Was ein Dorf glücklich macht
Entscheidet das Vorhandensein von Greißler, Gasthaus und Postamt darüber, ob eine Gemeinde lebendig ist? Die Bürgermeister zweier völlig unterschiedlicher Ortschaften gewähren Einblicke.
„Großbetriebe kommen nicht
zu uns.“Christian Krottendorfer, Röschitz „Bürger sind der Schatz der Gemeinde.“Erwin Moser, Munderfing
79 Prozent aller Dorfbewohner in Österreich empfinden ihre Gemeinde als lebendig. Das geht aus dem am Montag präsentierten „Dorfleben-Report“hervor, einem Gemeinschaftsprodukt von Lebensmitteleinzelhändler Adeg und Österreichischem Gemeindebund. Der Nahversorger spielt dabei immer noch eine bedeutende Rolle: Für knapp 90 Prozent der 1038 befragten Dorfbewohner ist ein Greißler oder ein Kaufhaus unverzichtbar, wenn es um den Erhalt kommunaler Strukturen geht.
Dass nicht alles mit dem Lebensmittelhändler steht und fällt, darüber ist sich Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl im Klaren: „In lebendigen Gemeinden funktioniert das Zusammenspiel der Kräfte.“Darunter falle auch die Frage: „Wie hole ich die Jungen zurück?“Die Klassiker Gasthaus, Postamt und Greißler reichen dafür nicht mehr aus.
In Munderfing sind die erwähnten Kräfte ein eingespieltes Team. Die Innviertler Gemeinde hat bereits 1996 eine richtungsweisende Entscheidung getroffen. „Wir haben externe Berater engagiert, weil wir wissen wollten, ob es außer der Pflicht auch noch eine Kür gibt“, erinnert sich Erwin Moser, seit mehr als drei Jahrzehnten Amtsleiter.
Was Moser mit Kür meint: Die Menschen sollten in Munderfing nicht nur leben können, sondern auch wollen. 22 Jahre später ist aus einer Pendlergemeinde eine Kommune mit Sogwirkung geworden. Und das hat mehrere Gründe.
„Zuallererst muss man erkennen, dass die Bürger der Schatz einer Gemeinde sind. Ihre Beteiligung ist enorm wichtig. Viele Gemeinden schaffen es nicht, ihre Bürger mit ins Boot zu holen“, sagt Moser.
Zweiter Aspekt: „Man muss flächendeckend handeln. Kirchturmdenken ist schlecht.“Moser nennt das Beispiel Breitbandinternet: „Wir sind ein Verband von 35 Gemeinden, die Glasfaserausbau wollen. Ziehen alle an einem Strang, ist man plötzlich auch bei den Telekomanbietern wieder interessant.“
Dritter Aspekt: Arbeitsplätze. Diesbezüglich ist der Kommune mit ihren 1400 Einwohnern (3000 mit Katastralgemeinden) ein Husarenstück gelungen: die Ansiedlung einer Dependance des in der Nachbargemeinde Mattighofen ansässigen Motorrad- und Sportwagenherstellers KTM. Moser: „Vorher hatten wir 400 bis 450 Arbeitsplätze. Seither 2300.“Doch es ist nicht nur KTM. 40 Akademiker benötigte die Energiewerkstatt, ein technisches Büro für Windkraft. „Die Einwohnerzahl steigt, die Jungen kommen zurück. Meine Söhne sind das beste Beispiel“, erklärt Moser. Der eine hat Elektrotechnik studiert, der andere Architektur. Beide leben wieder in Munderfing und haben hier ihre Betriebe.
Knapp 300 Kilometer nordöstlich von Munderfing liegt Röschitz. Die 700-Einwohner-Gemeinde an der Grenze vom Wein- zum Waldviertel besticht durch landschaftliche Schönheit und tolle Weine. Von Zuständen wie in Munderfing kann Bürgermeister Christian Krottendorfer dennoch nur träumen. Trotzdem bleibt er Realist und Optimist in Personalunion. „Schritt für Schritt“, ist sein Motto. „Wir werden hier keinen Betrieb mit 200 Arbeitsplätzen herbekommen, das ist uns bewusst.“Was er allerdings schon gern bald mal hätte, wäre Breitbandinternet. „Wir zählen leider nicht zu den Modellregionen, der Ausbau lässt auf sich warten“, lässt Krottendorfer dezent Ungeduld durchklingen. Nicht nur eine Datenautobahn, auch eine richtige stünde ihm gut zu Gesicht: jene durchs Waldviertel. Die käme Röschitz sehr gelegen, denn die Pulkautal-Eisenbahn ist bereits vor 31 Jahren ersatzlos verblichen. Außerdem läge der Bahnhof gute drei Kilometer entfernt im Nirgendwo. Um alten Menschen die Mobilität zu sichern, soll es deshalb ab 2020 ein Anruf-Sammeltaxi geben.
Eine Vinothek, die 2018 eröffnet hat, „läuft sehr gut, wir sind zufrieden“, sagt Krottendorfer. Derzeit ist er auf der Suche nach einen neuen Greißler. Der alte geht in Pension. Und die Jungen? Die kehren vermehrt zurück, um ein Haus zu bauen. Zum Arbeitsplatz wird ausgependelt. Das wird sich in Röschitz so schnell nicht ändern. Lebendig sei seine Gemeinde vor allem durch die Vereine, meint Krottendorfer mit Stolz: „Es vergeht bei uns kein Wochenende, wo nicht irgendetwas los ist.“