israel verteidigen, seine Gegner seien schwach und eine Gefahr für die Sicherheit. Die Angriffe auf Tel Aviv und der Treffer in Mischmeret zerschmettern jetzt das Image von „Mr. Security“.
Statt durch die USA zu reisen und von den zahlreichen Skandalen daheim abzulenken, brach Netanjahu seinen Besuch ab und reiste nach einem kurzen Treffen mit US-Präsident Donald Trump heim.
Bisher war Israels Premier um Deeskalation rund um Gaza bemüht. Seit Monaten führt er über ägyptische Unterhändler indirekte Verhandlungen mit der Hamas über eine Lockerung der seit zwölf Jahren andauernden Belagerung Gazas. Monat für Monat gestattet er einem Gesandten Katars, 15 Millionen US-Dollar in bar über Israel an die Hamas zu liefern, um die Not im Gazastreifen zu lindern. Er ließ mehr Baumaterial nach Gaza liefern und erweiterte die Zone, in der Gazas Fischer auf Fang gehen dürfen.
Als Tel Aviv unter Beschuss kam, reagierte Netanjahu zwar mit der Bombardierung von rund 100 Stellungen der Hamas. Doch die waren so sorgfältig ausgesucht worden, dass dabei niemand ums Leben kam. Der Hardliner musste sich daraufhin vorhalten lassen, er schade Israels Abschreckung gegenüber der Hamas. Später hieß es erklärend, die habe nicht beabsichtigt, Tel Aviv zu beschießen. Vielmehr habe es sich um ein durch einen „technischen Fehler“verursachtes „Versehen“gehandelt. Also kein Grund für Krieg.
Denn Netanjahu will einen offenen Schlagabtausch um fast jeden Preis vermeiden.
Bei einem Krieg mit den Islamisten kann er im Augenblick nur verlieren. Israels Armee ist der Hamas zwar haushoch überlegen und könnte Gaza schnell erobern, doch dafür würden die Palästinenser Israel einen hohen Preis abverlangen. Sie verfügen über Tausende Raketen und könnten Städte wochenlang mit einem Feuerhagel überziehen. Um deren Abschuss zu verhindern, müsste Israel einmarschieren, Dutzende Soldaten würden fallen. Nach einer Eroberung Gazas wäre Israel direkt für das Wohlergehen von rund zwei Millionen völlig verarmten, feindseligen Palästinensern verantwortlich. Keines dieser Szenarien trüge zu einem Wahlsieg Netanjahus bei.
Die Hamas weiß das und erhöht deshalb vor den Wahlen den Druck auf Netanjahu. Sie will ihm in dieser kritischen Situation mehr Zugeständnisse abpressen, denn auch sie befindet sich in einer Notlage.
Außer Israels Blockade wirkt sich aus, dass die Palästinensische Autonomiebehörde ihre Zahlungen an Gaza eingestellt hat.
Zudem kürzten die USA Zahlungen an Hilfsorganisationen für die Palästinenser.