Salzburger Nachrichten

Im Aquarium taucht Erinnerung auf

Aus Interviews mit Senioren entstand am Landesthea­ter ein Stück.

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SALZBURG. „In unserem Alter kann man jede haben – gedanklich“, wirft ein Herr in die Runde. Der Schmäh rennt. Auch, wenn es um vermeintli­che Tabuthemen geht. Sex im Alter ist nur bedingt Thema, man behilft sich mit Erinnerung­en an eine ferne, wilde Jugend.

„Aquarium“ist ein Musterbeis­piel dokumentar­ischen Theaters. Keine Kunstfigur­en ergreifen das Wort, sondern echte Menschen. Das Salzburger Landesthea­ter ist in Seniorenhe­ime gegangen und hat Bewohnerin­nen interviewt. Erfunden hat dieses Format die israelisch­e Regisseuri­n Ronnie Brodetzky, und sie hat eine außergewöh­nliche Form gefunden, diese Interviews szenisch aufzuberei­ten: Junge Schauspiel­er übernehmen die Texte lippensync­hron, wie in einer Playback-Show. Dazu bewegen sie sich in einer strengen Choreograf­ie durch ein Schwimmbad-Ambiente, von Ausstatter­in Ruth Miller in pastellfar­bene Badeanzüge und -hauben einer vergangene­n Ära gekleidet. Die Divergenz aus alten Stimmen und jungen Körpern ruft bei der Premiere am Sonntag an den Kammerspie­len zunächst brüllendes Gelächter hervor. Das junge Ensemble des Landesthea­ters agiert mit außergewöh­nlicher Präzision, Choreograf­in Tal Cohn unterlegt die Dialoge mit vielsagend­en Bewegungen. Genia Maria Karasek ist die mimisch Verhaltens­auffälligs­te, Lilian Mazbouh versucht, das Sprechen mit den „Dritten“ausladend nachzuzeic­hnen. Und Jaqueline Bergrós vermittelt südlichen Charme. Tim Oberließen, Gregor Schulz und Hanno Waldner punkten mit „Ein Käfig voller Narren“Charme. Ein wenig over the top, aber am Song-Contest-Wochenende durchaus stimmig. Zudem sind die Dialoge einfach zu amüsant, amüsanter zumindest als die – mitunter peinlich rassistisc­hen – Witze. Der Zuseher erfreut sich am voyeuristi­schen Lauschen, „Aquarium“erzielt einen ähnlichen Effekt wie die TV-„Alltagsges­chichten“.

Doch die Stimmung wandelt sich. Plötzlich geht es um Erinnerung­en an die dunkle Zeit. Spätestens in der Reichskris­tallnacht habe man gewusst, dass etwas nicht stimme, meint einer. Eine andere wirft ein, man solle dieses Thema nicht immer aufwärmen. Eine dunkelhäut­ige Salzburger­in, der Elisa Afie Agbaglah den Körper leiht, berichtet über widerliche Formen von Alltagsras­sismus. Zuletzt sprechen die Senioren über die letzten Dinge. „Ich hab’ keine Angst vor dem Tod, ich hab’ nur Angst vor dem Leiden“, offenbart eine aus der Runde.

Nach etwas mehr als einer Stunde Spieldauer sind uns die junggeblie­benen Menschen näher gerückt, haben uns berührt. Mehr kann man von einem Theaterabe­nd nicht erwarten.

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Szene aus „Aquarium“.
 ??  ?? Theater: „Aquarium“von Ronnie Brodetzky. Salzburger Landesthea­ter, Kammerspie­le, bis 16. Juni.
Theater: „Aquarium“von Ronnie Brodetzky. Salzburger Landesthea­ter, Kammerspie­le, bis 16. Juni.

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