Fehler häufen sich im Missbrauchsfall von Lügde
Auf einem Campingplatz sollen mindestens 40 Kinder missbraucht worden sein. Im Mittelpunkt aber stehen nicht die Opfer oder Täter, sondern eine Serie von Pannen.
Bevor die Staatsanwaltschaft in Detmold noch vor Mai die Anklage fertig haben will, überlagert die Aufarbeitung von Pleiten, Pech und Pannen bei Jugendämtern und Polizeidienststellen den Fall. Zuletzt wurden am Donnerstag bei Abrissarbeiten auf dem Campingplatz in einem Hohlraum unter einer Holzplanke weitere digitale Datenträger gefunden. Die Arbeiter übergaben die Funde der Polizei. Ob belastendes Material auf den Speichermedien ist, war noch unklar.
Die SPD als Oppositionspartei im Düsseldorfer Landtag fordert wegen der neuen Entdeckung den Rücktritt von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Er habe Aufklärung versprochen und sei gescheitert, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hartmut Ganzke. Reul habe „die Lage nicht im Griff“. Er müsse Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Reul äußerte sich am Wochenende nicht zu der Rücktrittsforderung.
Der Fund weiterer Beweismittel sei „einfach unfassbar und erschüttert die Glaubwürdigkeit des Ministers“, teilte die innenpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion der Grünen, Verena Schäffer, mit. „Er hat die Aufklärung zu seinem Projekt gemacht – daran muss er sich messen lassen.“Die Datenträger hätten mit bei einer Durchsuchung zulässigen Mitteln nicht gefunden werden können, teilte indessen die Polizei in Bielefeld mit – und nahm so ihren Dienstherrn in Schutz. Der Besitzer des Campingplatzes konnte erst nach der Einhaltung von Kündigungsfristen und Absprache mit dem Anwalt des Parzellenbesitzers und Hauptbeschuldigten die Bagger anrollen lassen.
Reul zeigt sich immer wieder empört über den Fall – besonders wenn es um Fehler und Pannen bei Polizei und Behörden geht. Seine Aussage „Meine Oma hätte gemerkt, dass da was nicht stimmt“bezog sich auf die Situation auf dem Campingplatz. Hier wurde ein Pflegekind auf Wunsch der Mutter vom Jugendamt an den Hauptverdächtigen gegeben. Mit dem Zitat brachte Reul aber auch Polizisten gegen sich auf, weil die sich unter Generalverdacht sahen – Beamte wurden auf der Straße beschimpft.
Dass Ermittler kurz nach Bekanntwerden des Falls abgezogen wurden, lag an einer Reihe von Pannen und Führungsversagen bei der Polizei in Lippe. Ein Polizeischüler sollte die gefundenen Videos und Fotos mit Kinderpornomaterial auswerten. Es gab keine Sicherungskopien, dann waren plötzlich 155 Datenträger aus einem Raum der Polizei verschwunden.
Nach dem neuen Fund fällt Reul noch ein Zitat auf den Kopf. Im Februar hatte er im Landtag gesagt: „Wir drehen jeden Stein auf dem Campingplatz um. Notfalls wird jeder Stein geröntgt.“Jetzt muss er sich die Frage gefallen lassen, warum eine Abrissfirma Holzlatten umdrehen musste, bevor weitere Beweismittel gefunden wurden – ohne dass Beamte dabei waren.
Dass der Missbrauch für einige Opfer hätte verhindert werden können, ist eine tragische Erkenntnis. Nachweislich gab es bereits 2016 Hinweise an Polizeibeamte und Jugendämter. Mindestens seit 2008 wurden Kinder mutmaßlich tausendfach missbraucht. Aber es gab auch Hinweise auf frühere Taten, die zum Teil wohl verjährt sind oder nicht angezeigt wurden, weil den Opfern nicht geglaubt wurde.
Der Landrat des Kreises Hameln/Pyrmont, Tjark Bartels (SPD), räumte Ende März im niedersächsischen Landtag Fehler seiner Mitarbeiter bei der Bewertung früher Hinweise ein. Der 56-Jährige sei nur als „komischer Typ und ein bisschen verschroben“beschrieben worden. Er räumte auch ein, dass das Jugendamt trotz Hinweisen auf Pädophilie und möglichen sexuellen Missbrauch 2016 ein Mädchen bei dem Dauercamper wohnen ließ und ihm Anfang 2017 die Pflegschaft übertrug.
Heute wissen die Ermittler von 40 Opfern. Dazu kommen noch zwölf Verdachtsfälle. Die Zahl der Beschuldigten liegt bei acht, drei Hauptbeschuldigte sind in U-Haft. Der 56-Jährige soll mit einem Komplizen Kinder jahrelang missbraucht und dabei gefilmt haben. Ein weiterer 48-Jähriger soll die Missbrauchstaten live im Internet verfolgt haben.