Gekommen, um zu bleiben
Ihr Name kommt aus einer Zeit, als Ausländer noch „Tschuschen“und Gastarbeiter waren: Die Wiener Tschuschenkapelle feiert ihr 30-Jahr-Jubiläum mit immer noch frischer Vielseitigkeit.
WIEN. Man darf es sich durchaus als Ehre anrechnen, von diesen Musikern spontan als Gasthörer zu einer Probe in eine kleine Wohnung im 5. Wiener Bezirk eingeladen zu werden. Den Anlass gibt das Jubiläumskonzert zum 30-jährigen Bestehen der Wiener Tschuschenkapelle. Kredenzt werden nur kleinste Kleinigkeiten: Mineralwasser, schwarzer Kaffee und selbst gebrannter Sliwowitz aus der slawonischen Heimat von Slavko Ninić, den man – wäre er kein „Tschusch“– in der gestylten mitteleuropäischen Welt wohl „Bandleader“nennen würde.
Alle, die sich zur Probe zusammengefunden haben, sind so verdammt normale und doch so überaus exzellente Musiker, die auf Ziehharmonika, Bouzouki, Klarinette, Gitarre und anderen Instrumenten zu spielen wissen. Und singen können sie! In vielen Sprachen: Griechisch, Kroatisch, Türkisch – und Wienerisch.
Wenige Tage vor dem Konzert geht es ums Feilen an Details. Dem Gast wird gesagt: „Frag’ einfach dazwischen, wenn du was genauer wissen willst!“Von einem Musiker sagen die anderen: „Wär’ er kein Tschusch, wär er sicher Philharmoniker geworden.“Einer, Franz Fellner, hat mit „Why Attnang?“sogar eine „Eisenbahn-Symphonie“komponiert, in der ein Stück vorkommt, das „Oj more duboko“heißt. Das ist doch geradezu altösterreichisch, typisch für Musiker, die Neuösterreichisches und vom Balkan Herkommendes selbstverständlich zu mischen verstehen.
Was ist das eigentlich, ein „Tschusch“? Eine der vielen bösartigen österreichischen Erfindungen aus der Frühzeit des heutigen Alltagsrassismus, aus der Zeit, in der die ersten „Gastarbeiter“ins Land kamen, von denen man freilich hoffte, dass sie bald wieder nach Hause fahren würden.
Auch Slavko Ninić war einer von ihnen, allerdings kein typischer. Er fuhr nämlich tatsächlich nach kurzer Zeit wieder heim. Aber er kam wieder, arbeitete als Dolmetscher und hat – ausgerüstet mit dem Übersetzerdiplom – den Beruf, je nach Bedarf, als Erst- und Zweitberuf neben dem Musikmachen ausgeübt. „So war ich nicht abhängig von irgendwelchen Konjunkturen“, sagt er. Ganz in Wien gelandet ist er letztlich der Liebe wegen.
Alle „Tschuschenmusiker“beschreiben ihren Weg ziemlich unisono so: Sie hätten immer Musik gemacht, im Beisl, auf Festen, auf Hochzeiten. Ihre Musik kommt also, wenn man so will, „von unten“, ist „Volksmusik“im besten Sinn des Wortes. Und wie bei aller wirklichen Volksmusik ist es nicht „notierte“Musik.
„Notiert vielleicht ja“, ergänzt ein Musiker, „aber vor langer Zeit einmal aufgeschrieben.“Mit anderen Worten: Da verschwimmen die fein säuberlich fixierten akademischen Kategorien. Die Lieder, die sie singen und spielen, sind ihnen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie nicht mehr eines Blattes bedürfen, von dem sie gespielt werden müssen. Das macht ihre Lebendigkeit aus. Sie „fetzen“, weil jeder der Musiker den Freiraum zu kleinen Ergänzungen und Variationen hat, ohne die anderen zu „stören“oder zu irritieren.
Das ist – wie bei Eliteorchestern – der große Vorteil des langjährigen Zusammenspielens: das Wissen, was der andere (vermutlich) tun oder nicht tun wird. Sie können in Sekundenbruchteilen auf die anderen reagieren, haben ein geradezu unglaubliches Gespür für Modulationen, wissen, an welchen Stellen sie rhythmische Akzente setzen müssen.
Diese Musikalität ist ja generell der große Trumpf der Balkan-Musikgruppen, die in den wahnsinnigsten denkbaren Rhythmen – und ohne Metronom und Dirigent – aufspielen.
Umso schlimmer ist es, dass dieses Jugoslawien – so kompliziert es als Staat auch gewesen sein mag – in einem Krieg zerstört wurde, den die Mitglieder der Tschuschenkapelle als Katastrophe empfanden.
So bleibt einem nichts als die Wehmut der Erinnerung an die Wiener „Jugolokale“mit ihren nicht nur „serbischen“Bohnensuppen, in denen damals diese untergehende Einheit weitergelebt hat.