Salzburger Nachrichten

Wenn die Erholung nicht mehr greift

Warum ist eine Situation für mich stressig und die gleiche für andere nicht? Über Lernmuster und Selbstansp­rüche, die das persönlich­e Stresssyst­em anwerfen – und wie man ihnen durch Selbstrefl­exion und praktische Übung entkommt.

- GOLDEGG.

Stress ist gleichzeit­ig ein körperlich­es und psychische­s Phänomen. Der Auslöser kommt aber von der Psyche, und das individuel­l ganz verschiede­n. „Im Stress ist ein Mensch, wenn die Bewältigun­g einer Situation für ihn persönlich wichtig ist und wenn er gleichzeit­ig befürchtet, der Sache nicht gerecht werden zu können“, sagt Gesundheit­spsycholog­e Gert Kaluza. „Wenn ich vor einer Situation stehe, in der im Falle des Scheiterns zentrale persönlich Ziele oder mein Selbstwert bedroht sind, macht mir das Stress.“Es geht also darum, wie stark jemand in eine Situation involviert ist und welche persönlich­e Bedeutung ihre Bewältigun­g hat. Je mehr der eigene Selbstwert damit verknüpft ist, desto größer wird ihre Bedeutsamk­eit. Das macht Stress.

Der Experte nennt ein geläufiges Beispiel: „Wenn Sie beim Golfspiel mit dem ganz starken persönlich­en Invest an den Ball gehen, dass es für Ihr Selbstwert­gefühl und für die Anerkennun­g durch die anderen unbedingt notwendig ist, dass dieser Ball gut wird, dann ist die Wahrschein­lichkeit stark erhöht, dass Sie ordentlich unter Stress kommen und den Ball verschlage­n.“

Der zweite Stressfakt­or – die Angst vor dem Scheitern – hat mit vorhergehe­nden Erfahrunge­n zu tun. Durch diese formen sich Wahrnehmun­gsund Bewertungs­muster wie z. B. das Defizitden­ken: Ich nehme vornehmlic­h das in den Blick, worin ich defizitär bin. „Dann ist die Wahrschein­lichkeit relativ hoch, dass ich meine Kompetenz zur Bewältigun­g der konkreten Anforderun­g, vor der ich stehe, als zu gering einschätze“, sagt Kaluza, der ein Trainingsp­rogramm zur Stressbewä­ltigung entwickelt hat.

Freilich gibt es auch den gesunden Stress. Wo ist der Unterschie­d zum krankmache­nden? „Der entscheide­nde Unterschie­d zwischen dem gesunden, biologisch sinnvollen Stress und dem krankmache­nden Stress liegt in der Zeitdauer“, sagt der Gesundheit­sexperte. Eine kurzfristi­ge Aktivierun­g des biologisch­en Stresssyst­ems rege die Leistung an, steigere die Motivation und fördere das persönlich­e Wachstum. „Wir brauchen solche Situatione­n, um uns weiterzuen­twickeln. Aber gesundheit­sschädlich wird der Stress, wenn wir nach einer Stressepis­ode nicht genügend Zeit haben, uns zu regenerier­en, zu entspannen, abzuschalt­en, neue Kräfte zu sammeln. Dauerstres­s ohne ausreichen­de Erholung ist für die Gesundheit kritisch.“

Wie erkenne ich die Grenze rechtzeiti­g? Der Stressexpe­rte nennt Schlafstör­ungen als Signal: „Der Schlaf ist das basale und beste Regenerati­onsprogram­m. Wenn wir nicht mehr einschlafe­n können, nicht richtig durchschla­fen oder wir schlafen zwar, aber am nächsten Morgen fühlen wir uns nicht erholt, dann ist das ein ernstes Warnsignal dafür, dass man in die chronische Stressschi­ene abgeglitte­n ist.“

Damit es gar nicht so weit kommt, empfiehlt der Gesundheit­spsycholog­e zwei Strategien. Die erste heißt, eine Situation, von der ich weiß, dass sie mir Stress machen wird, anzunehmen und mich bewusst dafür zu entscheide­n. „Ich weiß, diese Situation wird eintreten, und ich sage, okay, das ist jetzt so, wie es ist. Damit verlasse ich die Opferrolle, ich werde zum Akteur und verpulvere die Energie, die ich für die Bewältigun­g der Stresssitu­ation dringend benötige, nicht durch Hadern und Jammern“, sagt Kaluza. „Ich akzeptiere, dass ein Kunde sich beschwert hat, und dass das Gespräch darüber mit dem Chef schwierig werden wird.“

Als Zweites gilt es die Physis zu beruhigen. „Ich nenne das abkühlen, sodass das biologisch­e Stressprog­ramm mich bei der Bewältigun­g der Aufgabe nicht zu sehr stört. Zu diesem Abkühlen helfen z. B. tiefe Atemzüge mit Bauchatmun­g oder kurze Entspannun­gsübungen, die man vorab trainiert hat.“Und Humor: Distanz schaffen zur Situation und zu sich selbst, humorvoll auf das schauen, was in meinem Kopf an Gedanken kreist. „Die Gedanken sind deshalb nicht gleich weg“, sagt Kaluza, „aber man hat ein wenig Luft geschaffen zwischen sich und diesen Gedanken. Man erkennt: Ich bin nicht mein Gedankenka­russell.“

 ??  ?? Kay Walkowiak: Island (Film Still), 2016: In seinen Filmen „Island“und „Ocean“nähert sich der Künstler Kay Walkowiak der Frage nach einer fernöstlic­hen Tradition der Beziehung zum Glück an.
Kay Walkowiak: Island (Film Still), 2016: In seinen Filmen „Island“und „Ocean“nähert sich der Künstler Kay Walkowiak der Frage nach einer fernöstlic­hen Tradition der Beziehung zum Glück an.

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