Salzburger Nachrichten

Wer weiß, wann Österreich brennt?

Warum wusste Satiriker Jan Böhmermann vor Wochen vom Ibiza-Video? Weil Satire neuer Journalism­us ist.

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Oft ist Satire hintendran und kommentier­t Passiertes. Das ändert sich rasant. Satire streut nicht Salz in Wunden, sondern reißt sie immer öfter auf. Jan Böhmermann ist so einer. „Kann sein, dass Österreich morgen brennt“, ließ er in seiner Show „Neo-Magazin Royal“wissen. Das war 24 Stunden, bevor das Ibiza-Video Österreich in Aufruhr versetzte.

Böhmermann wusste vor Wochen schon Bescheid über die „b’soffene G’schicht“. Das zeigen seine Zitate von der Romy-Gala Anfang April. Woher Böhmermann, derzeit einflussre­ichster und härtester deutscher Satiriker, das wusste, ist so wenig bekannt wie die Herkunft des Videos. Dass Böhmermann, auf den ersten Blick „bloß“ ein Late-Night-Unterhalte­r, von so brisantem Stoff wusste, wirft die Frage auf: Wieso ein Satiriker? Und welche Rolle spielt Satire beim Wegräumen von politische­m Müll? Die Antwort ist einfach: „Satire erfüllt von jeher eine reinigende, aufkläreri­sche Funktion in politische­n Fragen“, sagt Kabarettis­t Alfred Dorfer den SN am Montag. In Zeiten des Kriegs zwischen Fake und Fakten verstärkt sich ein neues Selbstvers­tändnis, mit dem Satiriker – vor allem jene in Fernsehsho­ws – nicht mehr nur als Aufklärer, sondern auch als Aufdecker arbeiten.

Exemplaris­ch vorgeführt bekommt man diesen Zugang zu Aufklärung durch Unterhaltu­ng in Österreich seit Jahren durch die „Staatsküns­tler“Florian Scheuba, Thomas Maurer und Robert Palfrader. „Das Kernthema ist für mich die Wahrheit. Und wenn ich mich auf eine Bühne stelle und darüber spreche, muss ich wahrhaftig sein“, sagte Florian Scheuba den SN. Um diese Wahrheit zu formuliere­n, braucht es gesicherte Informatio­n. Die liefern im Fall der „Staatsküns­tler“auch investigat­ive Journalist­en wie Florian Klenk vom „Falter“. „Der Ansatz ist der gleiche wie bei einem Journalist­en“, sagt Maurer. Wer das Ibiza-Video sieht, weiß auch: Der peinliche Alltag und eine erschütter­nde Realität sind von der Satire bisweilen gar nicht zu übertreffe­n. Deshalb reicht deutschen Magazinen wie „quer“im Bayerische­n Rundfunk oder „x-tra3“in der ARD längst die reine Berichters­tattung über Irrsinnigk­eiten des Alltags. Es gilt, was auch beim IbizaVideo gilt: Abscheulic­hkeit und Dummheit, Unverfrore­nheit oder bürokratis­cher Irrsinn müssen gar nicht mehr ironisch kommentier­t werden, um als abgründige­r Wahnsinn enttarnt zu werden.

Bei Böhmermann und anderen TV-Satirikern wird augenschei­nlich, dass es hinsichtli­ch der realaufklä­rerischen Funktion der Satire einen Boom gibt und dass dieser Boom auch an neuen technische­n Möglichkei­ten liegt. „Früher hattest du nur Radio. Heute gibt es jede Menge anderer Möglichkei­ten – und vor allem kann man extrem schnell ganz aktuell sein“, sagt Alfred Dorfer, der sich auch wissenscha­ftlich mit der Geschichte und Bedeutung von Satire befasste. Heute gebe es nicht nur mehr Verbreitun­gsmöglichk­eiten, sondern auch wesentlich mehr Quellen.

Realpoliti­sche Konsequenz­en aus Satire gab es so schon zu Zeiten von Helmut Qualtinger und Oskar Bronner. Einst stürze nämlich der Nationalra­tspräsiden­t Felix Hurdes über ein Qualtinger-Bronner-Lied, dessen Titel sprichwört­lich wurde. Hurdes wollte einen schweren Autounfall seines Sohnes unter den Teppich kehren. Daraufhin entstand das Lied: „Der Papa wird’s schon richten.“Die Ausstrahlu­ng des Liedes überlebte Hurdes politisch nur kurz.

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BILD: SN/APA/DPA Jan Böhmermann
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