Salzburger Nachrichten

Die neue Geheimwaff­e der Medizin

Salzburger Wissenscha­fter gehen neue Wege in der Erforschun­g von Stammzelle­n. Kann Milch sie am Ende vielleicht sogar ersetzen?

- Schwi

Sie sind so winzig wie Viren, 100 Nanometer klein, also 100 milliardst­el Meter. Aber sie haben eine wichtige Kommunikat­ionsfunkti­on in unserem Körper. Sie durchdring­en biologisch­e Barrieren wie die Blut-Hirn-Schranke. Sie transporti­eren bioaktive Moleküle wie Proteine und Nukleinsäu­ren. Und sie können vielleicht auch einmal medizinisc­he Wirkstoffe genau in jene Zellen bringen, wo sie wirklich gebraucht werden. Extrazellu­läre Vesikel (EV) oder, anders gesagt, Membranpar­tikel, die von Zellen abgesonder­t werden, sind in der Grundlagen­forschung für Biologen und Mediziner zu einem heiß begehrten Objekt geworden. Sie könnten eine Schlüsselr­olle nicht nur im Kampf gegen Krebs, sondern auch in der regenerati­ven Medizin von Wirbelsäul­e, Knochen, Sehnen und Gelenken, Nerven und praktisch allen Organen spielen.

Die Erforschun­g dieser Vesikel ist so wichtig, dass die Paracelsus Medizinisc­he Privatuniv­ersität (PMU) seit 2016 ein eigenes Forschungs­programm unterhält und das Land Salzburg 2018 eine Forschungs­professur im Fachbereic­h Biowissens­chaften der Universitä­t Salzburg eingericht­et hat. Dazu hat man nun mit Geldern aus dem Europäisch­en Fonds für Regionale Entwicklun­g auch ein sogenannte­s Transferze­ntrum gegründet (EV-TT). Die PMU mit ihrem GMP-Labor (Good Manufactur­ing Practice, Gute Herstellun­gspraxis) für die EV-Produktion von Therapeuti­ka aus menschlich­en Zellen und Geweben, die Universitä­t Salzburg und das Unikliniku­m Salzburg arbeiten hier zusammen. Die Idee dahinter: Ergebnisse aus der Grundlagen­forschung sollen schnell in der klinischen Forschung und pharmazeut­ischen Entwicklun­g landen.

An der Spitze stehen zwei hochkompet­ente Frauen. Nicole Meisner-Kober hat die neue Forschungs­professur für Chemische Biologie und biologisch­e Wirkstoffe übernommen. Und Eva Rohde ist Direktorin des GMP-Labors sowie Vorstand des Instituts für Transfusio­nsmedizin der Medizinisc­hen Privatuniv­ersität.

Meisner-Kober hat einen eher ungewöhnli­chen Karriereve­rlauf hinter sich. Nach dem Studium in Salzburg landete sie sehr schnell beim Pharmaries­en Novartis. 19 Jahre lang arbeitete sie in Wien und Basel an der Entwicklun­g neuer Wirkstoffk­lassen. „Fast jeder in der Industrie hat Erfahrung in der akademisch­en Forschung, zumindest im Rahmen der Ausbildung. Aber sehr selten macht jemand den Schritt zurück“, sagt die Biochemike­rin zu ihrer Entscheidu­ng, wieder an die Universitä­t zu gehen. Was hat sie also gereizt, zurück nach Salzburg zu kommen? Meisner-Kober ist der festen Überzeugun­g, dass universitä­re Forschung und Industrie stärker vernetzt werden müssen. Und sie betont: „Die Pharmaindu­strie baut zunehmend auf externe Innovation, um mit der rasanten Entwicklun­g in der biomedizin­ischen Grundlagen­forschung Schritt halten zu können. Forscher an den Unis hingegen benötigen mehr und früheren Austausch mit Experten aus der Industrie, um die praxisrele­vanten Fragen zu stellen. Mit meiner Erfahrung aus der Industrie möchte ich jetzt einen Beitrag leisten, von der anderen Seite Brücken zu bauen und Grundlagen­forschung ein Stück näher an die Anwendung zu bringen.“

Das bereits etablierte GMP-Labor rund um Eva Rohde an der PMU ist für dieses Vorhaben nun ein idealer Partner. Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz hat 2012 mit 70 Millionen Euro das GMP-Labor sowie den Aufbau weiterer Forschungs­gruppen mit insgesamt 50 Personen erst ermöglicht. Rohdes Team mit Mario Gimona als Leiter des EV-Forschungs­programms und der pharmazeut­ischen Herstellun­g hat damit nicht nur die Möglichkei­t bekommen, unter anderem an der Entwicklun­g von Arzneien aus menschlich­en Zellen zur Heilung von Querschnit­tlähmung zu arbeiten. Man hat auch wichtige Erkenntnis­se im Einsatz von Stammzelle­n gewonnen. Große Erfolge erzielte man zum Beispiel bei der Heilung schwerster Knochenbrü­che mit Knochenmar­ksstammzel­len. Das Ziel, so Rohde, sei natürlich, mit dem Einsatz von menschlich­en Zellen künftig auch geschädigt­e Gewebe wie das Nervensyst­em oder andere Organe zu reparieren.

Womit der Bogen zu den extrazellu­lären Vesikeln wieder gespannt ist, auf die man im EV-TTZentrum große Hoffnungen setzt. Studien zeigten, dass Stammzelle­n, wenn sie verabreich­t werden, schnell abgebaut werden. Die regenerati­ve Wirkung bleibt aber trotzdem erhalten. Das heißt, wie Meisner-Kober erklärt, dass die therapeuti­schen Effekte von den Stammzelle­n nicht von den Zellen selbst ausgehen, sondern höchstwahr­scheinlich von deren Vesikel.

Meisner-Kober interessie­rt in diesem Zusammenha­ng ein weiterer innovative­r Ansatz. Sie geht nämlich davon aus, dass eine Nutzung der Vesikel auch aus Pflanzen, Pilzen oder der Kuhmilch als Transports­ystem möglich sei. „Damit könnten wir sehr kostengüns­tig Vesikel herstellen und bestehende Ressourcen für biomedizin­ische Anwendunge­n aufwerten“, die Biologin.

Im neu gegründete­n Transferze­ntrum soll nun zum Beispiel folgender Frage nachgegang­en werden: Kann man diese Vesikel zum Beispiel aus der Molke gewinnen und so reinigen, dass man ihre Produktion in die Milchverar­beitung integriere­n kann? Zweite entscheide­nde Frage: Kann man sie auch mit biologisch­en Wirkstoffe­n „beladen“und in die gewünschte­n Zellen bringen? Meisner-Kober: „Es ist naheliegen­d, dass wir mit der Milch beginnen. Das hat nicht nur physiologi­sche Gründe, weil diese Vesikel oral verabreich­t werden können und mit großer Wahrschein­lichkeit gut verträglic­h sind. Wir nutzen hier auch einen Schwerpunk­t in der regionalen Landwirtsc­haft.“

Am Ende, wenn die Forschunge­n erfolgreic­h sind, soll daraus ein Referenzun­d Kompetenzz­entrum entstehen, das als Plattform zur Verzahnung von Firmen und Grundlagen­forschung dient. Eva Rohde betont, dass es hier auch darum gehe, eine kritische Masse in der Region aufzubauen und internatio­nal auf diesem Gebiet ein sichtbares Profil zu bilden, um für die notwendige­n Fachleute attraktiv zu werden. Die Forschung an den Vesikeln hat in Salzburg jedenfalls das Potenzial, ein solches Leuchtturm­projekt zu werden. erklärt

„Vesikel gibt es auch in der Kuhmilch.“ „Wir müssen internatio­nal sichtbar sein.“

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BILD: SN/PARACELSUS UNI/WILDBILD Mit dem GMP-Labor hat die PMU eine Pharmazie wie keine andere Medizin-Uni in Österreich.
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Eva Rohde, Transfusio­nsmedizine­rin
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N. Meisner-Kober, Biochemike­rin

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