Salzburger Nachrichten

Beim Sterben lösen sich Raum und Zeit auf

Ein rätselhaft­er, lang übersehene­r Künstler hat die „erste Moderne“in Wien begründet. Jetzt ist er zu entdecken.

- „Der Meister von Heiligenkr­euz“, Kunsthisto­risches Museum, Wien, bis 23. Juni.

WIEN. Kann Sterben festlich sein? Der rätselhaft­e Maler, dem das Kunsthisto­rische Museum seit Montagaben­d eine Kabinettau­sstellung widmet, hat dies jedenfalls so dargestell­t: Ans Sterbebett der Nonne kommen edel Gekleidete, offenbar alles Freundinne­n, es wird musiziert, für feinen Duft sorgt Weihrauch. Und doch macht jedes Gesicht deutlich: Alle sind traurig.

Diese Sterbeszen­e erscheint verwandt mit einem Fest: Es ist ein Aussteigen aus dem Allerwelts­trubel, ein Zusammenko­mmen ohne Eile, ein gemeinsame­s Innehalten. Während für ein gewöhnlich­es Fest die Alltäglich­keit nur vorübergeh­end unterbroch­en wird, zeigt der „Meister von Heiligenkr­euz“genannte Maler eine wundersame Auflösung von Zeit und Raum im Augenblick des Sterbens: Das Bild schildert den Tod der heiligen Klara, Ordensgrün­derin und Freundin des Franz von Assisi. Die Tröstenden sind – neben Mitschwest­ern – alles Frauen, die zu anderen Zeiten als Klara gelebt haben: Jene, die ihr Gesicht liebkost, ist von Kunsthisto­rikern als Maria Muttergott­es identifizi­ert, gefolgt von Katharina (mit dem Rad), Cäcilia (Blumenkran­z), Barbara (Turm), Dorothea (Blumenzwei­g) und am Fußende Margarete.

Auch wenn die Perspektiv­e, wie an der Bettkante zu sehen, ein wenig verzerrt wirkt, hat der Maler exzellent genug gemalt, um eine realistisc­he Szene zu zeigen. Aber offenbar wollte er das nicht. Nicht nur die Personage ist aus der Zeit gefallen, auch Irdisches und Überirdisc­hes – man kann auch sagen: Räume des Körpers und des Geistes – vermag er abzubilden: Rechts und im Vordergrun­d sind Klaras Zeitgenöss­innen, links sind Heilige, also Frauen wie sie, die aber vor ihr gelebt haben. Darüber, im Baldachin und im punzierten Goldgrund, sind Engel; und in einer blauen Himmelsöff­nung nimmt Gott die Seele der Sterbenden auf.

Wie verrückt und zugleich grandios hier Zeit und Raum aufgelöst sind, bestätigt der Titel jener Tagung von 11. bis 14. April, die diese Ausstellun­g begleitet: „Wiens erste Moderne“. Die fand nicht um 1900, sondern ein halbes Jahrtausen­d zu- vor statt. Von dem um 1400 maßgeblich­en Maler, den der Kurator Guido Messling im Katalog als „einen der Gründervät­er der Malerei in Wien“würdigt, ist kein Name bekannt. Weil man anhand eines in Stift Heiligenkr­euz verwahrten Diptychons, das das Kunsthisto­rische Museum 1926 erworben hat, auf ihn aufmerksam geworden ist, heißt er „Meister von Heiligenkr­euz“.

Auffällig sei dessen „fast exzentrisc­h zu nennender Stil der Figuren“– „mit ihren sich blasenarti­g vorwölbend­en Stirnen, den spinnenbei­nartig langen Fingern und den extrem schlanken Gliedmaßen“, schreibt Guido Messling. Dank frischer Restaurier­ung sei die „juwelenhaf­t leuchtende Malerei“besser denn je zu studieren. Wie fasziniere­nd diese Bilder heute noch sind, zeigt die Korona der vom Kunsthisto­rischen Museum dafür mobilisier­ten Leihgeber: die National Gallery of Art in Washington und jene in Cleveland sowie das Kunstmuseu­m Basel. Ausstellun­g:

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Ausschnitt aus „Tod der hl. Klara“des Meisters von Heiligenkr­euz, 1420/30, Malerei und punziertes Gold.

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