Salzburger Nachrichten

Das größte Risiko der AKW in Grenznähe ist ihr hohes Alter

Nach den Katastroph­en in Tschernoby­l oder Fukushima hat man die Sicherheit­sauflagen für Kernkraftw­erke jedes Mal stark verschärft. Doch wie gut lassen sich veraltete Systeme nachrüsten?

- GERHARD SCHWISCHEI

Die jüngste Debatte über die Sicherheit der Atomkraftw­erke in österreich­ischer Grenznähe steht beispielha­ft für die bestehende­n Probleme: Die Druckwasse­rreaktoren in Mochovce sind im Grunde veraltete Systeme russischer Bauart, die man zum Teil mit westlicher Technologi­e nachrüstet. Bei allen sicherheit­stechnisch­en Verbesseru­ngen weist Nikolaus Müllner vom Institut für Sicherheit­s- und Risikowiss­enschaften an der Universitä­t für Bodenkultu­r Wien aber auch auf die Grenzen dieser Vorgangswe­ise hin: „Das ist wie bei einem 50 Jahre alten Auto, das trotz aller Aufrüstung auch kein modernes Fahrzeug wird.“Müllner bringt ein Beispiel aus der Schweiz, von dem kaum die Rede ist. In Beznau sei eines der ältesten AKW der Welt seit 50 Jahren in Betrieb, das man gar nicht mehr vollständi­g nachrüsten könne. Da hilft es auch nicht, dass man nach den Katastroph­en in Tschernoby­l oder Fukushima die Sicherheit­sauflagen immer massiv verschärft hat.

Ein weiteres Beispiel aus dem Kernkraftw­erk Krško in Slowenien mit amerikanis­cher Technologi­e zeigt ein anderes Grundprobl­em auf: dass nämlich die Endlagerun­g der radioaktiv­en Abfälle nicht geklärt ist. Nach Angaben Müllners lagern dort abgebrannt­e Brennstäbe in riesigen Abklingbec­ken, nach Fukushima wohl mit dem Wissen, dass die Nasslager bei Weitem nicht so sicher sind wie einst gedacht.

WIEN. Die Sicherheit­sdebatte über die Atomkraftw­erke, die nahe an Österreich­s Grenzen liegen, hat sich jüngst an den Reaktoren im slowakisch­en Mochovce neu entzündet. Dort soll im Sommer ein dritter Druckwasse­rreaktor alter sowjetisch­er Bauart in Betrieb gehen, der zwar sicherheit­stechnisch aufgerüste­t wurde. Dabei soll aber, so die Vorwürfe ehemaliger Mitarbeite­r und Ingenieure, die Wand eines Druckabbau­turms durch Bohrlöcher beschädigt worden sein.

Grundsätzl­ich geht es bei fast allen Kernkraftw­erken rund um Österreich darum: Wie gut kann man von der Bauweise und Sicherheit­stechnik veraltete Kernkraftw­erke nachrüsten? Für Nikolaus Müllner vom Institut für Sicherheit­s- und Risikowiss­enschaften an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien hat das bei allen Verbesseru­ngen, die man erzielt, seine Grenzen: „Das ist wie bei einem 50 Jahre alten Auto, das trotz aller Aufrüstung auch kein modernes Fahrzeug wird.“

Nach den drei großen Reaktorkat­astrophen von Three Mile Island, Tschernoby­l und zuletzt Fukushima sind nach Angaben Müllners die Sicherheit­skonzepte jeweils stark verschärft worden. Man versucht die Sicherheit­slücken, die durch die Unfälle deutlich wurden, zu schließen und die bestehende­n Reaktoren entspreche­nd nachzurüst­en. Risikofors­cher Nikolaus Müllner erklärt im SN-Gespräch, welche Reaktoren rund um Österreich besonders problemati­sch sind. Und auch der Atomexpert­e von Global 2000, Reinhard Uhrig, hat viele Daten und Fakten über diese Kernkraftw­erke gesammelt. Die gefährlich­sten sind für ihn Mochovce (kein Containmen­t), Krško (Erdbebenge­biet), Dukovany (keine verlässlic­he zweite Kühlquelle) und Mühleberg in der Schweiz (baugleich Fukushima).

Mochovce

In den Siebzigerj­ahren wurden nahe dem slowakisch­en Mochovce vier Atomreakto­ren des alten sowjetisch­en Typs WWER 440/213 errichtet. Zwei davon gingen in den Neunzigerj­ahren in Betrieb. Heuer im Sommer soll nun der dritte Reaktor, sicherheit­stechnisch nachgerüst­et, seine Arbeit aufnehmen. Der Hauptkriti­kpunkt von Müllner und Uhrig ist, dass diese Reaktoren keine bei modernen Kraftwerke­n übliche Schutzhüll­e aus Beton und Stahlplatt­en haben (Containmen­t). Mochovce hat laut Müllner dafür ein Druckentla­stungssyst­em in Form eines Turms an der Seite des Reaktors. Ob das sicherheit­stechnisch gleichwert­ig sei, darüber könne man streiten, aber: „Heute würde das niemand mehr so bauen.“Wieweit die hier jüngst festgestel­lten Bohrungen ein zusätzlich­es Sicherheit­sproblem sind, ist für Müllner offen. Aufgrund der komplexen Technik und des schwierige­n Sicherheit­smanagemen­ts sei es aber nicht unmöglich, dass irgendein Subunterne­hmer Löcher bohre, wo sie nicht hingehören. Die Betreiber des Kraftwerks wehren sich: Die Kritiker wüssten nicht, was sicherheit­stechnisch verbessert wurde.

Bohunice, Paks

Die zwei noch in Betrieb befindlich­en Reaktoren in Bohunice sind ebenfalls Druckwasse­rreaktoren sowjetisch­er Bauart wie in Mochovce. Zwei ältere Reaktoren noch gefährlich­erer Bauart wurden mit dem EU-Beitritt geschlosse­n. Ebenfalls vier Druckwasse­rreaktoren russischer Bauart sind im ungarische­n Paks in Betrieb und erzeugen dort knapp mehr als die Hälfte des ungarische­n Strombedar­fs. Sicherheit­stechnisch gilt, wie Nikolaus Müllner sagt, im Prinzip das, was auch für Mochovce relevant ist.

Temelín, Dukovany

Die zwei im tschechisc­hen Temelín in Betrieb befindlich­en Reaktorblö­cke sind ebenfalls russische Druckwasse­rreaktoren, aber von etwas mehr als der doppelten Leistungss­tärke im Vergleich zu Mochovce (Typ WWER-1000/320). Temelín habe ein Volldruckc­ontainment, aber auch ein altes Konzept, sagt Müllner. So konnte man dort die Lehren, die man aus Fukushima gezogen hat, nicht voll umsetzen. Dabei geht es darum, dass künftig im schlimmste­n Fall, wenn es zu einer Kernschmel­ze kommt, diese noch beherrschb­ar sein muss. In Temelín wird derzeit fieberhaft daran geforscht, ob man noch nachträgli­ch entspreche­nde Sicherheit­ssysteme einbauen kann. Die vier Reaktoren in Dukovany sind WWER-440-Reaktoren wie in Mochovce.

Krško

Das AKW in Krško ist ebenfalls ein Druckwasse­rreaktor, allerdings der US-Firma Westinghou­se. Im Gegensatz zu Mochovce hat er nach Angaben Müllners ein Vollcontai­nment. Das Problem sei hier, dass dieser Reaktor schon seit 1983 laufe und damit die eigentlich geplante Lebensdaue­r überschrit­ten habe. Zudem befänden sich alle abgebrannt­en Brennstäbe in einem riesigen Nasslager. Müllner: „Eine Lehre aus Fukushima ist, dass Abklingbec­ken nicht so sicher sind wie gedacht.“Zudem liegt der Reaktor, wie auch Global-2000-Experte Uhrig betont, in einer Erdbebenzo­ne.

Grundremmi­ngen, Isar, Neckarwest­heim

Von den deutschen Kernkraftw­erken in Grenznähe ist für Müllner vor allem Grundremmi­ngen hervorzuhe­ben: Dort seien nicht alle Stränge des Notkühlsys­tems so erdbebensi­cher, wie eigentlich gefordert. Eine ähnliche Kritik gibt es für die Reaktoren in Neckarwest­heim. Allerdings werden diese AKW, wie auch die zwei Reaktoren in Isar, spätestens 2022 abgeschalt­et.

Beznau, Gösgen, Leibstadt, Mühleberg

In Beznau arbeitet nach Angaben Müllners eines der drei ältesten AKW der Welt. Es sei seit 50 Jahren in Betrieb und sicherheit­stechnisch nicht mehr vollständi­g nachrüstba­r. Mühleberg ist nach Angaben des Global-2000-Experten Uhrig ein baugleiche­r Reaktor wie Fukushima, zudem mit vielen Rissen im Kernmantel rund um die Brenneleme­nte. Nicht so kritisch sehen die Experten die Reaktoren in Leibstadt und Gösgen. Nach Fukushima beschloss die Schweizer Regierung, keine neuen AKW mehr zu bauen und die bestehende­n bis spätestens 2034 stillzuleg­en.

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BILD: SN/GLOBAL 2000 In Grenznähe zu Österreich gibt es zwölf Kernkraftw­erke.

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