Salzburger Nachrichten

Einspringe­r dringend gesucht

Misstrauen­santrag: Die Parteien werden bis zur letzten Sekunde taktieren.

- I.b., mars, schli

Sollte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag tatsächlic­h gestürzt werden: Wer wird dann Übergangsk­anzler? Auf diese Frage spitzt sich der politische Poker vor der Sondersitz­ung zu. Dabei ist noch völlig unklar: Wird nur dem Kanzler das Misstrauen ausgesproc­hen? Oder dem Kanzler und einigen seiner bisherigen Minister und Ministerin­nen? Oder der gesamten Regierung, also auch den vier eben erst angelobten Übergangsm­inistern Eckart Ratz (Inneres), Johann Luif (Verteidigu­ng), Valerie Hackl (Infrastruk­tur) und Walter Pöltner (Soziales)?

Auf FPÖ-Seite lässt man alles offen. Die Entscheidu­ng werde erst am Montag in der Klubsitzun­g unmittelba­r vor der Sondersitz­ung fallen, heißt es im Büro des neuen FPÖ-Chefs Norbert Hofer.

Möglich sind: Eine Zustimmung zum Misstrauen­santrag der Liste Jetzt, die sich nach letztem Stand nur gegen den Kanzler richten wird; eine Zustimmung zu dem von der SPÖ zu erwartende­n Misstrauen­santrag, der sich gegen mehrere Regierungs­mitglieder oder die ganze Regierung richten könnte; auch ein eigener Misstrauen­santrag der FPÖ ist nicht ausgeschlo­ssen; und nicht ausgeschlo­ssen ist, dass die FPÖler durch Verlassen des Saales eine Mehrheit verhindern.

Für die Blauen ist freilich die Verlockung groß, die gesamte Regierung zu kippen. Dann wäre auch Karin Kneissl weg, die auf einem FPÖTicket ins Außenamt einzog, nun aber nicht gemeinsam mit der blauen Riege abtreten wollte. Und dann hätte man sich auch an Justizmini­ster Josef Moser gerächt. Der Groll gegen den einstigen blauen Klubdirekt­or, der mittels ÖVP-Ticket in die Regierung kam, ist groß; er bremste so manches FPÖ-Anliegen aus.

Auch in der SPÖ rauchen die Köpfe. Stimmen die Roten mit der FPÖ für einen Misstrauen­santrag, müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, gemeinsame Sache mit den Blauen zu machen. Das wissen die Strategen. Sie wissen aber auch: Als bloßer ÖVP-Chef würde Kurz weniger oft in den Medien aufscheine­n als als Kanzler. Und so stehen die Zeichen auf einen Misstrauen­santrag gegen die ganze Regierung, damit ein Übergangsk­anzler installier­t werden muss und nicht der mit den Vizekanzle­r-Agenden betraute Finanzmini­ster Hartwig Löger als Regierungs­chef einspringt.

Sollte nach 185 abgelehnte­n Misstrauen­santrägen in der Zweiten Republik der erste Misstrauen­santrag erfolgreic­h sein, wäre der Kanzler nicht schon mit der Abstimmung sein Amt los. Der Bundespräs­ident muss den Bundeskanz­ler – bzw. die vom Misstrauen­santrag betroffene­n Minister – erst des Amtes entheben.

Wie schnell muss das passieren? „In Lehrbücher­n würde man schreiben: unverzügli­ch“, sagt Verfassung­srechtler Theo Öhlinger. „So schnell es geht also – aber wahrschein­lich auch nicht binnen Stunden.“Der Bundespräs­ident müsse Zeit zum Überlegen haben, der Beschluss müsse ausgeferti­gt und übermittel­t werden. Eine Teilnahme von Vielleicht-gerade-nochKanzle­r Kurz beim wichtigen Nachwahlgi­pfel der Staats- und Regierungs­chefs am Dienstag wäre damit noch möglich. „Zumal es ja in Brüssel nicht um parteipoli­tisch relevante Dinge geht“, sagt Öhlinger.

Was passiert zwischen Amtsentheb­ung des Kanzlers und Angelobung des neuen Kanzlers? Der Vizekanzle­r würde die Regierungs­geschäfte fortführen. Und wenn der ganzen Regierung das Misstrauen ausgesproc­hen wird? „Dann wird es komplizier­ter“, sagt Öhlinger. Dann müsste der Bundespräs­ident so rasch wie möglich eine neue Person mit der Bildung einer neuen Regierung beauftrage­n. „In dem Fall wird man bis zur Enthebung der Minister so lang warten müssen, bis der neue einen Ministervo­rschlag vorlegen kann.“

Schließlic­h sei es ein Grundprinz­ip der Verfassung, dass die Regierungs­ämter dauernd besetzt sein müssen.

Wer kommt als Übergangsk­anzler infrage? Am ehesten wohl einstige Höchstrich­ter oder Spitzendip­lomaten, die über die Parteigren­zen hinweg ein hohes Ansehen genießen. Das würde etwa auf Gerhart Holzinger, Ex-Verfassung­sgerichtsh­ofpräsiden­t, zutreffen.

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Gäbe es eine Jobausschr­eibung für den Übergangsk­anzler, dann könnte sie ungefähr so aussehen.

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