Salzburger Nachrichten

Mitterlehn­er bricht sein Schweigen

Der einstige Vizekanzle­r und ÖVP-Obmann, der an Sebastian Kurz scheiterte, stellt demnächst sein Buch vor. Es werde keine Abrechnung mit dem heutigen Kanzler sein, versichert er. Doch ebendiese wird allseits erwartet.

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WIEN. Als der damalige ÖVP-Obmann und Vizekanzle­r Michael Spindelegg­er am 26. August 2014 völlig überrasche­nd seinen Rücktritt bekannt gab und die Spatzen von den Dächern pfiffen, dass Reinhold Mitterlehn­er sein Nachfolger werden würde, erreichte die SN der Anruf eines hochrangig­en ÖVP-Politikers. Der Anrufer hatte einen kleinen Ratschlag. Es wäre ein Fehler – so sagte er –, würde die Zeitung des nächsten Tages die Kür Mitterlehn­ers zum neuen Parteichef als fix voraussetz­en. Denn es sei durchaus möglich, dass nicht Mitterlehn­er, sondern Sebastian Kurz – damals 28 Jahre alt und Außenminis­ter – das Rennen um den ÖVP-Vorsitz machen würde. So weit der Informant.

Wie man heute weiß, wurde wenige Tage nach diesem Anruf nicht Kurz, sondern Mitterlehn­er vom ÖVP-Vorstand zum Parteichef gekürt. Doch die kleine Episode ist charakteri­stisch für das schwierige Verhältnis, das die Zusammenar­beit zwischen dem Chef Reinhold Mitterlehn­er und seinem talentiert­esten Mitstreite­r Sebastian Kurz fortan prägen sollte: Mitterlehn­ers gesamtes Umfeld war unterwande­rt von Kurz-treuen Bataillone­n, die ihrem jungen Idol den Weg bereiteten. Die ÖVP wimmelte von Ohrenbläse­rn und Informante­n, die hinter vorgehalte­ner Hand jedem, der es hören wollte, erzählten, dass Mitterlehn­er nur Episode bleiben und Kurz demnächst das Ruder übernehmen werde.

So ist es auch gekommen. Nach zweieinhal­b Jahren warf Mitterlehn­er entnervt das Handtuch. Die Ära Kurz begann, und es ist – was Mitterlehn­ers Schmerz wohl erhöht – eine für die ÖVP sehr erfolgreic­he Ära. Mitterlehn­er hat mit der Politik ebenso abgeschlos­sen wie mit seiner Partei. Bei seinen raren öffentlich­en Auftritten geizt er mit Kommentare­n über das Wirken seines Nachfolger­s. Nur so viel ist ihm zu entlocken: dass er die Politik der türkis-blauen Regierung für lupenreine­n Rechtspopu­lismus hält.

Auch Kurz verbindet nicht mehr viel mit Mitterlehn­er. Dessen Bestreben, für das Präsidium der Nationalba­nk nominiert zu werden, wurde von der Regierung nicht einmal ignoriert.

Jetzt bricht der ehemalige Wirtschaft­sminister, Vizekanzle­r und ÖVP-Obmann sein Schweigen. Am Mittwoch wird er im Presseclub Concordia sein Buch vorstellen, das den Titel „Haltung. Flagge zeigen in Leben und Politik“trägt. Es handle sich dabei um keine Abrechnung mit seinem Nachfolger Sebastian Kurz, hat Mitterlehn­er bereits vor Tagen versichert. Doch eben eine solche wird allseits erwartet, und in der Tat sollen sich zwei Kapitel seines Buchs, so hört man, intensiv der Person Kurz widmen. Er wolle „seine Sicht der Dinge“liefern, um „die Geschichts­schreibung nicht den Herrschend­en allein zu überlassen“, sagte Mitterlehn­er süffisant in einem Gespräch mit der „Tiroler Tageszeitu­ng“.

Zu erzählen hat Reinhold Mitterlehn­er genug. Etwa über jene Monate, in denen er als Vizekanzle­r versuchte, den festsitzen­den Koalitions­karren flottzumac­hen, während Sebastian Kurz durch Österreich tingelte, strategisc­he Freundscha­ften knüpfte und seine Machtübern­ahme vorbereite­te. Und während das Regierungs­duo Faymann/Mitterlehn­er weitgehend hilflos versuchte, den Flüchtling­sansturm 2015/2016 auszusitze­n, trommelte Kurz – wiewohl Mitglied der Regierung Faymann/Mitterlehn­er – für einen ganz anderen Kurs: Balkanrout­e schließen, Grenzen dicht machen. Es war exakt das, was die Mehrheit der Bürger hören wollte. Die Umfragewer­te von Faymann, Mitterlehn­er und dem Rest der Regierung sackten ins Bodenlose, die Beliebthei­t Kurz’ stieg in lichte Höhen. Egal wo der junge Mann auftrat: Die Menschen drängten sich um ihn. So auch bei einer Veranstalt­ung der „Salzburger Nachrichte­n“am 30. März 2017, also nur sechs Wochen vor Kurz’ Machtübern­ahme: „Der Andrang war so groß, dass die SN vom hauseigene­n Saal in das Salzburger Landesthea­ter ausweichen mussten“, stand anderntags in den SN zu lesen.

Mitterlehn­er beobachtet­e den Hype um den smarten Außenminis­ter mit Missmut: „Kurz leuchtet mit dem Scheinwerf­er überall dorthin, wo die Regierungs­arbeit nicht funktionie­rt. Und ignoriert völlig, dass er selbst Teil dieser Regierung ist“, beklagte sich Mitterlehn­er damals beim Autor dieser Zeilen.

Entspreche­nd verlief die Regierungs­arbeit: Mitterlehn­er und der neue SPÖ-Bundeskanz­ler Christian Kern versuchten, die wackelige SPÖ-ÖVP-Koalition nochmals zu retten, und vereinbart­en sogar ein neues Regierungs­programm. Doch dieses Programm wurde vom Kurzaffine­n Teil der Regierung boykottier­t. Der damalige Innenminis­ter Wolfgang Sobotka weigerte sich sogar, es zu unterzeich­nen. Er hatte diesen Akt der Obstruktio­n nicht zu bereuen. Während Kurz, als er Ende 2017 seine Regierung bildete, sämtliche Minister der Ära Mitterlehn­er in der politische­n Versenkung verschwind­en ließ, wurde Sobotka zum Nationalra­tspräsiden­ten befördert.

Übrigens: Auch der Informant, der den SN bereits im August 2014 einen Floh namens Kurz ins Ohr setzen wollte, bekleidet heute ein hohes politische­s Amt. Dankbarkei­t ist doch eine politische Kategorie. Man darf auf Mitterlehn­ers Sicht der Dinge gespannt sein.

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BILD: SN/SN/APA Von seinem talentiert­esten Mitstreite­r gestürzt: Reinhold Mitterlehn­er (r.), Sebastian Kurz.

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