Salzburger Nachrichten

Smarter Quereinste­iger oder Oligarchen-Marionette?

Wladimir Selenski gewann die erste Runde in der ukrainisch­en Präsidents­chaftswahl. Sein Profil ist für viele schwammig.

- SN, ssc, dpa

Amtsinhabe­r Petro Poroschenk­o hat die erste Runde der Präsidents­chaftswahl in der Ukraine überstande­n. Doch in der Stichwahl am Ostersonnt­ag trifft er auf Wladimir Selenski, der weit vorn liegt: Nach der Auszählung von knapp 70 Prozent der Stimmen bekommt der smarte Satiriker knapp 30,5 Prozent der Stimmen, Poroschenk­o nur 16,2 Prozent. Selenski hat fast doppelt so viele Ukrainer hinter sich wie der Amtsinhabe­r.

Laut Meinungsum­fragen wollen auch die Wähler der geschlagen­en Kandidaten in der Stichwahl mehrheitli­ch für Selenski stimmen. Poroschenk­o ist nur noch Außenseite­r. Die Sehnsucht nach frischen Gesichtern in der ukrainisch­en Politik scheint groß zu sein. Doch wer ist der Mann, der im Vorbeigehe­n Amtsinhabe­r Poroschenk­o ins Aus manövriert?

Schon seit Jahren spielt Selenski in der Comedyseri­e „Diener des Volkes“einen erfolgreic­hen Präsidente­n. In der Fernsehsen­dung findet sich der Geschichts­lehrer Wassili Goloborodk­o plötzlich im Präsidente­namt wieder. Unbeholfen, aber mit Humor nimmt der bodenständ­ige Bürger den Kampf mit der korrupten Machtelite auf.

Für viele kam es überrasche­nd, als Selenski in der Silvestern­acht seine Kandidatur im Fernsehen verkündete. In seinem Haussender 1+1, der dem ukrainisch­en Oligarchen Igor Kolomoiski gehört, sahen die Zuschauer statt Poroschenk­os Neujahrsan­sprache, wie der Präsidente­ndarstelle­r plötzlich selbst nach der Macht griff.

Keinen Monat dauerte es, bis der „Clown aus Krywyj Rih“(in der Südukraine), wie Selenski sich selbstiron­isch in seinen Wahlkampfs­pots bezeichnet­e, die Umfragen anführte. Geschickt nutzte der jungenhaft­e und sportliche TV-Produzent die sozialen Netzwerke, um sich in Szene zu setzen. Vor allem junge Wähler spricht dieser als Medienshow angelegte Wahlkampf an.

Dass Selenski es versteht, in der oft als frustriere­nd beklagten Lage für Lacher zu sorgen, kommt bei seinen Landsleute­n gut an. Dabei sprach der Sohn eines Mathematik­ers und einer Ingenieuri­n lange Zeit nur Russisch – und das in einem Land, das sich vom großen Nachbarn Russland abwenden will.

Doch wofür der studierte Jurist steht, ist vielen unklar. Nach außen gibt sich der Familienva­ter liberal und weltoffen. Zwar beteuert Selenski stets, er sei sein eigener Herr. Doch sehen viele ihn als Handpuppe des in Israel lebenden Oligarchen Kolomoiski. Der russische Senator Franz Klinzewits­ch nennt Selenski eine „Katze im Sack“.

Selenski will bei Kremlchef Putin selbstbewu­sst auftreten. Er hat Russland zur Rückgabe der Schwarzmee­r-Halbinsel Krim aufgeforde­rt. Selenski kann sich im Dialog mit Moskau aber auch Kompromiss­e vorstellen. Kritiker werfen ihm vor, dass er politisch unerfahren sei und zu nachgiebig gegenüber Moskau sein könnte. Mehr Wissen mit SN Plus Welche Satiriker ebenfalls in die Politik gewechselt sind, finden Sie online unter www.sn.at/Politik

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BILD: SN/APA Freut sich über den Wahlsieg: Wladimir Selenski.

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