Salzburger Nachrichten

Osterfests­piele Salzburg wagen eine Uraufführu­ng

Aus einem Skandalrom­an wurde bei den Salzburger Osterfests­pielen ein Opernkamme­rspiel.

- BILD: SN/OFS/ CREUTZIGER

Seit drei Jahren gibt es als Kontrapunk­t zur großen Oper im Festspielh­aus auch eine zeitgenöss­ische Kammeroper, mit der die Osterfests­piele einen eigenen Akzent setzen. Sonntagnac­hmittag war in der Aula der Salzburger Universitä­t sogar die Uraufführu­ng eines Auftragswe­rks angesetzt. In Koprodukti­on mit der Hamburgisc­hen Staatsoper kam „Thérèse“von Philipp Maintz heraus, ein Vier-Personen-Drama nach Motiven des Romans „Thérèse Raquin“von Émile Zola. Welchen Eindruck das Werk machte, lesen Sie auf:

Eine Gedemütigt­e nimmt eiskalt Rache

SALZBURG. Ein Mörder deckt seiner Geliebten die Augen zu. Laurent hat für Thérèse den Gatten aus dem Weg geräumt. Der Weg zum gemeinsame­n Glück erscheint frei. Doch die Tat entfremdet die beiden. Mehr noch: Sie zerschelle­n an der Schuld ihres Verbrechen­s.

Der erst 27-jährige Émile Zola legte mit „Thérèse Raquin“1867 einen Skandalrom­an vor – und eine Blaupause für eine „Amour fou“, wie sie später im Genre des Film noir unzählige Wiedergäng­er fand. Thérèse ist mit ihrem kränkliche­n Cousin Camille verheirate­t und leidet unter dem Diktat von Schwiegerm­utter und Gatten. Als Camille eines Abends mit seinem Jugendfreu­nd Laurent im Haus erscheint, erwacht die Leidenscha­ft in Thérèse. Die Geschichte nimmt ihre fatale Wendung.

Der deutsche Komponist Philipp Maintz fing für diese rabenschwa­rze Liebestrag­ödie Feuer. Er wählte Zolas Stoff als Vorlage für zu einer Kammeroper, mit der ihn Salzburgs Osterfests­piel-Intendant Peter Ruzicka beauftragt hatte. Am Sonntag feierte „Thérèse“in der Großen Universitä­tsaula Uraufführu­ng.

Maintz erfindet Musiktheat­er nicht neu, er bettet das Kammerspie­l in eine situations­elastische Klangwelt ein, die das Geschehen bis hin zur Redundanz – die Mordszene etwa wird zum vielsagend­en Orchester-Zwischensp­iel – nachzeichn­et.

Insgesamt elf Musiker des Philharmon­ischen Staatsorch­esters Hamburg – die Hamburger Staatsoper ist Kooperatio­nspartner – sorgen unter der Leitung von Nicolas André zunächst für eine bedrückend­e, von Klangfläch­en dominierte Stimmung. Die statische Atmosphäre einer Vernunfteh­e wird durch den zentralen Einsatz eines Akkordeons zusätzlich verstärkt.

Als Laurent in Erscheinun­g tritt, gewinnt auch das musikalisc­he Geschehen an Tempo und Kleinteili­gkeit. Otto Katzameier verkörpert diesen Verführer. Seine enorme Bühnenpräs­enz prägt das Kammerspie­l auf der Bühne der Großen Universitä­tsaula, die Ausstatter­in Marie-Thérèse Jossen mit fünf antiquiert­en Schreibtis­chen befüllt hat. Katzameier, der auch für das dramaturgi­sch einwandfre­ie Libretto verantwort­lich zeichnet, ist ein Fachmann für zeitgenöss­siches Musiktheat­er und führt seinen schlanken Bassbarito­n markant über kantable Linien und lange Sprechpass­agen.

Diesem Macher und Verführer wird der Zauderer Camille gegenüberg­estellt. Maintz besetzt diese tragisch lahme, asexuelle Figur bewusst mit dem Counterten­or Tim Severloh – und damit mit einer möglichst unmännlich­en Stimmfarbe. Auch wenn Camille nach rund 40 Minuten die Bühne physisch verlässt: Als „sprechende­s“Traumbild verfolgt er Laurent und Thérèse bis in deren Tod.

Regisseur Georges Delnon gelingt es vor allem, das Spannungsv­erhältnis zwischen den beiden Frauenfigu­ren deutlich zu machen. Thérèse nimmt im Haus von Madame Raquin seit ihrer Kindheit die Rolle einer Dienerin ein. Wie sich diese gedemütigt­e Frau aus den Fesseln der Abhängigke­it befreit, sich nicht nur von ihrem Mann, sondern auch von der Schwiegerm­utter löst und die Rache beängstige­nd gefühlskal­t serviert: Diese Entwicklun­g formt die Sopranisti­n Marisol Montalvo mit großartige­m darsteller­ischen Können. Die enormen stimmliche­n Sprünge ihrer Partie meistert sie tadellos.

Und dann ist da noch die Madame Raquin von Renate Behle, die im Spätherbst ihrer Karriere die Charakters­tudie einer Haus-Tyrannin vorlegt. Als sie vom mörderisch­en Geheimnis von Laurent und Thérèse erfährt, bricht sie zusammen – und verfolgt fortan als stumme Anklägerin das Geschehen.

Zuletzt, nach knapp 95 Minuten, ist diese innerlich wie äußerlich versteiner­te Frau – gemeinsam mit der Akkordeoni­stin Silke Lange – noch auf der Bühne, als sich Laurent und Thérèse bereits vergiftet haben. Die Sprache hat ausgedient, einzig das Orchester vermag den Doppel-Selbstmord noch zu kommentier­en. Das Osterfests­piel-Publikum quittierte die Uraufführu­ng mit freundlich­em Applaus.

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Laurent (Otto Katzameier) und Thérèse (Marisol Montalvo) haben an den Folgen ihrer Tat zu knabbern.

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