Ein Prozess in der absurden Welt der Lügen
Müder Applaus nach gut fünf Stunden: Krystian Lupas „Proces“in Wien.
Krystian Lupa inszeniert bei den Wiener Festwochen das erste Mal ein Werk von Franz Kafka. Er hatte 2016 mit der Dramatisierung des Romans „Der Prozess“begonnen, als in Polen die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit an die Macht kam. Richter und Justizbeamte wurden vorzeitig entlassen, die Pressefreiheit eingeschränkt. Im ersten Bild der Inszenierung läuft eine Talkshow, in der es um die Richterablöse in Polen geht. Unmittelbar danach wird Josef K. unter Hausarrest gestellt – ohne Grund.
Als wenig später der Satz „Es ist schrecklich, wenn kleine Leute mit Minderwertigkeitskomplexen an die Macht kommen“fällt, geht ein Raunen durch den Saal. Diese Weltordnung der Lügen, der Korruption, der Demoralisierung – die Lupa in anprangert –, ist die Linie der rechtspopulistischen Parteien und hat sich in den letzten Tagen mit ihren Abgründen entlarvt.
Lupas Zugang ist aktueller denn je, die Inszenierung aber driftet ab, verliert sich in trüben Bildern, in romantisch-wehmütiger Musik von Astor Piazzolla, Johann Sebastian Bach und Arvo Pärt. Dabei beginnt der erste Teil vielversprechend. Auf mehreren Tonebenen werden Wirklichkeit, Fantasie und Emotion miteinander verwoben. Josef K.s sexuelle Phantasien steigern die spannungsgeladene Atmosphäre. Traum und Albtraum, Wirklichkeit und Vorstellung verbinden sich. Willkür und Rechtsstaatlichkeit sind nicht mehr zu trennen.
Josef K. wird bei Lupa zu Franz Kafka, der im zweiten Teil der Inszenierung dahinsiecht. Als wäre es nötig, die Lücken des unvollendeten Romans zu füllen, wird Kafka zur Titelfigur erklärt.
Trübselig und düster zelebriert Lupa den letzten Teil, nackt und voll geiler Lust rotten sich die Charaktere zusammen. Getragen deklamatorisch, mit großem Pathos und zutiefst konventionell endet der lange Abend.