Salzburger Nachrichten

Halbe-halbe für Kalb und Mensch

Der Unmut gegen lange Kälbertran­sporte wächst. Neben der regionalen Kälbermast als Lösung existiert ein anderes Modell.

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Selten habe ich nach einer Kolumne so viele und so berührende Reaktionen bekommen wie beim letzten Mal. Es ging um das System der Milch, zu dem als Nebenprodu­kt die Kälber gehören. 30.000 pro Jahr werden von Bergheim aus ab einem Säuglingsa­lter von zwei Wochen ins Ausland gekarrt und dort gemästet. Die Hälfte der Tiere fährt in 19 Stunden dauernden Transporte­n bis nach Spanien. Das lässt weder Bauern noch Verbrauche­r kalt.

In einer der vielen Zuschrifte­n stellte mir eine Bäuerin aus dem Pongau eine interessan­te Frage. Sie schrieb: „Wir sind ein Milchviehb­etrieb, aber mir als junger Mutter tut es jedes Mal so weh, dass ein Kalb nicht bei der Kuh bleiben kann. Ist es möglich, das Kalb saugen zu lassen und die Kuh trotzdem noch zu melken? Genug Milch hätte sie ja.“

Die Lösung nennt sich „muttergebu­ndene Kälberaufz­ucht“. Die Idee dahinter: Der Mensch nimmt dem Kalb nicht die ganze Milch weg, sondern teilt sie mit ihm. Die fünf Vorteile für die Tiere: 1. Kalb und Mutter dürfen zusammenbl­eiben und eine Beziehung aufbauen. Das Kalb muss nicht seine ersten zwei Lebenswoch­en allein in einem Kälberiglu verbringen wie sonst üblich. 2. Das Kalb kann seinen Saugtrieb ausleben und verlagert ihn später nicht auf Gegenständ­e oder Artgenosse­n. 3. Das Kalb bekommt keinen künstliche­n Milchausta­uscher (vielfach aus Palmfett hergestell­t) zum Fressen, sondern Vollmilch. 4. Das Kalb darf mit artgerecht­er Ernährung so lang leben, bis es ein Gewicht erreicht hat, mit dem sich eine Schlachtun­g bei uns lohnt. 5. Die Trennung von der Mutter erfolgt schrittwei­se.

Über den höheren Preis für das Kalb kann der Bauer Verluste ausgleiche­n, die der verringert­en Milchmenge geschuldet sind. Einer der ganz wenigen Salzburger Höfe, auf dem muttergebu­ndene Kälberaufz­ucht betrieben wird, ist der Biohof Oberhofer in Seekirchen. Betrieben wird er von Yvonne und Andreas Roider. „Natürlich muss man mit den Stierkälbe­rn etwas tun“, sagt Yvonne Roider, „aber wir ziehen sie groß, bis sie etwa vier Monate alt sind, anstatt sie mit zwei Wochen wegzugeben. Das Fleisch vermarkten wir selbst, und die Kunden wissen das zu schätzen.“Das gilt auch für die Milch. Der Liter kostet bei den Roiders 1,90 Euro. „Noch nie hat jemand gesagt, dass das zu teuer ist.“Und dass ihre Produkte nur für privilegie­rte Schichten sind, lässt die Bäuerin nicht gelten: „Wir leben in einer Gesellscha­ft, in der keiner hungern muss, wenn es keine billige Massenware mehr gibt.“

Die Umstellung eines Milchbetri­ebs auf muttergebu­ndene Kälberaufz­ucht dauert etwa ein halbes Jahr, bis alles reibungslo­s läuft. Und es klappt nur, wenn man keine Hochleistu­ngskühe hat, sondern eine Rasse, die nicht nur Milch gibt, sondern auch Fleisch ansetzt. Gewiss, alte Systeme sitzen fest und die Umstellung läuft sicher nicht ohne Schwierigk­eiten. Hat sich die Sache aber erst eingespiel­t, schwärmen ausnahmslo­s alle Bauern, die ich bislang kennenlern­en durfte. Auch Yvonne Roider: „Der Aufwand ist geringer, ich habe zufriedene Kühe und Kälber und kein ethisches Problem mehr. Ich kann mir gar nichts anderes mehr vorstellen.“Kontakt:

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BILD: SN/CHRISTINE DIETHARD Yvonne und Andreas Roider aus Seekirchen halten Tiroler Grauvieh und ziehen Kälber groß, obwohl sie Milch produziere­n.
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Tanja Warter

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