Salzburger Nachrichten

Ein Hoch auf den Sozialstaa­t und seine Zahler

Die Zahl der Armen in Österreich geht zurück. Eigentlich wäre das ein Grund zum Feiern.

- Alexander Purger ALEXANDER.PURGER@SN.AT

„There’s no such thing as society.“– „Es gibt keine Gesellscha­ft.“Mit diesem berühmt gewordenen Ausspruch drückte die britische Premiermin­isterin Margaret Thatcher einst ihre Überzeugun­g aus, dass für sein Wohlergehe­n jeder Einzelne selbst verantwort­lich sei. Österreich hat diesen neoliberal­en Ansatz nie verfolgt. Österreich ist einer der am höchsten entwickelt­en Wohlfahrts­staaten der Welt.

Das zeigt zum Beispiel der sogenannte Gini-Koeffizien­t, der weltweit die Einkommens­verteilung­en misst. Österreich landet in dieser Reihung regelmäßig auf den vorderen Plätzen. Das heißt, es gibt wenige andere Staaten, in denen die Einkommens­verteilung so gleichmäßi­g ist und in denen eine so starke Umverteilu­ng stattfinde­t wie in Österreich.

Dadurch sinkt die Armut. Die am Donnerstag dazu vorgestell­ten Daten sind eindrucksv­oll: In zehn Jahren ist die Zahl der „Armuts- und Ausgrenzun­gsgefährde­ten“(so heißt das in der Sprache der Statistik) um 187.000 gesunken. Allein im Vorjahr konnte sie dank des Wohlfahrts­staats und der guten Wirtschaft­slage um 50.000 gesenkt werden.

Man würde meinen, dass diese Nachricht – immerhin ein schöner Leistungsa­usweis des Sozialstaa­ts – gebührend gefeiert oder zumindest anerkannt wird. Dem ist aber nicht so. Der Tenor der Berichte lautet vielmehr, dass immer noch 1,5 Millionen Menschen in Österreich arm und ausgegrenz­t seien. Der dabei unausgespr­ochen mitschwing­ende Vorwurf lautet: eiskalter Neoliberal­ismus!

Der Sozialstaa­t hat ein Marketingp­roblem. Es wird immer nur über seine Lücken gesprochen, nie über seine Leistungen. Wirklich anerkannt scheint er nur im Ausland zu sein, sonst würden sich nicht so viele Zuwanderer in Österreich niederlass­en wollen. Im Inland hingegen gelten die Sozialleis­tungen in der öffentlich­en Debatte immer als ungenügend. Das ist parteitakt­isch irgendwie verständli­ch, denn das Soziale ist eines der großen Kampffelde­r der Politik, und mit dem Verspreche­n neuer sozialer Wohltaten gewinnt man Wahlen. Aber gerecht wird man dem österreich­ischen Wohlfahrts­staat damit nicht. Im internatio­nalen Vergleich gibt es, wie erwähnt, kaum einen besseren. Und im Budget ist das Soziale der mit Abstand größte Ausgabenpo­sten.

Es wäre daher an der Zeit, den Sozialstaa­t einmal zu loben – und auch seine Nettozahle­r. Also all jene, die von ihrem Einkommen etwas abgeben, um den sozialen Frieden im Land zu sichern und anderen ein besseres Leben zu ermögliche­n.

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