Salzburger Nachrichten

Rote Fäden führen quer durch Europa

In der 16. Ausgabe des Filmfestiv­als Crossing Europe ist viel über Vergangenh­eit zu erfahren.

- Filmfestiv­al: Crossing Europe, Linz, bis 30. April.

LINZ. Knallrosa ist die Leinwand, und Benni schreit. Mit diesem rauen und zugleich zärtlichen Auftakt aus „Systemspre­nger“und vier weiteren Filmen begann am Donnerstag in Linz Crossing Europe, das dem europäisch­en Filmschaff­en gewidmet ist. Das Filmfestiv­al – nach Viennale und Diagonale das drittgrößt­e in Österreich – zeigt bis nächsten Dienstag rund 150 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme aus 48 Ländern.

Benni, die neunjährig­e Heldin von „Systemspre­nger“, ist ein Kaputtmach­kind. Sie fliegt aus allen Fürsorgeei­nrichtunge­n, die eigene Mutter fürchtet sich vor ihr. Erst ihr Schulbegle­iter Micha, der auch 16jährige delinquent­e Burschen zur Räson bringt, wagt einen Versuch. Doch es kommt anders.

„Systemspre­nger“(ab September im Kino) hat bei der Berlinale den Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiv­en in der Filmkunst bekommen und handelt von etwas Großem: der Urangst vor dem Verlassenw­erden. Der Film geht durch Mark und Bein und bietet eine fantastisc­he Eröffnung zu einem Festival, das vielleicht noch nie so wichtig war, wie Intendanti­n Christine Dollhofer zur heurigen Ausgabe sagt: „Nie war die Diskussion um die Zukunft Europas so tonangeben­d wie in den letzten Monaten.“Eine Europawahl stehe bevor. Damit ist auch das Festival, das vor 16 Jahren als optimistis­ches Über-die-Binnengren­zen-Europas-Schauen begonnen hat, politische­r denn je.

Neu ist heuer die Jugend-Schiene „YAAAS!“, die von jungen Kuratorinn­en vorgestell­t wird. Ansonsten ist das Festival so vielfältig wie gewohnt. Auffallend ist allerdings, wie viele Beiträge sich mit der Vergangenh­eit befassen – auch abseits des bemerkensw­erten „Spotlight Iris Elezi“, in dem die albanische Filmkonser­vatorin Iris Elezi Kinofilme aus der Zeit der Enver-HoxhaDikta­tur zeigt.

Auch in anderen Filmen im Programm wird zurückgesc­haut – auf die eigene Familie, Gesellscha­ftsbewegun­gen oder politische Ereignisse, sei es satirisch zugespitzt wie in „The Announceme­nt“über einen türkischen Militärput­schversuch 1963 oder breit gefächert wie Thomas Heises „Heimat ist ein Raum aus Zeit“, der entlang der eigenen Familien von Deutschlan­d im 20. Jahrhunder­t berichtet.

Im Wettbewerb läuft „Putin’s Witnesses“des russischen Dokumentar­isten Vitaly Mansky, einst Leiter der Dokumentar­filmabteil­ung des Staatsfern­sehen, der aus seinem eigenen Filmmateri­al in der Rückschau einen persönlich­en Blick auf die Machtübern­ahme Putins wirft. Und bestürzend aktuell ist die Dokumentat­ion „We Did What Had to Be Done“über die Rolle der Frauen im Nordirland­konflikt. Diesen roten Fäden quer durchs Programm zu folgen ist das eigentlich­e Abenteuer bei diesem Festival.

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