„Stacheldrahtzaun“für das Internet
Russlands neue Regelung für das Digitale dient der staatlichen Kontrolle.
Die dritte Lesung ist Formsache. Niemand in Moskau bezweifelt, dass die Staatsduma am Dienstag das Gesetz über Russlands „souveränes Internet“verabschieden wird. Bei der zweiten Lesung am vorigen Donnerstag haben 320 Abgeordnete dafür gestimmt, nur 15 dagegen. Allerdings herrscht im russischen Netz selbst Unklarheit, worüber die Duma wirklich abgestimmt hat. Befürworter und Kritiker streiten, ob das Gesetz die Webfreiheit der Russen verteidigen oder ihr den Garaus machen wird.
Die Autoren versichern, das Gesetz werde Drohungen für das „Runet“aus dem Ausland ausschalten. „Es schafft zusätzliche Voraussetzungen für die stabile Arbeit des russischen Internetsegments im Falle, dass jemand versucht, irgendwie Einfluss auf das Netz von außerhalb zu nehmen“, erklärte der Parlamentarier Leonid Lewin während der zweiten Lesung. Alexander Scharow, Chef der IT-Aufsichtsbehörde Roskomnadsor, versicherte, das Gesetz sei für Ausnahmesituationen gedacht.
Das Gesetz sieht ein Register aller Punkte im Internet vor, an denen das russische und das globale Netz Datenströme austauschen. Zu ihrer Kontrolle rüstet der Staat die russischen Provider mit Technik aus, die es erlaubt, den gesamten Internetverkehr zu filtern. Sie soll nach dem Prinzip „deep packet inspection“alle Informationen erkennen, die für konkrete Seiten oder Anwendungen charakteristisch sind, und diese nach Bedarf blockieren. Roskomnadsor wird befugt sein, im Ernstfall das russische Internet und seinen Datenverkehr zentral zu steuern. Welche Bedrohungen zu diesem Ernstfall gehören, soll vorher die Regierung festlegen.
Fachleute bezweifeln, dass der Rest der Welt gewillt oder fähig ist, Russlands Internet abzuschalten. „Das haben die Amerikaner nicht einmal im Iran versucht“, sagt Alexander Issawnin, Koordinator der Nichtregierungsorganisation RosKomSwoboda, die sich für ein freies Internet einsetzt.
Russlands virtuelle Autarkie soll Anfang November in Kraft treten, aber in der russischen IT-Branche herrschen Zweifel, ob es tatsächlich funktionieren wird. Experten verweisen auf die Kosten der neuen Technik, die inzwischen auf mehr als 413 Mill. Euro beziffert werden.
Issawnin befürchtet, dass sich das Gesetz weniger gegen das feindliche Ausland richtet als gegen unliebsame russische Internetprojekte wie etwa den Messengerdienst Telegram. „Ein Gesetz wie der Stacheldrahtzaun, mit dem die Sowjetunion im Kalten Krieg ihre Grenzen schützte“, sagt Issawnin. „Feindliche Raketen hätte er nie aufgehalten, dafür schränkte er die Bewegungsfreiheit der eigenen Bürger ein.“Die Fachwelt befürchtet massive Pannen durch das neue System, eine Arbeitsgruppe der Regierung rechnet mit Schäden von gut 1,8 Mrd. Euro im Jahr.