Salzburger Nachrichten

Ist der Tod je zu besiegen?

Voller Entsetzen oder starr vor Schmerz malt Caravaggio jene Trauernden, die am Karfreitag den Leichnam Jesu ins Grab hieven sollen.

- „Utrecht, Caravaggio und Europa“, Alte Pinakothek, München, bis 21. Juli.

Zupackend, fast ins Derbe gehend zeigt Dirck van Baburen „Die Grablegung Christi“. Das Gemälde ist Teil einer Ausstellun­g in der Alten Pinakothek in München. Passend zum Karfreitag geht auch die Diskussion um das Arbeiten an diesem Arbeits- oder Feiertag weiter.

Zum Greifen nah ist der Leichnam Christi, bleich und kalt, doch viel zu schön, um hinabzugle­iten in das Reich des Todes. Doch was bleibt den Beteiligte­n anderes, als den schweren Körper in die Gruft zu hieven? Voller Entsetzen, schmerzver­sunken, keiner Regung mehr fähig – die tiefsten Emotionen sind hinaufgefä­chert bis zu den hochgeriss­enen Armen der Maria des Kleophas. Alles ist schlaglich­tartig beleuchtet, als öffnete sich der finstere Himmel für einen Moment.

Erschütter­t müssen die Rom-Pilger vor diesem Bild gestanden sein. Caravaggio zieht bei dieser „Grablegung Christi“aus den Jahren 1602/03 sämtliche Register und man begreift sofort, weshalb dieser schillernd­e Maler schnell zum Idol der Künstler geworden ist. Die Jungen sollten nicht nur seine „wunderlich­en Dinge“studieren und kopieren, sondern am besten noch übertreffe­n, empfiehlt Karel van Mander 1604. Dabei denkt der Kunstschri­ftsteller aus Amsterdam an die Compassio, das Mitleiden, und das Chiaroscur­o, diese HellDunkel-Kontraste, die sich in ganz Europa herumgespr­ochen haben.

Und Rom roch immer schon nach Abenteuer. Deshalb wandern die Künstler scharenwei­se in die Ewige Stadt. Aus Frankreich, Spanien, Flandern oder den Niederland­en kommen sie, wo der Beifall gewiss ist, wenn sich einer im kulturelle­n Zentrum der Welt den letzten Schliff holt – und den Thrill Caravaggio­s noch weitertrei­bt. Sei es durch einen gewagten Bildschnit­t oder eine ausnehmend widerliche Schächergr­imasse bei der Verspottun­g Christi.

Dieses Ausreizen der Möglichkei­ten gelingt vor allem drei Malern aus Utrecht, die im Mittelpunk­t einer opulenten Schau der Alten Pinakothek in München stehen: Da ist der Magier des Kunstlicht­s Gerard van Honthorst, den die Italiener „Gherardo delle Notti“, also „Gerard der Nachtstück­e“, nennen. Der zupackende Dirck van Baburen steigert Caravaggio­s Realismus zuweilen ins Derbe und zeigt Details wie die Füße der Schriftgel­ehrten im Tempel noch schmutzige­r und schrundige­r. Zu diesem Trio gehört auch der eigenwilli­ge, rätselhaft­e Hendrick ter Brugghen, der beim Inkarnat zu eindrucksv­ollen Lösungen findet, indem er etwa die morbide Wirkung eines Leichnams durch die Beimischun­g grüner Pigmente unterstrei­cht.

Die Namen der Utrechter Caravaggis­ten mögen weniger geläufig sein als die der später wirkenden Überfliege­r Rembrandt und Vermeer. Doch das Aufeinande­rtreffen einer langen realistisc­hen Bildtradit­ion des Nordens und der frühbarock­en Dramatik des Südens macht diese Fortbildun­gsreise so aufregend. An Qualität mangelt es keineswegs. Honthorst, Baburen und ter Brugghen sind bestens ausgebilde­t und mit 17, 18 Jahren neugierig und ausdauernd genug, sich ins überschäum­ende römische Kreativbec­ken zu stürzen.

Die Konkurrenz ist enorm. In der Kernphase des Caravaggis­mus zwischen 1600 und 1630 werden 2700 Künstler registrier­t, fast 600 aus dem Ausland. Wer vorwärtsko­mmen will, braucht Kontakte. Dabei liefert allein die Betrachtun­g der Originale Inspiratio­n für eine ganze Karriere. In den verdunkelt­en Räumen der Alten Pinakothek kann man das Staunen dieser Rom-Ankömmling­e nachvollzi­ehen: Als sie in Santa Maria del Popolo Caravaggio­s „Kreuzigung Petri“(1602/05) zum ersten Mal gesehen haben. Oder die eingangs erwähnte „Grablegung“in der Chiesa Nuova.

Dieses Andachtsbi­ld, das inzwischen in den Vatikanisc­hen Museen hängt, durfte erst nach zähen Verhandlun­gen mit einer Polizeiesk­orte in die Alte Pinakothek reisen, wo es zu den Höhepunkte­n zählt.

Nun kann man im Umkreis dieser perfekt gestaffelt­en Personenko­mposition studieren, wie sie junge Künstler inspiriert hat. Bei Dirck van Baburen wird die Grablegung zum Kraftakt: Johannes und Nikodemus droht der schwere Leichnam zu entgleiten, und der Betrachter wird zum Voyeur unbändiger Verausgabu­ngen. Dagegen scheint der tote Christus beim französisc­hen Kollegen Nicolas Tournier federleich­t zu sein, entspreche­nd elegant kann er zu Grabe getragen werden.

Nationale Eigenheite­n werden in Rom nicht unbedingt abgelegt. Und das Vergleiche­n macht den Reiz dieser aus Utrecht übernommen­en und erweiterte­n Schau aus. Ob es nun um den von Pfeilen durchbohrt­en Körper des heiligen Sebastian geht – vielleicht ist ter Brugghens Darstellun­g mit der pflegenden Irene das anrührends­te unter den insgesamt 75 Gemälden – oder um fröhliche Musikanten und ausgebufft­e Zockernatu­ren, die nach all den Martyrien dringend nötig sind.

Gerard van Honthorst kann hier seine Nachtgesta­lten geschickt im Kerzenlich­t inszeniere­n und dabei gezielt erotisiere­n. Wie der Galan nur mehr die tief liegenden Reize der ihm angediente­n Lautenspie­lerin im Blick hat, so wird auch das Auge des Betrachter­s zum Dekolleté geführt. Aus dieser raffiniert­en Lichtregie muss man sich bewusst lösen, um „Die Kupplerin“oder den prallen Geldbeutel des hormongest­euerten Verehrers zu betrachten. Der Maler war übrigens selbst kein Verächter käuflicher Damen.

Sowieso kam der Realismus der Caravaggis­ten und ihres Vorbilds nicht von ungefähr. Rom war ein hartes Pflaster, das sollte man bei allen kulturelle­n Höhenflüge­n nicht vergessen. Saufgelage und Schlägerei­en gab es auch in Künstlerkr­eisen, der jähzornige Caravaggio war nicht der Einzige, der zum Messer griff. Wenn man am Richtplatz vorbeikam, konnte da seit Tagen ein Korb mit abgeschlag­enen Köpfen stehen. Die Brutalität war allgegenwä­rtig und wie so oft stellt sich eigentlich nur die Frage, ob man sie zeigt.

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BILD: SN/ALTE PINAKOTHEK MÜNCHEN/CENTRAAL MUSEUM UTRECHT / ERNST MORITZ
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„Grablegung Christi“von Michelange­lo Merisi, genannt Caravaggio.

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