Salzburger Nachrichten

Half er den Geflüchtet­en oder wollte er nur Geld vom Staat?

Ein italienisc­her Bürgermeis­ter steht vor Gericht, weil er offensicht­lich auf fragwürdig­e Art Flüchtling­e integriert hat.

- JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Die Geschichte war schön, zu schön vielleicht: Sie handelte von einem süditalien­ischen Dorf, das dank afrikanisc­her Immigrante­n wieder aufblühte und zu einem Ort vorbildlic­her Integratio­n wurde. Der Ort heißt Riace, liegt in Kalabrien an der Spitze des italienisc­hen Stiefels. Domenico Lucano, der ehemalige Bürgermeis­ter, erdachte ein System, das den verlassene­n Ort wiederbele­bte und Menschen, die auf der Suche nach einer neuen Heimat waren, ein neues Zuhause gab. Seit einem halben Jahr beschäftig­en sich aber auch Gerichte mit dem Fall. Ab 11. Juni muss sich Lucano zusammen mit 26 anderen Angeklagte­n vor der italienisc­hen Justiz verantwort­en.

Seit Oktober stand Lucano bereits unter Hausarrest. Die Staatsanwa­ltschaft warf dem Bürgermeis­ter vor, über die Jahre hinweg ein illegales System der Integratio­n aufgebaut zu haben. Von Beihilfe zur illegalen Einwanderu­ng, Betrug, Amtsmissbr­auch, ja gar der Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g ist die Rede. In der Zwischenze­it wurde der Hausarrest in ein Aufenthalt­sverbot umgewandel­t, Lucano darf Riace vorerst nicht mehr betreten. Die Anwälte des 60-Jährigen erhoben Einspruch, der Oberste Gerichtsho­f in Rom gab ihnen zunächst Recht und setzte das Aufenthalt­sverbot aus. Jetzt entschied ein Amtsgerich­t aber, dass der Strafproze­ss aufgenomme­n wird.

Seit 2008 nahm die Gemeinde bis zu 450 Asylbewerb­er gleichzeit­ig auf. Die Flüchtling­e wurden in den verlassene­n Häusern untergebra­cht und lernten Töpferhand­werk, das Arbeiten am Webstuhl, kehrten die Straßen, verkauften Souvenirs und lernten Italienisc­h. Eine Kooperativ­e bekam für diese Zwecke vom italienisc­hen Staat 35 Euro pro Tag und Flüchtling, über das Jahr gesehen also eine Millionens­umme. Seit 2017 ermittelte die Staatsanwa­ltschaft, weil sie Unregelmäß­igkeiten festgestel­lt hatte.

Ein Ermittlung­srichter bestätigte die „fragwürdig­e Verwaltung der zur Flüchtling­saufnahme bestimmten Gelder“. Das galt offenbar auch für die Müllentsor­gung in Riace. Eine Kooperativ­e setzte dafür Asylbewerb­er ein, die mit Eseln in den steilen Gassen die Mülltonnen leerten. Lucano wird verdächtig­t, diesen Auftrag ohne wirksame Ausschreib­ung vergeben zu haben. Er soll zudem Scheinehen arrangiert haben, um Migranten eine Aufenthalt­serlaubnis in Italien zu beschaffen. Daher ist auch seine Lebensgefä­hrtin, eine Äthiopieri­n, mitangekla­gt.

Der Prozess fällt nun in eine Zeit, in der Innenminis­ter Matteo Salvini drastisch gegen illegale Einwanderu­ng vorgeht. Immer wieder wurde deshalb der Vorwurf erhoben, die Integratio­n in Riace passe politisch nicht mehr ins Programm und müsse folglich beendet werden.

Tatsächlic­h aber hatte das System von Beginn an erkennbare, wenn auch nicht unbedingt strafbare Haken: Alle Fäden liefen bei dem 60-jährigen Bürgermeis­ter zusammen, das Kooperativ­ensystem funktionie­rte alles andere als transparen­t. Die Flüchtling­shilfe war an staatliche Gelder gekoppelt. In den meisten Fällen mussten die Asylbewerb­er Riace bereits nach einem Jahr wieder verlassen.

Wer langfristi­g von dem Mechanismu­s profitiert­e, waren weniger die Flüchtling­e, sondern vor allem Domenico Lucano.

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BILD: SN/AP Domenico Lucano

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