Salzburger Nachrichten

Gestrandet an der Grenze

In El Paso und Juárez leben 2,5 Millionen Menschen in einem urbanen Raum, durch den seit 2008 ein Grenzzaun verläuft. Angesichts des Zustroms von Asylsuchen­den will Präsident Donald Trump hier ein Exempel statuieren.

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Zehn Tage lang drückte Marita kein Auge zu. Zusammen mit ihrem Vater Ernesto und Hunderten anderen Flüchtling­en aus Zentralame­rika kauerte die junge Frau verängstig­t unter der „Paso del Norte“-Brücke, die El Paso und Juárez miteinande­r verbindet. Eingepferc­ht wie Vieh hinter Maschendra­htzaun und Stacheldra­ht. Vorläufige Endstation einer Flucht vor Gewalt und extremer Armut, die vor 14 Tagen in einem Dorf in Guatemala begonnen hat.

„Es war einfach schrecklic­h“, erzählt die 16-Jährige von ihrer Erfahrung bei Ankunft im Gelobten Land. Die US-Grenzer drückten Marita eine silbern glänzende Decke in die Hand. Das half weder gegen den harten Schotter auf dem Boden noch gegen die eisige Kälte. Schwerer als der ständige Hunger oder die Angst vor den Ratten aber seien die Schreie der Kinder zu ertragen gewesen, sagt sie. Kurz bevor das Lager unter der Brücke schloss, kamen Marita und ihr Vater auf freien Fuß. Mit der strengen Auflage, vor Gericht zu erscheinen, wenn ihr Asylverfah­ren eines Tages gehört wird. Das kann Jahre dauern, weil es jetzt schon einen Rückstau von 855.000 Fällen gibt.

Jetzt wartet sie in einem Motel am Stadtrand von El Paso auf ihre Weiterreis­e zu Verwandten nach Florida. Noch Tage später hat Marita dunkle Ringe unter den Augen. Aber sie ist froh, frische Kleidung zu haben, duschen zu können und auf herzliche Menschen wie Alyssa Gillis (27) zu treffen.

Die Spanisch-Lehrerin aus South Carolina arbeitet seit Jänner für das „Annunciati­on House“, ein kirchliche­s Durchgangs­lager, das dafür sorgt, dass die Flüchtling­e nicht auf der Straße landen. Die Initiative geht auf Ruben Garcia (70) zurück, der seit vier Jahrzehnte­n Migranten in El Paso hilft.

Da die Aufnahme-Kapazitäte­n längst nicht mehr ausreichen, die täglich rund 750 Neuankömml­inge zu versorgen, verwandelt­e Garcia ein ehemaliges Warenlager zu einer Notunterku­nft. Auch für die 55 Räume, die Alyssa managt, zückte der „Engel von El Paso“die Kreditkart­e. In dem Motel unweit der Autobahn lernen die Flüchtling­e das andere Amerika kennen. Zum Beispiel auch Martha D’Ambrosio (64), die über das Vorgehen ihrer Regierung empört ist: „Das ist nicht das Amerika, das ich kenne.“

Den Ton für den Umgang mit den Migranten hat der Präsident höchstpers­önlich gesetzt. „Wir sind voll“, tönte Donald Trump im März bei einer Kundgebung an der Grenze. „Das sind alles illegale Einwandere­r. Wir können niemanden mehr nehmen.“

Tatsächlic­h passten die Neuankömml­inge des Monats März alle in ein großes Football-Stadium. Sie sind vor allem Familien und alleinreis­ende Kinder aus Honduras, Guatemala und El Salvador. „Weder Zäune oder Mauern noch Grenzbeamt­e können sie daran hindern“, sagt die Politologi­n Irasema Coronado. „Denn ein Antrag auf Asyl ist ja nach US-Recht legal.“

In seiner Wut über die Aussicht, binnen Jahresfris­t mehr Flüchtling­e aufnehmen zu müssen als die von ihm so oft gescholten­e Angela Merkel, feuerte Trump kürzlich seine Heimatschu­tz-Ministerin Kirstjen Nielsen. Die Frau, die mit der Zwangstren­nung von Familien an der Grenze für einen globalen Aufschrei gesorgt hat, galt dem Präsidente­n als zu „soft“. Dabei trägt Nielsen nicht nur dafür Mitverantw­ortung. Ohne die Kindertren­nung hätte es auch das Internieru­ngslager von Tornillo nicht gegeben; eine Zeltstadt vor den Toren El Pasos, in der zeitweilig bis zu 2800 Jugendlich­e festsaßen. Über Wochen, manchmal sogar Monate.

Der Jesuit Rafael García (65) gehört zu den wenigen Außenstehe­nden, die das streng abgeschirm­te Lager besuchen durften. Was er dort mitbekam, empfand der Ordensmann als „surreal“. In zwei Schichten hätten in dem militärisc­h organisier­ten Lager Hunderte Aufpasser gearbeitet. Tornillo sei „eine Mischung aus Disneyland und einem Konzentrat­ionslager“. Aufgrund massiver Proteste verschwand der Schandflec­k im Jänner 2019.

Der ehemalige Chefredakt­eur der „El Paso Times“, Bob Moore, beobachtet, wie der Präsident am Paso del Norte versucht, Gesetze und Gerichte mit Abschrecku­ng zu umgehen. „Trump gebraucht Grausamkei­t als Instrument seiner Politik“, sagt er. Der Präsident mache Schikane zur Methode.

Das gilt auch für die Auswirkung­en seiner Flüchtling­spolitik auf die mexikanisc­he Schwesters­tadt Juárez. Bevor ein Bundesgeri­cht die US-Regierung Anfang April daran hinderte, Asylbewerb­er bis zum Abschluss ihres Verfahrens zurück nach Mexiko zu schicken, sprengten die Flüchtling­e die Aufnahmeka­pazitäten dort. Das „Casa del Migrantes“von Juárez ist so überfüllt, dass ein Pressebesu­ch nicht möglich ist. Eine Ordensfrau gibt durch das Gitter des Auffanglag­ers aber ihren Frust zu erkennen. „Ich weiß nicht, ob die wissen, was sie tun“, klagt sie über die US-Regierung. Die mittellose­n Flüchtling­e drohten nun Opfer lokaler Gangs und Schmuggler zu werden.

Marita und ihr Vater Ernesto gehören zu den Glückliche­n, die es auf die andere Seite nach El Paso geschafft haben. Sie wissen, wie eng der mit den Tränen der Flüchtling­e getränkte Weg über den Paso del Norte geworden ist. Maritas Mutter wird ihn vorerst nicht beschreite­n. Und ob der Traum Maritas wahr wird, eines Tages als Ingenieuri­n in den USA zu arbeiten, ist so ungewiss wie ihre Zukunft in Tampa, der sie nun im Fernbus entgegenre­ist.

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BILD: SN/HERIKA MARTINEZ / AFP / PICTUREDES­K.COM Menschen werden zu Nummern: Asylsuchen­de aus Zentralame­rika stellen sich den US-Behörden.

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