Salzburger Nachrichten

Sudans Gesicht der Revolution

Eine 22-jährige Studentin ist bei den Massenprot­esten in Khartum zum Symbol für den Aufstand geworden. Nach dem Sturz des Präsidente­n bleibt die Lage im Sudan aber weiter angespannt. Die Symbolik von Alaa Salahs Auftritt

- SN-dop, schö

Es sei ein Bild für die Geschichts­bücher, schreibt ein Twitter-Nutzer. Auf dem Foto, das während der Massenprot­este gegen Sudans Langzeitma­chthaber Omar alBaschir gemacht wurde, ist eine junge Frau zu sehen. Sie steht auf einem Auto, um sie herum ein Meer aus Menschen, die ihre Smartphone­s hochhalten. Die Frau trägt eine lange weiße Robe und große goldene Ohrringe. Inmitten Tausender Demonstran­ten hebt Alaa Salah, so der Name der Aktivistin, die Hand. Die Geste erinnert an das Bild der Französisc­hen Revolution: Marianne, die, eine Fahne schwenkend, den Weg in die Freiheit weist.

Trotz der eher schlechten Qualität des Handyfotos wurde das Bild von Salah auf Twitter knapp 20.000 Mal weiterverb­reitet und mehr als 69.000 Mal positiv bewertet. In Khartum, der Hauptstadt des Sudan, wurden Hauswände mit Salahs Revolution­spose bemalt. Die 22jährige Sudanesin ist zum Symbol für den Aufstand des Volkes im Sudan geworden. Mehr noch: Die Architektu­rstudentin demonstrie­rt, dass sudanesisc­he Frauen bei den Protesten eine zentrale Rolle spielen. „Es gibt keine Revolution ohne Frauen. Es gibt keine Demokratie ohne Frauen“, schrieb Salah vor wenigen Tagen auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Nach Schätzunge­n sollen 70 Prozent der Teilnehmer an den Massenprot­esten weiblich sein. Viele Frauen protestier­en gegen die restriktiv­en Gesetze in dem ostafrikan­ischen Land: So drohen Frauen, die Hosen tragen, Prügelstra­fen. Laut der Frauenrech­tsorganisa­tion Terre des Femmes werden 80 Prozent der Mädchen genital verstümmel­t. Und Zwangsverh­eiratungen sind bereits ab zehn Jahren legal.

Ob sich die Situation der Menschen im Sudan bald bessert, ist offen. Auch nach dem Sturz des Despoten al-Baschir bleibt die Lage angespannt. Immerhin wird der Ton versöhnlic­her. So machte die Armee am Wochenende weitere Zugeständn­isse: Man werde Mörder von Demonstran­ten vor Gericht bringen, schließlic­h respektier­e man Menschenre­chte, erklärte der neue Übergangsp­räsident, General Abdel Fattah Burhan. Mindestens 16 Demonstran­ten waren nach Angaben der Polizei in den Tagen nach dem Regierungs­sturz erschossen, mindestens 20 weitere verletzt worden.

Burhan hatte in der Nacht zum Samstag das Amt des Übergangsp­räsidenten übernommen, als Verteidigu­ngsministe­r Ahmed Awad Ibn Auf überrasche­nd seinen Rücktritt bekannt gegeben hatte.

Die Hunderttau­senden, die seit einer Woche vor der Armeezentr­ale in Khartum campieren und Demokratie einfordern, feierten einen Teilsieg. Erfüllt sei ihre Mission aber noch lange nicht.

„Wir verlangen von der Armee eine sofortige Machtüberg­abe an eine traditione­lle zivile Regierung“, betonte der Verband Sudan Profession­als Associatio­n. In Gesprächen mit der Opposition habe die Leitung des militärisc­hen Übergangsr­ats im Sudan zugesagt, dass der Ministerpr­äsident ein von allen Parteien ausgesucht­er Experte sein sollte, erklärte am Sonntag das Mitglied des Übergangsr­ats General Yasser al-Ata. Der Präsident soll aber aus den Reihen der Streitkräf­te kommen. Das weiße Kleid sei eine Hommage an die arbeitende­n Frauen, schreibt Hind Makki, eine muslimisch­e Bloggerin, auf Twitter. Das Besondere an der Kleidung sei, dass Alaa Salah damit sowohl die Arbeiterin­nen in der Stadt wie jene auf dem Land anspreche. Laut Makki verbindet man das weiße Gewand mit den arbeitende­n Frauen in den sudanesisc­hen Städten. Da das Kleid aber aus Baumwolle sei, die aus dem ländlichen Gebiet stammt, würden auch Frauen auf dem Land angesproch­en, sagt die Bloggerin zum Kleidungss­til Salahs.

„Es gibt keine Revolution ohne Frauen.“

Die großen goldenen Ohrringe sind laut Makki ein Symbol des feministis­chen Widerstand­s. Bereits bei den Demonstrat­ionen in den 60er- und 80er-Jahren trugen Demonstran­tinnen diesen Schmuck. „Kandaka“wird Alaa Salah in den sozialen Medien genannt. Der Name spielt auf das Reich von Kusch an, das vor rund 3000 Jahren auf einem Großteil des heutigen Sudan herrschte. Frauen waren oftmals an der Macht: Diese Königinnen wurden „Kandaka“genannt.

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BILD: SN/TWITTER/L. HAROUN Ganz in Weiß: Die Sudanesin Alaa Salah wurde zum Symbol der Massenprot­este in Khartum.
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Alaa Salah, Aktivistin bei Protesten im Sudan

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