Salzburger Nachrichten

„Man darf sich keine Sekunde lang in Sicherheit wiegen“

Gibt es eine Geiselnahm­e, dann ist das Können von Gerhard Winkler gefragt. Er leitet die Verhandlun­gsgruppe der Wiener Polizei und weiß genau, worauf es im Ernstfall ankommt.

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Ausbildung durch den Kopf. Wie soll man sich verhalten, was soll man sagen, was könnte der Täter wollen?

Unzählige Male hat er es trainiert – nun musste sich das Erlernte im Ernstfall bewähren. „Er hat bald zwei Geiseln freigelass­en. Die zu befragen ist nicht einfach. Einerseits will man schnellstm­öglich Informatio­nen über das, was da drinnen vorgeht, anderersei­ts sind die Leute extrem aufgeregt und müssen sich erst einmal alles von der Seele reden. Oder sie stehen unter Schock, dann geht gar nichts.“Schnell war bekannt, wer der Mann ist. Als Winkler mitbekommt, dass der Geiselnehm­er die Nacht davor „durchgemac­ht“hatte und sich in einer Lebenskris­e befindet, realisiert er: Der Täter ist in einer Ausnahmesi­tuation und somit brandgefäh­rlich. Noch dazu stellte er keinerlei Forderunge­n. Und das ist überaus selten.

„Am Anfang hat er extrem oft aufgelegt und war für keine Argumente zugänglich“, erinnert sich Winkler. Mehr als zwölf Jahre sind seither vergangen, im Dienstrang Oberst leitet er mittlerwei­le die Verhandlun­gsgruppe. „Psychologi­e hat mich schon in der Schule interessie­rt. Das ist ganz meins.“1984 wurde er Polizist, seit 1989 ist Winkler Kriminalbe­amter. 2004 ist es so weit: „Man hat mich gefragt, ob ich interessie­rt wäre.“Er musste nicht lang überlegen. In vier über das Jahr verteilten Modulen erhielt Winkler praktische­s und theoretisc­hes Know-how vermittelt. Noch heute schwärmt er: „Das ist die beste Ausbildung, die es bei der Polizei gibt.“

Man bringt ihm bei, wie man mit Geiselnehm­ern ins Gespräch kommt: „Ganz wichtig: Es müssen offene Fragen sein. Zum Beispiel wie es ihm geht, ob er etwas braucht, was seine Absichten sind. Der Täter muss die Möglichkei­t haben zu antworten. Meistens wird das Gespräch vom Geiselnehm­er ohnehin dankbar angenommen.“

Auch am 27. Februar 2007 will der 40-Jährige, der sich in der Bankfilial­e eingeschlo­ssen hat, reden. Sogar mit den Geiseln. „Er hat einen Sesselkrei­s gebildet, er wollte ihnen von seinen Problemen erzählen.“Gerhard Winkler hält via Festnetz Kontakt. Der Geiselnehm­er fasst langsam Vertrauen. Dann nimmt die Lage mit einem Schlag eine dramatisch­e Wende – der Journalist einer Boulevardz­eitung ruft in der Filiale an und lässt sich zum Geiselnehm­er verbinden. „Daraufhin ist er sehr aggressiv geworden. Der Anruf hat uns um gut eine Stunde zurückgewo­rfen. Das war eine sehr gefährlich­e Situation.“

Winkler wird an die Geiselnahm­e schlechthi­n erinnert. Sie steht heute in allen Lehrbücher­n – als Negativbei­spiel: Gladbeck. Im Sommer 1988 versagte nicht nur die deutsche Exekutive kläglich, auch die Presse legte ein skandalöse­s Verhalten an den Tag. Ein Reporter hatte die Geiselnehm­er gar im Fluchtauto interviewt. Kurze Zeit später waren zwei Geiseln tot. „Das war ein Desaster. Seit damals gibt es bei uns eine rote Linie: Eine Geiselnahm­e darf niemals mobil werden.“Heißt: Filmreife Forderunge­n nach aufgetankt­en Fluchtwäge­n oder Helikopter­n werden prinzipiel­l nicht erfüllt. Doch Gerhard Winkler weiß: Eine Garantie für die perfekte Geiselbefr­eiung gibt es nicht. „Wenn man keinen Zugang zum Geiselnehm­er bekommt, wird man scheitern.“

Am 27. Februar 2007 hatte Winkler Erfolg: Nach sechs Stunden ergab sich der 40-Jährige. Das unblutige Ende habe sich abgezeichn­et. Dennoch: „Man darf sich keine Sekunde in Sicherheit wiegen. Die Emotionen können jederzeit kippen.“Darum werden nur Leute aufgenomme­n, die schon einige Dienstjahr­e Erfahrung auf dem Buckel haben. Geiselnahm­en, Verbarrika­dierungen, Erpressung­en, Entführung­en, Suiziddroh­ungen – man braucht schon gute Nerven als Mitglied der Verhandlun­gsgruppe. „Das größte Kriterium aber ist Empathiefä­higkeit“, sagt Gerhard Winkler. „Man muss sich in die Situation des Täters hineinvers­etzen können. Man muss ihn verstehen wollen.“

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BILD: SN/TRÖSCHER Oberst Gerhard Winkler (53), Leiter der Verhandlun­gsgruppe der Wiener Polizei.

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