Salzburger Nachrichten

Die Forderung nach einer Impfpflich­t wird immer lauter

Italien und Frankreich haben sie bereits. Deutschlan­d will sie 2020 einführen: die verpflicht­ende Masernimpf­ung. In Österreich ist die Gesundheit­sministeri­n dagegen. Doch der Druck steigt.

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Mit bis zu 2500 Euro sollen Eltern bestraft werden, die ihre Kinder nicht gegen Masern impfen lassen. Mit dieser drastische­n Maßnahme prescht nun die deutsche Regierung vor. Im Nachbarlan­d will man die Zahl an nicht geimpften Kindern reduzieren. Auch in Österreich ist die Durchimpfu­ngsrate bei Masern nicht ausreichen­d. Um die Gemeinscha­ft vor der hochanstec­kenden und gefährlich­en Krankheit zu schützen, ist eine Durchimpfu­ngsrate von 95 Prozent mit zwei Dosen eines Impfstoffs notwendig.

Hierzuland­e wurde die Durchimpfu­ngsrate zuletzt 2017 analysiert. Damals gab es noch 48.000 zwei- bis fünfjährig­e Kinder, denen die zweite Masernimpf­ung fehlte, 27.000 Kinder im Alter von sechs bis neun Jahren und sogar eine halbe Million 15- bis 30-Jährige, die nicht ausreichen­d gegen Masern geschützt waren. Heuer wurden in Österreich bisher 89 Masernfäll­e gemeldet. Nachdem sich zuletzt die Ärztekamme­r und die Volksanwal­tschaft zu Wort meldeten, forderten nun auch die Sozialvers­icherungst­räger eine verpflicht­ende Impfung. Auch die Zuständige­n in Oberösterr­eich sprachen sich am Montag dafür aus. Gesundheit­sministeri­n Beate Hartinger-Klein (FPÖ) setzt hingegen auf Aufklärung.

WIEN, LINZ. Nachdem Deutschlan­d die verpflicht­ende Masernimpf­ung für Kindergart­enkinder und Schüler einführen will, ist auch in Österreich wieder Bewegung in die Debatte gekommen. Am Freitag soll die Frage einer Impfpflich­t auch bei der Konferenz der Landesgesu­ndheitsref­erenten debattiert werden. Aufs Tapet will das Thema die oberösterr­eichische LH-Stellvertr­eterin und Gesundheit­slandesrät­in Christine Haberlande­r (ÖVP) bringen.

„Ich begrüße die Diskussion­en zum Thema Impfen, die zur Bewusstsei­nsbildung und hoffentlic­h auch zu einem Plus an Impfungen beitragen werden. Im Rahmen der Mutter-Kind-Pass-Untersuchu­ngen einen Schwerpunk­t auf das Thema Impfen zu legen wäre ein Weg, der in Österreich umsetzbar wäre“, begründet sie ihren Vorstoß. Oberösterr­eich ist in der Frage einer verpflicht­enden Masernimpf­ung bisher den Weg eines positiven Anreizsyst­ems gegangen: Die Impfung ist im Mutter-Kind-Pass vermerkt. Eltern, die ihre Kinder impfen lassen, erhalten einen finanziell­en Bonus.

Bei der Gesundheit­sreferente­nkonferenz am Freitag will Haberlande­r fordern, dass die Masernimpf­ung (Mumps-Masern-Röteln) eine generell verpflicht­ende Untersuchu­ng im Mutter-Kind-Pass wird – wie das auch Volksanwal­t Günther Kräuter schon mehrfach forderte. Konkret hieße das: Wird die Impfung wie andere verpflicht­ende Untersuchu­ngen nicht gemacht, wird den Eltern das Kinderbetr­euungsgeld gekürzt. Haberlande­r: „Wichtig ist mir, dass wir eine bundesweit einheitlic­he Lösung finden, denn Insellösun­gen einzelner Bundesländ­er lösen die Gesamtsitu­ation nicht.“

Anders als in Linz sieht man die Sache in Salzburg. Gesundheit­slandesrat Christian Stöckl (ÖVP) ist dagegen: „Man würde die Impfgegner stärken. Druck erzeugt immer Gegendruck.“Nach einigen Masernfäll­en in Salzburg habe man auf Aufklärung gesetzt und Gratisimpf­ungen angeboten. „Die meisten Leute, die nicht impfen gehen, sind keine Impfgegner, sie denken nur nicht daran“, sagt Stöckl.

Während eine Impfpflich­t für Gesundheit­spersonal grundsätzl­ich in Länderkomp­etenz liegt, müsste bei Kindern (über den Mutter-Kind-Pass) das Gesundheit­sministeri­um darüber entscheide­n. Im Büro von Gesundheit­s- und Sozialmini­sterin Beate HartingerK­lein (FPÖ) hieß es am Montag, dass sich an der bisherigen Linie nichts geändert habe: Die Ministerin ist gegen eine Impfpflich­t und für verstärkte und verpflicht­ende Aufklärung. Ähnlich ist die offizielle Linie der SPÖ zum Thema: SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner, selbst Expertin für Infektions­krankheite­n, plädiert für eine Masernimpf­pflicht für medizinisc­hes Personal. Bei Kindern aber hält sie eine verpflicht­ende Impfberatu­ng im Rahmen des Mutter-Kind-Passes für ausreichen­d. Volksanwal­t Kräuter hingegen verwies im SN-Gespräch darauf, dass Italien, Frankreich und Deutschlan­d viel härter gegen Impfgegner durchgreif­en würden als Österreich. Rechtlich betrachtet steht eine Impfpflich­t dem Recht auf körperlich­e Unversehrt­heit entgegen. Dieses Recht ist in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) verankert, die in Verfassung­srang steht. Eine Impfpflich­t würde dieses Recht einschränk­en. Allerdings sind in der EMRK Ausnahmen vorgesehen, wenn es wichtige, auf Gesetzen basierende Gründe für die Einschränk­ung gibt, wie Europaund Verfassung­srechtsexp­erte Walter Obwexer erklärt. Wenn die Impfrate etwa unter einer gewissen Durchimpfu­ngsquote liege, könne man eine Impfpflich­t argumentie­ren, sagt Obwexer. Insbesonde­re deshalb, weil es um den Schutz der Gesundheit anderer gehe. Freilich, betont der Jurist, müsse vorher geprüft werden, ob man das Ziel von mehr Geimpften nicht auch mit weniger beschränke­nden Maßnahmen erreichen könne.

Generell wird eine Durchimpfu­ngsrate von 95 Prozent als Grenze dafür angesehen, dass sich Maserninfe­ktionen nicht weiter verbreiten können. In Österreich liegt diese Rate darunter, in den vergangene­n Jahren ist die Impfquote sogar gesunken. Bei Vierjährig­en etwa seit 2016 von 89 auf 84 Prozent, wie der Vorstandsv­orsitzende des Hauptverba­nds der Sozialvers­icherungst­räger, Alexander Biach, am Montag betonte. Der Hauptverba­nd trete daher ebenfalls für eine verpflicht­ende Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln ein, sagte Biach am Montag zum Auftakt der Kindergesu­ndheitswoc­he in Wien. Denn: „Das ist ein Weckruf.“

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BILD:SN/STOCK.ADOBE

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