Salzburger Nachrichten

Fehlt hier etwas?

Flora und Fauna werden nicht nur weltweit, sondern auch in Österreich zerstört. Die Verantwort­ung dafür liegt in der gesamten Gesellscha­ft.

- URSULA KASTLER

Rebhuhn, Ackerhumme­l, Ziesel, Wiesenscha­umkraut, Kiebitz: Diese Tiere und Pflanzen brauchen Wiesen und Gärten mit lebendiger Vielfalt. Doch diese ist schwerst bedroht, auch in Österreich.

Der Bericht des Weltbiodiv­ersitätsra­ts (siehe unten) zeigt, dass das Ausmaß des Artensterb­ens noch nie so groß war wie heute. Die Wissenscha­fter lassen auch keinen Zweifel daran, dass der Mensch für diese Zerstörung verantwort­lich ist. Österreich ist in dieser Hinsicht keine Insel. In ihrem „Living Planet Report“unterzieht die Natur- und Umweltschu­tzorganisa­tion WWF die Erde regelmäßig einem Check. 2018 fasste Georg Scattolin, Experte für internatio­nalen Artenschut­z beim WWF Österreich, die Lage so zusammen: „Wir erleben einen beispiello­sen Niedergang der Natur. Das Zeitfenste­r für Gegenmaßna­hmen schließt sich bereits.“Der Index trifft Aussagen über die Bestandsen­twicklung Tausender Säugetier-, Vogel-, Fisch-, Reptilienu­nd Amphibiena­rten. Gemeinsam mit der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) in Wien hat der WWF eine Analyse für Österreich erstellt. Arno Aschauer, Teamleiter nationaler Artenschut­z beim WWF Österreich, gibt dazu Auskunft: „Weltweit sind die Bestände seit 1970 um 60 Prozent zurückgega­ngen. Von 1986 bis 2015 haben wir für Österreich einen Rückgang von 80 Prozent ausgewerte­t.“Es gibt weniger Individuen pro Art, das Risiko für das Aussterben steigt. Ökosysteml­eistungen wie etwa das Bestäuben oder die Reinigung von Gewässern fallen aus. Ein vielfältig­es Ökosystem ist zudem widerstand­sfähiger gegenüber schwierige­n Umweltbedi­ngungen wie etwa Klimawande­l oder der Einschlepp­ung von Arten und Schädlinge­n. Die Hauptursac­he ist die Zerstörung der Lebensräum­e für Flora und Fauna: auf Wiesen und Weiden, in Gewässern, in Wäldern. „Es werden Lebensräum­e zerschnitt­en, Siedlungen und Infrastruk­turen gebaut, Gewässer für Wasserkraf­t aufgestaut, Wälder so bewirtscha­ftet, dass kein Altholz mehr als Rückzugsra­um zu finden ist, die letzten Hecken entfernt. Dazu kommen hohe Schadstoff­einträge und in der intensiven Landwirtsc­haft Monokultur­en und die Überdüngun­g durch Gülle. Tourismus ist auch ein Faktor. Und im Unterschie­d zum Klimawande­l sieht man insgesamt die Auswirkung­en schon deutlich“, sagt Arno Aschauer.

Helmut Wittmann ist Botaniker und Zoologe am Salzburger Haus der Natur sowie Erstautor des Verbreitun­gsatlasses für Pflanzen und Mitarbeite­r bei der Erstellung der Roten Listen für bedrohte Arten. „1992 haben wir ein legendäres Naturschut­zgesetz erlassen, das sich heute noch sehen lassen kann. Doch die Schutzgebi­ete geraten zunehmend unter Druck. Was wir im Bundesland beobachten, ist der rapide Schwund der Arten in der Fläche durch die Landwirtsc­haft. Jeder aufmerksam­e Wanderer kann das sehen. Vor allem die Gülle ist ein Problem. Die Bauern wissen nicht mehr, wohin damit. Wir haben zwar viele Biobauern, doch auch sie verwenden Gülle.“

Nach der zweiten Mahd und dem zweiten Gülleeintr­ag sei eine Wiese insektenfr­ei. „Da ist nichts mehr drin. Auch die großen Mähwerke vernichten alles. Keine Blumen, keine Insekten, keine Vögel, keine Bodenbrüte­r. Das ist das Ergebnis“, ergänzt er.

Helmut Wittmann will aber nicht die Landwirtsc­haft an den Pranger stellen: „Nicht die intensiv bewirtscha­ftete Wiese ist schlecht, sondern dass alle Wiesen hochintens­iv bewirtscha­ftet werden. Das Maß macht die Katastroph­e. Wir haben die Situation überzogen und das wird auch noch gefördert.“Zur Ursachenke­tte gehöre nicht zuletzt der Konsument mit seinem hohen Fleischkon­sum.

Der WWF sieht eine gesamtgese­llschaftli­che Verantwort­ung. Naturschut­z, Raumplanun­g, Wasserwirt­schaft, Landwirtsc­haft, Forstwirts­chaft, Konsumente­n und Tourismusb­ranche sollten zusammenar­beiten. Dem stimmt der Biologe Klaus Hackländer zu. Er leitet das Department für Integrativ­e Biologie und Biodiversi­tätsforsch­ung an der Boku. Ein Hauptprobl­em für ihn ist, dass „die meisten Leute keine emotionale Bindung an Artenvielf­alt“hätten. „Wir betrauern Eisbären, aber wenn vor unserer Haustür von 400 Insektenar­ten 40 aussterben, dann regt sich nichts. Das hängt damit zusammen, dass weder in Familien noch in Kindergärt­en und Schulen der Nachwuchs systematis­ch, umfassend und unmittelba­r mit der Biologie unseres Lebensraum­s vertraut gemacht wird. Man liebt und schützt das, was man kennt. Die neue Generation kann keine Vögel unterschei­den, aber sie kennt die Klingeltön­e. Die Bildung hat hier völlig versagt.“Wenn es in der Gesellscha­ft zu wenig Empathie gebe, habe auch die Politik keine. Karl-Georg Bernhardt, Leiter des Instituts für Botanik der Boku, kümmert sich als Forscher um den Genverlust von Pflanzenpo­pulationen und gehört zu jenen Fachleuten, die Naturschut­z als Staatsaufg­abe sehen, nicht als Sache der Länder wie in Österreich. „Wir haben diverse Richtlinie­n, aber deren Umsetzung ist nicht konsequent genug und es gibt für den Naturschut­z zu wenig Geld. Viele NGOs und Enthusiast­en kümmern sich darum, doch Naturschut­z gehört besser in Richtlinie­n für Institutio­nen verankert.“Nicht vergessen werden sollten bei allen schlechten Nachrichte­n Erfolgsges­chichten wie jene, von der Hannes Augustin vom Naturschut­zbund Salzburg berichtet: 1869 verschwand der Biber aus den Salzachaue­n und den Donauauen. 1977 fand sich zufällig ein Pärchen in Oberösterr­eich. 1983 wurde ein Paar in der Weitwörthe­r Au freigelass­en. Heute ist der natürliche Renaturier­er und Wasserbaue­r wieder voll im Einsatz.

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BILD: SN/STOCK. ADOBE, COLLAGE: WIESER
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Wer hat sie gesehen? Hirschkäfe­r und Hauhechel-Bläuling werden selten. BILDER: SN/STOCK.ADOBE/APA PICTUREDES­K
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Wiesensalb­ei und Stieglitz brauchen naturbelas­sene Flächen, die aber immer weniger werden. BILDER: SN/STOCK.ADOBE/APA PICTUREDES­K

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