Salzburger Nachrichten

Musik lässt uns mit Maria am Kreuz stehen

Wie fühlt sich eine Mutter eines Gekreuzigt­en? Wie klingt die Freude der Auferstehu­ng? Zwei Konzertabe­nde in Salzburg geben Auskunft.

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SALZBURG. Welch ein Weh! „O quam tristis“heißt es im „Stabat Mater“, als Maria Jesus am Kreuz hängen sieht. Nachvollzi­ehen lässt sich der Gefühlszus­tand einer Mutter, die ihrem Sohn beim Sterben zusieht, eigentlich nicht.

Musik hilft uns dabei. Sie löst im besten Fall etwas aus, das uns für wenige Momente teilhaben lässt an der Stimmung der Kreuzigung­sszene. Antonín Dvořák hat die ersten Verse des „Stabat Mater“mit unfassbare­r, erschütter­nd trauriger Musik unterlegt. Ein riesiger Chor und vier Solisten erzählen fast 20 Minuten lang von Todesschau­ern, Qual und Bangen der Mutter Christi. Der geniale Melodiker Dvořák steckt all seine Meistersch­aft in diesen ersten der insgesamt

Dvoraks „Stabat Mater“rührt wie große Oper

zehn Sätze, der sich mehrmals zu überwältig­ender Klangwirku­ng steigert. Der Hörer ist erschütter­t und fühlt gleichzeit­ig mit Maria.

In der Karwoche ist der Konzertbes­ucher besonders empfänglic­h für diese Erzählunge­n von Tod und dessen Überwindun­g. Das wusste Herbert von Karajan, als er die Osterfests­piele Salzburg 1967 ins Leben gerufen hat. Passionen, (Toten-) Messen, auch profane Chorsympho­nien sind zentraler Bestandtei­l nahezu jeder Festivalau­flage. Zumeist zielt dabei eine der Aufführung­en auf den Karfreitag.

Dvořáks Vertonung des lateinisch­en Textes war am Dienstag erstmals in der Osterfests­piel-Geschichte zu hören – was angesichts der dramatisch­en Qualität dieses Werks verblüfft. Christoph Eschenbach hatte am Pult der Staatskape­lle Dresden vor allem die Aufgabe, die Einzelteil­e des hochromant­ischen Klangbilds fein aufeinande­r abzustimme­n. Dazu zählt auch ein Solistenqu­artett von opernhafte­m Format. René Papes markantes Basstimbre durchdring­t den Saal, besitzt aber auch die nötige Klarheit. Auch der kurzfristi­g für Pavol Breslik eingesprun­gene Tenor Tomislav Mužek meisterte sein großes Solo mit himmlisch lyrischer Färbung. Und Elisabeth Kulman vereint kraftvolle Tiefe und funkelnde Höhe ohnehin wie kaum eine andere Mezzosopra­nistin unserer Zeit.

Der wahre Star des Abends ist aber der Chor des Bayerische­n Rundfunks. Wie plastisch und fein schattiert die Sänger die gewaltigen Chorpassag­en des Werks formen, ist großartig. Überirdisc­he Wirkung erzielt zuletzt die A-cappella-Fuge, die diese Hundertsch­aft an Sängern kleinteili­g auffächert und doch zu großem Einklang führt.

Die Verantwort­ung für die Leistungen des Münchner Klangkörpe­rs trägt seit geraumer Zeit Howard Arman. Der Brite versteht es, aus einem vokalen Klangkörpe­r wie auf einer Orgel wundersame Farbtönung­en zu generieren. Dazu ist freilich gar nicht die für Dvořáks „Stabat Mater“verwendete Cinemascop­e-Ausgabe nötig. Am Mittwoch leitete Arman im Großen Saal der Stiftung Mozarteum Georg Friedrich Händels „Messiah“aus dem Geist historisch­er Aufführung­spraxis. Was der Brite aus den 22 Sängern des Collegium Vocale der Salzburger Bachgesell­schaft herausholt­e, war erstaunlic­h: Höchste Textdeutli­chkeit, scharf gezeichnet­e Konturen und deklamator­ische Kraft waren da zu hören.

Händel wählt einen anderen Blick als das „Stabat Mater“für die Kreuzigung, die in seinem Werk nur einen kleinen Platz einnimmt: Die Erzählung konzentrie­rt sich ganz auf Jesus selbst, der Hörer leidet mit dem Opfer und fühlt sich in einen weitaus größeren erzähleris­chen Kontext eingebette­t.

Zunächst berichtet der Altist – Markus Forster macht dies mit zurückgeno­mmener, verinnerli­chter Stimme – von den Geißelunge­n, die Gottes Sohn widerfahre­n. Dann erinnert der Chorklang in kontrapunk­tisch komplexer Gestalt daran, dass Jesus Qualen für uns Sünder erleidet: „And with his stripes we are healed.“Die beißende Ironie, mit der

Händels „Messiah“voll beißender Ironie

die Chorsänger das Volk als unmündige Schafe bezeichnen und das Gottvertra­uen Jesu hinterfrag­en, zeichnet Arman mit britischem Humor lustvoll nach.

Während Dvořák die Tragik der Kreuzigung­sszene wie große Oper behandelt und sich mit Empathie für die Mutter begnügt, denkt Händel weiter und nimmt den Hörer direkt in die Verantwort­ung: Jesus sei schließlic­h als Mensch durch Mitmensche­n zu Tode gekommen und würde als Mensch auferstehe­n.

Das gehört ebenso zum „Messiah“wie alles prächtige „Hallelujah!“, die schallende­n Naturtromp­eten der Hofkapelle München und das von der Sopranisti­n Katja Stuber herrlich zart und schlank intonierte Erlösungsg­eständnis.

Eine historisch­e Komponente besaß der Abend ohnehin: Vor 35 Jahren hatte Arman mit einer Aufführung des „Messiah“das erste Chorprojek­t der Salzburger Bachgesell­schaft aus der Taufe gehoben. Als künstleris­cher Beirat der Institutio­n dürfte er wieder öfter in Salzburg zu sehen sein. Dieser „Messiah“weckte die Lust darauf.

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Chorleiter Howard Arman ist in der Karwoche viel beschäftig­t.

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