Vermeintlicher Wolf löst Aufregung aus
Im steirischen Ennstal spazierte mitten am Tag ein „Wolf“auf dem Mittelstreifen einer Fahrbahn. Ein Bürgermeister reagierte besonnen, beruhigte die Gemüter und verhinderte Schlimmeres. Der Fall wirft dennoch Fragen auf.
Es ist eine kuriose Geschichte, die sich kürzlich in Reichraming im steirischen Ennstal zugetragen hat. Und sie zeigt, wie wichtig es sein kann, in der ersten Aufregung kühlen Kopf zu bewahren: Am helllichten Tag spazierte dort offenbar ein Wolf – und das höchst gelassen – am Mittelstreifen der örtlichen Bundesstraße. Autofahrer zückten ihre Handykameras und fotografierten das stattliche Tier, das sich durch all den Verkehr nicht abschrecken ließ.
Wo immer in Österreich ein Wolf auftaucht – Max Rossberg von der European Wilderness Society mit Sitz in Tamsweg erfährt davon. „Der Vorfall ging wie ein Lauffeuer durch den Ort“, erinnert sich der Wolfsexperte. Rasch war vom lebensmüden Wolf die Rede, der zwischen Autos herumläuft. Als die ersten Fotos von dem Vierbeiner in den sozialen Medien viral gingen, reagierte Reinhold Haslinger, der Bürgermeister von Reichraming, rasch und richtig: „Ich hab gewusst: Das muss ich einbremsen, weil schon ein paar hysterisch geworden sind. Und bevor jemand das Gewehr in die Hand nimmt.“
Haslinger sorgte dafür, dass sich die Aufregung in der Nationalparkgemeinde rasch legte. „Ich habe mir die Fotos angesehen und recht schnell erkannt, dass das kein Wolf sein kann.“Dann habe er „ein bisserl recherchiert“, und wenig später konnte der tschechische Wolfshund seinem Besitzer übergeben werden.
„Wölfe haben zu dieser Jahreszeit viel wuscheligeres Fell. Außerdem laufen sie links oder rechts an der Straße entlang, aber nie in der Mitte der Straße“, erklärt Max Rossberg. „Wölfe auf der Straße sind deshalb so verstörend, weil wir glauben wollen, dass alle Tiere vor uns Menschen Angst haben. Wir wissen aber, dass dies selten zutrifft.“Marder, Wildschweine und Biber hätten längst die Scheu vor dem Menschen abgelegt und seien ihm in die Städte gefolgt. „Sie wissen, wie wir riechen, sie kennen Autos und Straßen und begegnen unseren Spuren überall im Wald und auf den Äckern. Traktoren sind ihnen genauso bekannt wie die Jäger auf ihren Hochsitzen. Wölfe etwa können bis zu drei Kilometer entfernt unseren Geruch wahrnehmen“, sagt Rossberg.
Für Bürgermeister Haslinger findet der Wildtierexperte nur lobende Worte: Dieser habe in der zugespitzten Lage überaus besonnen und genau richtig reagiert. „Die Bauern machen nämlich schon längere Zeit Druck. Sie haben Unterschriften gesammelt gegen den Wolf.“
Hintergrund des bäuerlichen Unmuts ist, dass Reichraming im Nationalpark Kalkalpen liegt. Rossberg: „Und die Wolfsgegner kritisierten, dass sich die Tiere dort in aller Ruhe vermehren können.“
Interessantes Detail am Rande: Von Wolfssichtungen oder gar Rissen von Nutztieren ist Reinhold Haslinger nichts bekannt. „Bei uns ist noch kein Wolf gesehen worden. Aber ich verstehe die Aufregung, die Menschen sind durch die Medien halt ziemlich sensibilisiert.“
Seit der Wolf nach Österreich zurückgekehrt ist bzw. die Alpenrepublik auf seiner Wanderschaft durchquert, ist die Stimmung gereizt. Denn das streng geschützte Wildtier hat mit Jäger- und Landwirtschaft zwei erbitterte Gegner. Wildbiologe Klaus Hackländer von der Universität für Bodenkultur in Wien hat erst unlängst bekannt gegeben, dass Österreich aufgrund des hohen Wildbestands in einigen Jahren mit bis zu 500 Wölfen zu rechnen habe.
Fachleute wie Max Rossberg propagieren deshalb den Herdenschutz (Elektrozäune, Hunde, Hirten), um ein friedvolles Miteinander zu gewährleisten. Doch Förderrichtlinien sowie Entschädigungszahlungen nach Rissen sind von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich.
Der „Wolf“von Reichraming wirft für Rossberg eine weitere Frage auf: „Wie viele Wölfe, die in Österreich gesichtet werden, sind eigentlich gar keine? Ich denke, wir sollten allesamt mehr Besonnenheit an den Tag legen.“
„Ich musste das einbremsen, weil schon einige hysterisch wurden.“