Rund 200 Mädchen werden jährlich in Österreich zwangsverheiratet
Der Vater soll eine 13-Jährige einem Zwölfjährigen in Frankfurt versprochen haben. Dass minderjährige Mädchen gegen ihren Willen verheiratet werden, ist in Österreich kein Einzelfall. Ein Hilfsverein betreute im Jahr 2018 123 Mädchen.
Die Linzer Polizei ermittelt in einem Fall von Zwangsheirat. Ein 13-jähriges Mädchen gab an, dass sein Vater es in Frankfurt verheiraten wollte. Außerdem soll er das Mädchen misshandelt haben. Die Schwester der Jugendlichen habe dasselbe Schicksal erlitten.
Laut Gül Ayse Basari vom Verein Orientexpress wurden im vergangenen Jahr 123 Mädchen betreut, die zwangsweise verheiratet werden sollten. Insgesamt sollen es in Österreich rund 200 Mädchen sein, die von ihren Vätern in eine Ehe gezwungen werden.
Ein solcher Fall ist selbst dem Linzer Stadtpolizeikommandanten Karl Pogutter in seiner bisherigen Laufbahn noch nicht untergekommen. Ein rumänischer Staatsbürger, der der Volksgruppe der Roma angehört, soll geplant haben, seine Tochter (13) zwangsweise zu verheiraten, und zwar an einen zwölf Jahre alten Burschen, der mit seiner Familie im Großraum Frankfurt lebt. 12.500 Euro sollten bezahlt werden.
Die Angelegenheit kam ins Rollen, als das Mädchen kurz vor Ostern aus der elterlichen Wohnung, die sich im Süden von Linz befindet, verschwand. Es wurde eine Vermisstenanzeige erstattet. Drei Tage später tauchte die 13-Jährige bei einer befreundeten Familie wieder auf. „Bei der Einvernahme hat sie dann angegeben, dass sie ihr Vater verheiraten wollte. Außerdem gab sie an, dass sie von ihm immer wieder misshandelt wurde“, sagt Pogutter. Die Jugendliche sei nun in der Obhut der Jugendwohlfahrt.
Die Ermittlungen der Polizei laufen weiter. „Ein endgültiges Ergebnis gibt es derzeit aber noch nicht“, sagt der oberste Polizist von Linz. Derzeit werden die Angaben des Mädchens überprüft. Auch die, dass seine Schwester bereits zwangsweise nach Deutschland verheiratet worden sei. „Wir haben bereits Kontakt mit den deutschen Behörden aufgenommen“, sagt Pogutter.
So spektakulär der Fall auch ist, Zwangshochzeiten sind in Österreich schon lang keine Einzelfälle mehr. Allein der Verein Orientexpress hat vergangenes Jahr 123 Mädchen betreut, die gegen ihren Willen einen Ehemann bekommen sollten. „Das sind nur diejenigen, die wir betreuen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen“, sagt Orientexpress-Mitarbeiterin Gül Ayse Basari. Seit der Gründung des Vereins habe die Zahl der Mädchen, die bei dem Verein Hilfe suchten, ständig zugenommen. „Im Jahr 2004, als der Verein startete, hatten wir 26 Fälle“, sagt sie. Die Steigerung habe nicht unbedingt damit zu tun, dass die Zahl der Fälle zugenommen habe, sondern vor allem auch damit, dass die Arbeit des Vereins bekannter geworden sei und sich so mehr Mädchen an ihn wenden konnten. Zwangshochzeiten gebe es in vielen Kulturen, sagt Basari. Die Gründe, warum dies den Mädchen angetan werde, seien vielfältig. Basari sagt, dass es dabei etwa um die Familienehre gehe. Dass Mädchen als Jungfrauen in die Ehe gingen, sei in diesen Familien wichtig. Sie früh zu verheiraten unterstütze dieses Ziel. Oft gehe es auch um rein wirtschaftliche Interessen, gerade wenn die Hochzeiten innerhalb der Verwandtschaft stattfänden. Dadurch bleibe das Vermögen dann in der Familie, sagt Basari. Außerdem sänken die Kosten für den Erhalt der Familie, wenn die Mädchen weg seien. „Auch das kann ein Grund sein“, erklärt Basari. Um die Mädchen schützen zu können, betreibt der Verein eine eigene Notwohnung. Acht Mädchen können dort unterkommen. Wenn der Andrang groß sei, gebe es noch zwei Notbetten. „Die Wohnung ist aber ständig voll“, sagt Basari. Seit diesem Jahr gibt es eine weitere Einrichtung, in der 15 Mädchen untergebracht werden können.
Zwangsheirat ist in Österreich eine Straftat und ein Offizialdelikt. Bereits im Jahr 2006 wurde das Strafgesetzbuch in diese Richtung geändert, damit auch außenstehende Personen Anzeige erstatten können, ohne dass die betroffenen Mädchen zustimmen müssen. Die Eltern, die ihre Tochter zu einer Zwangsheirat zwingen, werden so behandelt wie die unmittelbaren Täter einer Vergewaltigung oder einer geschlechtlichen Nötigung.
Bei der „Plattform gegen die Gewalt“, zu der sich 45 Organisationen wie Kinderschutzzentren, Frauenberatungsstellen und Jugendeinrichtungen zusammengeschlossen haben, geht man davon aus, dass in Österreich pro Jahr etwa 200 Mädchen und junge Frauen von Zwangsheirat betroffen sind. Meist seien es Mädchen, die die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen und bereits in zweiter oder dritter Generation in Österreich lebten, heißt es auf der Homepage der Plattform.
„Jugendamt betreut nun das Mädchen.“Karl Pogutter, Stadtpolizeikommandant Linz