Wie Medizin nachhaltiger werden soll
In Salzburg startet ein neues Ludwig Boltzmann Institut für Digitale Gesundheit. Das Forschungszentrum hat ambitionierte Ziele.
Wer mit dem Auto falsch abbiegt und das rasch bemerkt, korrigiert das sofort. Ist man zu lange auf dem verkehrten Weg unterwegs, dreht man nicht mehr um. Josef Niebauer, Leiter des Instituts für präventive und rehabilitative Sportmedizin am Uniklinikum Salzburg, will mit diesem Beispiel zeigen, dass selbst Menschen mit schweren Herzerkrankungen oft daran scheitern, ihren krankmachenden Lebensstil zu ändern. Aus diesem Befund heraus ist eine Vision entstanden, für die in Salzburg sogar ein Ludwig Boltzmann Institut für Digitale Gesundheit gegründet wird. Niebauer schwebt als Leiter dieses Instituts Folgendes vor: „Wir tragen ein Gerät mit künstlicher Intelligenz am Körper, das uns immer dann einen Schubser gibt, wenn wir dabei sind, falsch abzubiegen.“
Am Beispiel der Herz-KreislaufErkrankungen, die weltweit für die meisten Todesfälle verantwortlich sind, erklärt der Sportmediziner und Kardiologe im SN-Gespräch, was heute in unserem Gesundheitssystem falsch läuft. Die klassischen Risikofaktoren für Atherosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall seien Bewegungsmangel, Übergewicht, Rauchen, zu viel Alkohol, zu hoher Blutdruck sowie überhöhte Zuckerund Cholesterinwerte.
Solange die Patienten noch im Spital und in der klinischen Rehabilitation sind, läuft alles recht gut, wie Niebauer betont. Doch danach „fallen viele wieder sehr schnell in die alten Muster zurück“. So verweist er darauf, dass ein Viertel der Infarktpatienten nicht die verordneten Medikamente einnimmt. Und auch die Ernährungsumstellung funktioniere nicht. Süffisanter Nachsatz: „Wenn jemand eine Diät macht, weiß ich schon, er oder sie gehört zur Gruppe, die weiter zunimmt und es nicht schafft.“
Sinn macht nur, den Lebensstil nachhaltig zu ändern und nicht nur für einige Wochen. Die Idee hinter dem neuen Ludwig Boltzmann Institut in Salzburg ist nun, sich in diesem Zusammenhang die Fortschritte in der Informationstechnologie zunutze zu machen. Smartphones, Smartwatches, Aktivitätsund Schlaftracker, aber auch medizinische Geräte wie zur dauerhaften, genauen mobilen Blutzuckermessung dringen sehr rasch und immer stärker in die Medizin ein und werden sie in den nächsten Jahren grundlegend verändern. Mediziner wie Niebauer auf der einen Seite sowie Computer- und Neurowissenschafter auf der anderen Seite sehen hier völlig neue Chancen und Ansätze, die Menschen dabei zu unterstützen, mehr auf ihre Gesundheit zu achten.
Deshalb ist das Ludwig Boltzmann Institut, das über sieben Jahre hinweg jährlich mit 1,3 Millionen Euro dotiert ist, auch sehr breit aufgestellt. Das Universitätsinstitut für präventive und rehabilitative Sportmedizin der PMU arbeitet hier mit der FH Salzburg (Studiengang MultiMedia Technology), der Universität Salzburg mit den Fachbereichen Mathematik und Computerwissenschaften, mit der Salzburg Research Forschungsgesellschaft, dem Austrian Institute of Technology (AIT) sowie den Salzburger Landeskliniken zusammen. Mit dem Geld können drei bis vier Forschungsteams sieben Jahre lang Pionierarbeit an den Schnittstellen von Digitalisierung und Gesundheitswesen leisten. Claudia Lingner, Geschäftsführerin der Ludwig Boltzmann Gesellschaft, erwartet sich vom neuen Institut wichtige Impulse für den Wissens- und Wirtschaftsstandort Salzburg. Josef Niebauer, der Leiter des Projekts, arbeitet schon lange mit Herzpatienten daran, mit ambulanter Rehabilitation eine nachhaltigere Änderung des Lebensstils zu schaffen. Jetzt versucht man, einen entscheidenden Schritt weiterzugehen.
„Wir wollen nicht die totale Überwachung. Es geht uns vielmehr mit den neuen Möglichkeiten digitaler Medien und möglichst vieler Daten des Patienten darum, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und individuelle Lösungen für jeden Einzelnen zu finden“, betont Niebauer. „Und wenn es uns zunächst bei Herzpatienten gelingt, den Lebensstil dauerhaft zu ändern, dann können wir das auch auf alle anderen Bereiche übertragen.“