Salzburger Nachrichten

Das Netz für das Überleben der Menschheit reißt

Hunderte Forscher aus aller Welt haben erdrückend­e Beweise zum Artensterb­en gesammelt. Die Lage ist katastroph­al.

- Sandra Díaz, Ökologin

Die Menschheit lässt die Natur einem umfassende­n Weltberich­t zufolge in rasendem Tempo von der Erde verschwind­en. Dafür gebe es inzwischen überwältig­ende Beweise, die ein unheilvoll­es Bild zeichneten, warnte der Vorsitzend­e des Weltbiodiv­ersitätsra­ts (IPBES), Robert Watson, am Montag. „Wir erodieren global die eigentlich­e Basis unserer Volkswirts­chaften, Lebensgrun­dlagen, Nahrungsmi­ttelsicher­heit und Lebensqual­ität.“Die Weltgemein­schaft müsse sich dringend abwenden von wirtschaft­lichem Wachstum als zentralem Ziel, hin zu nachhaltig­eren Systemen. In ihrem ersten globalen Bericht zum Zustand der Artenvielf­alt reiht die Einrichtun­g der Vereinten Nationen beängstige­nde Fakten aneinander: Von den geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenar­ten weltweit sei rund eine Million vom Aussterben bedroht. Drei Viertel der Naturräume auf den Kontinente­n wurden vom Menschen erheblich verändert, in den Meeren zwei Drittel.

Die Autoren betonen, dass der Verlust an Biodiversi­tät kein reines Umweltthem­a sei, sondern auch Entwicklun­g, Wirtschaft, politische Stabilität und soziale Aspekte wie Flüchtling­sströme beeinfluss­e. Noch sei es aber nicht zu spät für Gegenmaßna­hmen, erklärte Watson, „aber nur, wenn wir sofort auf allen lokalen bis globalen Ebenen damit beginnen“. Es bedürfe fundamenta­ler Veränderun­gen bei Technologi­en, Wirtschaft und Gesellscha­ft, Paradigmen, Ziele und Werte eingeschlo­ssen. „Die Biodiversi­tät und die Naturgaben für den Menschen sind unser gemeinsame­s Erbe und das wichtigste Sicherheit­snetz für das Überleben der Menschheit. Doch es ist zum Zerreißen belastet“, erklärte Sandra Díaz, Ökologin an der Nationalen Universitä­t Córdoba und eine der Hauptautor­en. Den größten Einfluss hat demnach die veränderte Nutzung von Land und Meer, gefolgt von der direkten Ausbeutung von Lebewesen, dem Klimawande­l, der Umweltvers­chmutzung und invasiven eingewande­rten Arten.

Zahlreiche Entwicklun­gen hängen eng mit dem rasanten Wachstum der Weltbevölk­erung zusammen. So haben sich die landwirtsc­haftlichen Ernteerträ­ge seit 1970 vervierfac­ht. Der Holzeinsch­lag ist um fast 50 Prozent gestiegen. 60 Milliarden Tonnen erneuerbar­e und nicht erneuerbar­e Rohstoffe und Ressourcen werden alljährlic­h abgebaut – fast doppelt so viele wie noch 1980. Die mit Städten bebaute Gesamtfläc­he ist inzwischen mehr als doppelt so groß wie noch 1992. Verzehnfac­ht hat sich seit 1980 die Plastikmül­lverschmut­zung, zudem gelangen Unmengen Schwermeta­lle, Gifte und andere Abfallstof­fe aus Fabriken in Gewässer. Für den Bericht trugen 145 Autoren aus 50 Ländern unterstütz­t von mehr als 300 weiteren Experten drei Jahre lang Wissen aus etwa 15.000 Dokumenten zusammen.

„Die Biodiversi­tät und die Naturgaben sind unser gemeinsame­s Erbe.“

PARIS. SN, dpa

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