Ist der Tod je zu besiegen?
Voller Entsetzen oder starr vor Schmerz malt Caravaggio jene Trauernden, die am Karfreitag den Leichnam Jesu ins Grab hieven sollen.
Zupackend, fast ins Derbe gehend zeigt Dirck van Baburen „Die Grablegung Christi“. Das Gemälde ist Teil einer Ausstellung in der Alten Pinakothek in München. Passend zum Karfreitag geht auch die Diskussion um das Arbeiten an diesem Arbeits- oder Feiertag weiter.
Zum Greifen nah ist der Leichnam Christi, bleich und kalt, doch viel zu schön, um hinabzugleiten in das Reich des Todes. Doch was bleibt den Beteiligten anderes, als den schweren Körper in die Gruft zu hieven? Voller Entsetzen, schmerzversunken, keiner Regung mehr fähig – die tiefsten Emotionen sind hinaufgefächert bis zu den hochgerissenen Armen der Maria des Kleophas. Alles ist schlaglichtartig beleuchtet, als öffnete sich der finstere Himmel für einen Moment.
Erschüttert müssen die Rom-Pilger vor diesem Bild gestanden sein. Caravaggio zieht bei dieser „Grablegung Christi“aus den Jahren 1602/03 sämtliche Register und man begreift sofort, weshalb dieser schillernde Maler schnell zum Idol der Künstler geworden ist. Die Jungen sollten nicht nur seine „wunderlichen Dinge“studieren und kopieren, sondern am besten noch übertreffen, empfiehlt Karel van Mander 1604. Dabei denkt der Kunstschriftsteller aus Amsterdam an die Compassio, das Mitleiden, und das Chiaroscuro, diese HellDunkel-Kontraste, die sich in ganz Europa herumgesprochen haben.
Und Rom roch immer schon nach Abenteuer. Deshalb wandern die Künstler scharenweise in die Ewige Stadt. Aus Frankreich, Spanien, Flandern oder den Niederlanden kommen sie, wo der Beifall gewiss ist, wenn sich einer im kulturellen Zentrum der Welt den letzten Schliff holt – und den Thrill Caravaggios noch weitertreibt. Sei es durch einen gewagten Bildschnitt oder eine ausnehmend widerliche Schächergrimasse bei der Verspottung Christi.
Dieses Ausreizen der Möglichkeiten gelingt vor allem drei Malern aus Utrecht, die im Mittelpunkt einer opulenten Schau der Alten Pinakothek in München stehen: Da ist der Magier des Kunstlichts Gerard van Honthorst, den die Italiener „Gherardo delle Notti“, also „Gerard der Nachtstücke“, nennen. Der zupackende Dirck van Baburen steigert Caravaggios Realismus zuweilen ins Derbe und zeigt Details wie die Füße der Schriftgelehrten im Tempel noch schmutziger und schrundiger. Zu diesem Trio gehört auch der eigenwillige, rätselhafte Hendrick ter Brugghen, der beim Inkarnat zu eindrucksvollen Lösungen findet, indem er etwa die morbide Wirkung eines Leichnams durch die Beimischung grüner Pigmente unterstreicht.
Die Namen der Utrechter Caravaggisten mögen weniger geläufig sein als die der später wirkenden Überflieger Rembrandt und Vermeer. Doch das Aufeinandertreffen einer langen realistischen Bildtradition des Nordens und der frühbarocken Dramatik des Südens macht diese Fortbildungsreise so aufregend. An Qualität mangelt es keineswegs. Honthorst, Baburen und ter Brugghen sind bestens ausgebildet und mit 17, 18 Jahren neugierig und ausdauernd genug, sich ins überschäumende römische Kreativbecken zu stürzen.
Die Konkurrenz ist enorm. In der Kernphase des Caravaggismus zwischen 1600 und 1630 werden 2700 Künstler registriert, fast 600 aus dem Ausland. Wer vorwärtskommen will, braucht Kontakte. Dabei liefert allein die Betrachtung der Originale Inspiration für eine ganze Karriere. In den verdunkelten Räumen der Alten Pinakothek kann man das Staunen dieser Rom-Ankömmlinge nachvollziehen: Als sie in Santa Maria del Popolo Caravaggios „Kreuzigung Petri“(1602/05) zum ersten Mal gesehen haben. Oder die eingangs erwähnte „Grablegung“in der Chiesa Nuova.
Dieses Andachtsbild, das inzwischen in den Vatikanischen Museen hängt, durfte erst nach zähen Verhandlungen mit einer Polizeieskorte in die Alte Pinakothek reisen, wo es zu den Höhepunkten zählt.
Nun kann man im Umkreis dieser perfekt gestaffelten Personenkomposition studieren, wie sie junge Künstler inspiriert hat. Bei Dirck van Baburen wird die Grablegung zum Kraftakt: Johannes und Nikodemus droht der schwere Leichnam zu entgleiten, und der Betrachter wird zum Voyeur unbändiger Verausgabungen. Dagegen scheint der tote Christus beim französischen Kollegen Nicolas Tournier federleicht zu sein, entsprechend elegant kann er zu Grabe getragen werden.
Nationale Eigenheiten werden in Rom nicht unbedingt abgelegt. Und das Vergleichen macht den Reiz dieser aus Utrecht übernommenen und erweiterten Schau aus. Ob es nun um den von Pfeilen durchbohrten Körper des heiligen Sebastian geht – vielleicht ist ter Brugghens Darstellung mit der pflegenden Irene das anrührendste unter den insgesamt 75 Gemälden – oder um fröhliche Musikanten und ausgebuffte Zockernaturen, die nach all den Martyrien dringend nötig sind.
Gerard van Honthorst kann hier seine Nachtgestalten geschickt im Kerzenlicht inszenieren und dabei gezielt erotisieren. Wie der Galan nur mehr die tief liegenden Reize der ihm angedienten Lautenspielerin im Blick hat, so wird auch das Auge des Betrachters zum Dekolleté geführt. Aus dieser raffinierten Lichtregie muss man sich bewusst lösen, um „Die Kupplerin“oder den prallen Geldbeutel des hormongesteuerten Verehrers zu betrachten. Der Maler war übrigens selbst kein Verächter käuflicher Damen.
Sowieso kam der Realismus der Caravaggisten und ihres Vorbilds nicht von ungefähr. Rom war ein hartes Pflaster, das sollte man bei allen kulturellen Höhenflügen nicht vergessen. Saufgelage und Schlägereien gab es auch in Künstlerkreisen, der jähzornige Caravaggio war nicht der Einzige, der zum Messer griff. Wenn man am Richtplatz vorbeikam, konnte da seit Tagen ein Korb mit abgeschlagenen Köpfen stehen. Die Brutalität war allgegenwärtig und wie so oft stellt sich eigentlich nur die Frage, ob man sie zeigt.