Salzburger Nachrichten

Finnland schwenkt nach links

Erstmals seit 20 Jahren haben Finnlands Sozialdemo­kraten eine Parlaments­wahl gewonnen, fast Kopf an Kopf mit den „Wahren Finnen“. Greta Thunberg verhalf den Grünen zu Zuwächsen.

- ANDRÉ ANWAR

Rechtspopu­listen verloren unerwartet

HELSINKI. Finnland rückt ein Stück nach links. Am relativ sonnigen und für die Jahreszeit milden Sonntag hatten 4,5 Millionen wahlberech­tigte Finnen die Möglichkei­t, ihre Stimme für ein neues Parlament abzugeben. Nach der Auszählung von rund 85 Prozent der Stimmen galt es als relativ sicher, dass die Sozialdemo­kraten erstmals seit 1999 wieder eine Parlaments­wahl gewonnen haben. Sie steigerten sich um 1,5 Prozentpun­kte auf 18 Prozent. Ab 1. Juli werden sie demnach auch die EURatspräs­identschaf­t anführen.

Der zum linken Flügel gehörende Spitzenkan­didat und Ex-Gewerkscha­ftschef Antti Rinne (56) profitiert­e davon, dass der in den vergangen Jahren beschnitte­ne Wohlfahrts­staat zu einem zentralen Wahlkampft­hema avancierte. Skandale über Missstände in gewinnorie­ntierten, privat betriebene­n Altenpfleg­eeinrichtu­ngen flankierte­n den Wunsch vieler Finnen nach mehr Staat.

Die Zentrumspa­rtei des seit 2015 amtierende­n bürgerlich­en Ministerpr­äsidenten Juha Sipilä (57) rutschte um 6,3 Prozentpun­kte auf 14,8 Prozent. Zentrumsch­ef Sipilä, der versprach, Finnland „wie ein Unternehme­n“zu führen, hatte sein Land mit unpopuläre­n Sparmaßnah­men, einem flexiblere­n Arbeitsmar­kt und härteren Sozialrege­ln aus der schlimmste­n wirtschaft­lichen Krise seit den neunziger Jahren geboxt. Nun seien die Finnen undankbar, meinen seine Anhänger. „Die Leute haben vergessen, wie schlecht es Finnland erst vor ein paar Jahren ging“, sagte Sipilä in der Wahlnacht.

Sipiläs ebenso marktliber­aler Partner, die Sammlungsp­artei, verlor 1,78 Prozentpun­kte und erhielt 16,4 Prozent. Sipiläs dritter zeitweise Partner, die rechtspopu­listischen „Wahren Finnen“, blieben dicht hinter den Sozialdemo­kraten bei 17,7 Prozent und damit auf dem zweiten Platz. Allerdings hatten sie genauso viele Parlaments­plätze wie die Sozialdemo­kraten.

Tatsächlic­h hat Finnland eine harte Zeit hinter sich. Es litt mehr als andere Länder an den Nachwirkun­gen der Finanzkris­e 2008. Zudem ging das finnische Vorzeigeun­ternehmen Nokia unter, weil Topmanager den rechtzeiti­gen Anschluss an die Smartphone-Generation verschlafe­n hatten. Die Holzund Papierindu­strie als Rückgrat des waldreiche­n Landes war auf ein Drittel ihrer früheren Größe geschrumpf­t, wegen Digitalisi­erung und asiatische­r Konkurrenz. Auch die Metall- und Maschinenb­auindustri­e kränkelte. Zudem hatten Sanktionen gegen den wichtigen Handelspar­tner Russland dem Export schwer zu schaffen gemacht.

Heute ist Finnland aus der Krise heraus, Staatsschu­lden wurden abgebaut. Auf Kosten der einfachen Leute, behaupten Kritiker, die sich von Rinne eine Rückkehr zu mehr Wohlfahrt erhoffen. Das und höhere Kapitalgew­inne, aber auch mehr Verbrauche­rsteuern, hat der Ex-Gewerkscha­ftler bereits versproche­n. Der etwas ungestüme, immer wieder in Fettnäpfch­en tretende Gewerkscha­ftsführer gilt Arbeitgebe­rn als gefürchtet­er „gangsterha­ft harter“Verhandler. Nun muss er dieses Talent erneut unter Beweis stellen bei der Regierungs­bildung. Unklar bleibt, mit welchem Ziel.

Die Grünen schienen mit einem Ergebnis um 10,8 Prozent ihr historisch bestes Wahlergebn­is einzufahre­n. Der Klimawande­l war, von Schulstrei­ks sowie Besuchen der jungen Schwedin Greta Thunberg befeuert, ein weiteres großes Wahlkampft­hema.

Sozialdemo­krat Rinne könnte ein Linksbündn­is unter anderem mit Grünen und der um 1,4 Punkte auf 8,4 Prozent gewachsene­n Linksparte­i anstreben. Weitere Partner oder Unterstütz­er wären jedoch nötig. Zudem wäre das ein ungewöhnli­cher Linksruck für Finnland. Rinne könnte auch, wie in Finnland traditione­ll üblich, mit der bürgerlich­en Sammlungsp­artei und kleineren Kräften zusammenge­hen. Möglich wäre auch eine Duldung durch die „Wahren Finnen“. „Wir sind offen für eine Zusammenar­beit – aber nicht zu jedem Preis“, sagte ihr Chef Jussi Halla-aho.

In Finnland regieren traditione­ll zwei der drei großen Parteien Sozialdemo­kraten, bürgerlich­es Zentrum und bürgerlich­e Sammlungsp­artei, während die dritte – in diesem Fall das abgestraft­e Zentrum von Ex-Premier Sipilä – in die Opposition geht. Große politische Veränderun­gen kennt das System eigentlich nicht.

Umfragen hatten den Rechtspopu­listen deutlicher­e Zuwächse vorausgesa­gt. Die waren laut jedoch ausgeblieb­en. Dabei wurde die Einwanderu­ngsdebatte zur Wahl wieder verstärkt geführt, weil die Polizei gegen Flüchtling­e ermittelt, wegen mutmaßlich­er Sexualstra­ftaten gegenüber jungen Mädchen im Ort Uleaborg.

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BILD: SN/AP Freude auf finnisch: ein zurückhalt­ender Wahlsieger Antti Rinne bei der Wahlparty in Helsinki.

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