Drill im Sport? Muss das sein?
Wie weit dürfen Trainer in der Arbeit mit dem sportlichen Nachwuchs gehen? Zwei Experten zeigen in Zeiten von Missbrauchsdebatten einen möglichen Ausweg.
„Es geht um Respekt und Vertrauen.“Felix Gottwald, Rekord-Olympionike „Die Prävention wird gut angenommen.“Thomas Wörz, VÖN-Präsident
Ist es Drill und Demütigung oder Mittel zum Zweck im Hochleistungssport? Die aktuellen Vorwürfe des Missbrauchs junger Mädchen in der Ballettschule der Wiener Staatsoper haben die Diskussionen im Sport auch ins Rollen gebracht. Felix Gottwald, Österreichs Rekordolympionike und heute Coach und Vortragender, nimmt vor allem das Umfeld von Kindern im Hochleistungssport in die Pflicht: „Die Eltern sind vor allem gefordert“, sagt Gottwald, „sie sind es, die das Kind bestärken und unterstützen und am Ende auch die Reißleine ziehen müssen.“
Gottwald muss es wissen. Der frühere Weltklasseathlet in der nordischen Kombination ging selbst fünf Jahre in das Skigymnasium in Stams – und schon nach nur sechs Wochen wurde den Eltern beim ersten Elternsprechtag vom Trainer und Erzieher nahegelegt, aufgrund mangelnder Leistungen in der Schule und fehlenden Talents im Sport das Vorhaben Spitzensport zu beenden, bevor es losging.
„Diese doch frühe Beurteilung veranlasste mich, mir noch einmal die Frage zu stellen: Will ich das wirklich? Die Antwort war eindeutig und meine Überzeugung und Begeisterung für den Spitzensport bestärkten auch meine Eltern darin, meinen Weg im Skigymnasium weiterhin zu unterstützen! Ich brauchte nur Zeit zum Üben und das Umfeld dafür war für mich zum damaligen Zeitpunkt das beste und einzige, wo ich Sport und Schule verbinden konnte und gleichzeitig mit den Besten zusammen war. Natürlich gab es in der Zeit auch Demütigungen und auch wir Junge waren Opfer und Täter zugleich.“
Die Zeit in Stams sei eine sehr prägende und auch harte gewesen und er wolle diese Zeit nicht missen, erinnert sich der heute 43-Jährige. „Wenngleich sich die Pädagogik zum Glück auch weiterentwickelt hat und vieles, was damals als fördernd und notwendig interpretiert wurde, heute als unbrauchbar und hinderlich enttarnt wurde. Und ja, es gab damals wie heute Lehrer und Trainer, die für diesen Beruf völlig ungeeignet sind, und andere, die ihre Berufung darin gefunden haben. Im Grunde geht es um Respekt, wie wir mit uns selbst und miteinander umgehen und um ein Umfeld, das das fördert und nicht verhindert“, meint der dreifache Olympiasieger. Er habe das Glück gehabt, mit Günther Chromecek im nordischen Bereich des ÖSV einen Trainer viele Jahre an seiner Seite gehabt zu haben, der ein grundehrlicher Mensch gewesen sei.
Es gehe darum, den jungen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, „denn es ist wichtig, die jungen Sportler einzuladen, zu ermutigen und in ihrer Vorgehensweise zu bestärken. Wenn wir mit unseren Kindern und Sportlern so umgehen, wie wir uns selbst auch wünschen, dass mit uns umgegangen wird, dann steht unserer Entwicklung und Höchstleistungen nichts im Wege“, meint Gottwald und ergänzt: „In so einem Umfeld wird es möglich, seine Grenzen auch freudvoll auszuloten und zu verschieben. Training, Übung und Drill braucht es in jedem Bereich, in dem wir uns weiterentwickeln wollen. Wiederholt Dinge zu meistern führt zur Meisterschaft.“
2700 Kinder und Jugendliche – großteils zwischen 14 und 19 Jahre alt – werden derzeit in den 15 Zentren des Verbands der Nachwuchsleistungssport-Modelle (VÖN) in ganz Österreich ausgebildet. Der Salzburger Thomas Wörz ist VÖNPräsident und weiß um das Problem, wenn Trainer in das Visier der Kritik geraten. „Auch wir hatten Fälle, wo ein Trainer nach Rückmeldungen von Eltern zu viel Druck auf die Kinder ausgeübt hat“, erzählt Wörz, „aber bevor bei uns nicht alles geklärt ist, wird ein Trainer freigestellt und wir nehmen währenddessen keine neuen Kinder in dieser Sportart auf.“Zumeist werde aber im Vorfeld schon geklärt, ob ein Betreuer ein Nachwuchsexperte sei oder nicht. „Das zeigen uns zumeist die Probemonate und seine Referenzen“, so Wörz.
Seit zwei Jahren hat sich in den heimischen Nachwuchsleistungssportzentren eine besondere Prophylaxe bewährt. Die VÖN-Zentren haben vier bis fünf Stunden pro Semester für das „besondere“Gespräch mit den Schülern reserviert. „Dort wird in der Gruppe die Prävention gegen sexuelle Übergriffe angesprochen, es werden Gewalt in der Schule und insgesamt Grenzüberschreitungen thematisiert.
Das wird gut angenommen“, sagt Wörz, der auch Sportpsychologe ist und Spitzensportler wie Marlies Schild (jetzt Raich) und Judoka Ludwig Paischer betreut hat. Damit würden die Sportkompetenzzentren zu verbindenden Betreuungsvereinen zwischen Schule und Leistungssport und „so eine zeitgemäße Einrichtung in diesen Zeiten“, so Wörz, der betont, dass Betreuer auch Vertrauenspersonen sein müssen.
Für Vordenker Gottwald besteht aber noch Hoffnung. Jetzt gelte es sensibel hinzuschauen und ein stabiles Zusammenspiel in der Beziehung zwischen Kind, Eltern und Trainer zu schaffen. „Mit Respekt, Wertschätzung und Vertrauen.“Auch die sportliche Zunft sei gefordert, mit einem entsprechenden Reglement die Szene schon bei jungen Sportlern zu beobachten, meint Gottwald.