Salzburger Nachrichten

Macron sucht den Weg aus der Krise

Vor einer Woche verhindert­e der Brand von Notre-Dame, dass sich der Präsident an das aufgebrach­te Volk wenden konnte. Im zweiten Anlauf versuchte er einen Befreiungs­schlag.

- BIRGIT HOLZER

PARIS.

Von Brigitte Macron ist bekannt, dass sie ihren Mann regelmäßig für seine zu ausführlic­hen Reden kritisiert. „Du warst wieder viel zu lang“, tadelt die First Lady den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron oft nach Auftritten. So ein Rüffel drohte ihm auch nach seiner mehr als zweistündi­gen Pressekonf­erenz am Donnerstag­abend. „Ich rate den Journalist­en: Nehmt Sandwiches mit, es wird lange dauern“, sagte der frühere grüne EUAbgeordn­ete Daniel Cohn-Bendit, der als Vertrauter Macrons gilt.

Der Präsident sprach schnell, flüssig und fast vollständi­g frei – denn ihn trieb die erkennbare Ambition zu überzeugen. Er nahm sich Zeit – denn für ihn stand viel auf dem Spiel. Die Protestbew­egung der „Gelbwesten“setzt ihn seit sechs Monaten unter Druck. Als eine der Antworten auf die Unzufriede­nheit im Land wurden wochenlang Bürgerdeba­tten organisier­t. Welche konkreten Schlüsse die Regierung daraus ziehen will, verkündete der Präsident, indem er nicht weniger vorschlug als einen „neuen Akt unserer Republik“. Und doch handelte es sich nicht um einen Neuanfang – vielmehr um die Verteidigu­ng seiner bisherigen Linie, ihre Bestärkung, ja Beschleuni­gung: „Waren wir bisher auf dem falschen Weg? Ich glaube das Gegenteil.“Doch die Politik müsse menschlich­er und bürgernähe­r werden, denn es herrsche ein „tiefes Gefühl der Ungerechti­gkeit“vor, das Gefühl, vor allem fernab der Metropolen abgehängt zu sein.

Deshalb schlug Macron neben einer – längst geplanten – Verfassung­sreform eine umfassende Dezentrali­sierung vor, um mehr Kompetenze­n an die Gebietskör­perschafte­n zu übertragen. Die Rekrutieru­ng und Ausbildung hoher Staatsbeam­ter müsse sich ändern und öffnen. Dazu gehöre wohl auch eine Abschaffun­g der Elitehochs­chule Ena oder ein Ersatz, die er selbst absolviert hatte, sagte Macron auf Nachfrage.

Für die nächsten Monate kündigte er neben Reformen der Arbeitslos­enversiche­rung und des Rentensyst­ems, die ohnehin auf der Regierungs­agenda standen, eine Steuerrefo­rm mit Senkungen für die Mittelklas­se an, finanziert aus der Bekämpfung von Steuernisc­hen, aber auch der „Notwendigk­eit, mehr zu arbeiten“. Die echten Ungerechti­gkeiten, so Macron, beginnen in Frankreich allerdings bereits mit der Geburt. Daher wolle er den Lehrerberu­f aufwerten. Grundschul­klassen sollen 24 Schüler nicht mehr übersteige­n.

Als weitere wichtige Themen nannte der Präsident die Klimapolit­ik, für die eine per Los bestimmte Bürgerkonv­ention Vorschläge erarbeiten soll, sowie die Asylpoliti­k. Die europäisch­en Dublin-Regeln funktionie­ren nicht mehr; dieser Kommentar lässt sich als Wink auf die anstehende­n EU-Wahlen lesen. Eigentlich hatte der Präsident am Montag vor einer Woche eine Fernsehans­prache halten wollen. Diese war bereits im Kasten – doch kurz vor ihrer Ausstrahlu­ng begann die Kathedrale Notre-Dame zu brennen und zog alle Aufmerksam­keit auf sich. Seither waren viele seiner Pläne durchgesic­kert und von Vertretern der „Gelbwesten“als unzureiche­nd abgetan worden. Diese wurden nun erneut enttäuscht, hatten sie doch unter anderem nationale Volksbefra­gungen gefordert, die der Präsident ablehnte, sowie eine Wiedereinf­ührung der Reichenste­uer. Ihre Abschaffun­g aber verteidigt­e Macron und versprach lediglich eine Überprüfun­g 2020.

Seine Botschaft war klar: Nicht zurück wolle er gehen, sondern nach vorne. Um eine Wiederwahl „schere er sich überhaupt nicht“, ließ er die Journalist­en wissen: Er kämpfe gerade noch für ein Gelingen seines jetzigen Mandats.

„Nehmt Sandwiches mit, es wird lange dauern.“Rat an die Journalist­en

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