380 kV: Jetzt geht es um den Baustart
Der Streit um die Stromleitung spitzt sich zu. Die Betreiber wollen heuer den Bau beginnen. Die Gegner hoffen, dass Höchstrichter das unterbinden.
„Wir sind auch bei den anderen Projekten so vorgegangen.“
„Ja dürfen sie denn das überhaupt?“Diese Frage stellen sich Anrainer an der geplanten 380-Kilovolt-Trasse zwischen Elixhausen und Kaprun angesichts des bevorstehenden Baubeginns, den die Projektbetreiber für Herbst 2019 angekündigt haben. Die Antwort lautet: Ja, das dürfen sie. Wichtiger Zusatz: nach derzeitigem Stand.
Die Bauherren können seit März auf die rechtskräftige positive Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verweisen. In einigen Monaten könnte die Sache aber anders aussehen. Denn bis dahin soll der Verfassungsgerichtshof entschieden haben, ob er den dieser Tage eingebrachten Beschwerden der Freileitungsgegner eine aufschiebende Wirkung zuerkennt. Wenn das Höchstgericht das tut, dann darf die Verbund-Tochterfirma Austrian Power Grid (APG) den Bau nicht starten. Wenn es keine aufschiebende Wirkung gibt, ist ein Baubeginn auf jenen Flächen erlaubt, auf denen sich die APG mit den Grundeigentümern geeinigt hat. Für Abschnitte, auf denen die Eigentümer nicht zustimmen, will die Betreiberfirma bei den Behörden zwangsweise Dienstbarkeiten erwirken – und die anschließenden Rechtsstreitigkeiten können lang dauern.
Für die Gemeinden und Bürgerinitiativen Eugendorf und Koppl hat der Vorarlberger Rechtsanwalt Adolf Concin die Beschwerde formuliert. Er sieht „erhebliche Rechtswidrigkeiten“, Willkür und eine verkannte Rechtslage. Das Bundesverwaltungsgericht habe in entscheidenden Punkten „jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen“.
Koppls ÖVP-Bürgermeister Rupert Reischl sagt: „Die Drohung, den Bau zu beginnen, obwohl das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, empfinden viele Menschen als Einschüchterung. Es entsteht der Eindruck, dass da vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen, um die Bevölkerung, besonders die Grundeigentümer, zu verunsichern.“
76 Seiten stark ist allein die Beschwerde, die der Wiener Anwalt Wolfgang List für Bürgerinitiati
ven, die Gemeinden Scheffau und Adnet sowie für Privatpersonen an den Verfassungsgerichtshof geschickt hat. List versteht nicht, warum der APG-Vorstand den Bau beginnen will, obwohl er damit riskiere, ihn nach Höchstgerichtsentscheidungen einstellen zu müssen. „Welcher normale Unternehmer würde dieses Risiko eingehen?“, fragt List. Immerhin gehe es um ein Großprojekt mit dem unglaublichen Volumen von rund 800 Millionen Euro, für das in diesem Fall dann Geld beim Fenster hinausgeworfen worden wäre. Er würde als Projektanwalt seinen Mandanten raten, das nicht zu tun.
Die APG nimmt ein gewisses, ihrer Meinung nach relativ geringes Risiko in Kauf. Bei einer Entscheidung auf aufschiebende Wirkung dürfte man den Bau nicht beginnen oder man müsste damit aufhören, wenn er schon begonnen hat, räumt auch Projektleiter Wolfgang Hafner ein. Aber von einer solchen Entscheidung gehen die APG-Manager nicht aus. Warum? „Aufgrund unserer Erfahrungen mit den letzten Leitungsprojekten, wie der Steiermarkleitung, der Salzburgleitung I und der Weinviertelleitung.“Man habe auch bislang schon die Revision an Höchstgerichte nicht abgewartet. „Wir haben das rechtlich prüfen und eine Risikobewertung vornehmen lassen.“Die Dringlichkeit des Projekts sei so hoch, dass sie nicht länger warten könnten.
Hafner: „Wir müssen ein gewisses Risiko eingehen.“Denn auf der anderen Seite bestehe in der derzeitigen Lage auch für die Stromversorgungssicherheit ein Risiko. „Wir dürfen nach dem 77 Monate dauernden Verfahren nicht noch mehr Zeit verlieren.“Die Bauzeit werde ohnehin mehr als vier Jahre betragen. Im Jahr 2024 soll die 380-kV-Freileitung vom Flachgau in den Pinzgau fertiggestellt sein.